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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0124
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I 12

Ludwig von Baldass.

Den Keim einer Landschaftsmalerei im modernen Sinne des Wortes erkennen wir zuerst in
einzelnen Werken des vorgeschrittensten Malers des XV. Jahrhunderts, in Gemälden des Holländers
Hieronymus Bosch. Das große Verdienst dieses genialen Künstlers besteht vor allem darin, daß
er in seinen reifen Werken den zwischen Figurenkomposition und Landschaftsdarstellung bestehenden
Dualismus überwunden hat. Im Heuwagentriptychon und im Lissaboner Antoniusaltar ist die Land-
schaft zu einem wesentlichen Bestandteil des Bildganzen geworden. Sie ist hier der Resonanzboden
für die in der Figurendarstellung anklingenden Töne. In den meisten seiner Gemälde ist noch
die im Vordergrund des Interesses stehende menschliche Figur das Primäre der Darstellung. In
einzelnen Werken aber, im Genter Hieronymus, im Madrider Antonius, in den verschiedenen
Flügeln des Paradieses, überwiegt die Landschaft schon so stark über die Figuren, daß sie die
Aufmerksamkeit des Beschauers in erster Linie auf sich lenkt.

Unter den hervorragenden Künstlerindividualitäten des beginnenden XVI. Jahrhunderts ist
Quentin Massys die retrospektivste. Seine Landschaftsauffassung bewegt sich ganz in den Bahnen
altflandrischer Tradition, ohne einen Einfluß der holländischen Kunst oder auch nur der des Dirk
Bouts aufzuweisen. Von den den Romanismus einleitenden Künstlern offenbart den feinsten Sinn
für Landschaftsdarstellung Lucas van Leyden. Auch bei ihm gibt es freilich keine Komposi-
tion, in der die Figuren nicht vollkommen über die Landschaft überwiegen würden. Am stärksten
offenbart sich sein Naturgefühl in einzelnen Kupferstichen, deren landschaftlichem Teil bei aller
technischen Vollendung der Detailwiedergabe ein großer Zug der Gesamtdarstellung und eine atmo-
sphärisch gesehene Ferne eigen ist. Einzelne Ausschnitte, wie das Flußufer auf dem Stiche des
verlorenen Sohnes (B. 78), sind an Vollendung der zeichnerischen Wiedergabe und an Erfassung
der Landschaftsstimmung erst von Bruegel übertroffen worden. Das Beste dieser Kunst ist aber
nicht eigene Errungenschaft des Leidener Meisters sondern von Dürer übernommenes Gut. Hin-
gegen hat der einflußreichste und historisch wichtigste südniederländische Künstler dieser Zeit, Jan
Gossaert, in seinen nach der italienischen Reise entstandenen Werken die Landschaft zumeist aus
seinen Bildern verbannt. Der idealistische Stil dieser ganz nach Rom orientierten Kunst, die in
den Niederlanden mit Mabuse zur Herrschaft gelangte, war so einseitig auf die Darstellung der
menschlichen Figur und in erster Linie des nackten Körpers, für den einzig eine antikische Archi-
tektur eine würdige Folie zu sein schien, eingestellt, daß die Landschaft, wo es nicht, wie bei Para-
diesdarstellungen, der Gegenstand unbedingt erforderte, von der Bildfläche verschwinden mußte.

Diese neuen romanistischen Tendenzen befreiten die Malerei aus dem alleinigen Banne der
kirchlichen Kunst. Wie diese Stilkünstler selbst das mythologische Gemälde als gleichberechtigt
neben der religiösen Historie und dem Andachtsbild in den Niederlanden einführten, so reagierten
die in der Unterströmung sich weiterentwickelnden naturalistischen Künstler auf jene Tendenz der
Zeit, die für das profane und kirchliche Historienbild figürliche Exklusivität und einen hohen ernsten,
allem rein Spielerischen abholden Stil forderte, mit der selbständigen Ausbildung des Landschafts-
und des Sittenbildes. Noch segeln diese beiden jungen Kunstgattungen eine Zeitlang unter religiöser
Flagge. Die Landschaften erhalten religiöse Staffage und die Sittenbilder behandeln Themen wie
die Geschichte des verlorenen Sohnes, die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel oder die
Ausstellung Christi vor dem Volke. Selbst die Kreuztragung Christi wird bei diesen Künstlern zu
einem landschaftlichen Genrebild. Das Entscheidende ist, daß die Bedeutung sich nun umgekehrt
hat. Die I^andschaft ist das Primäre und der religiöse Gegenstand das Sekundäre geworden. Diese
Entwicklung der modernen Landschaftsmalerei beginnt mit Joachim Patinir und wird von Peter
Bruegel zu einem ersten Abschluß gebracht. Sie geht im wesentlichen in Antwerpen vor sich, in
dem Kunstzentrum der Niederlande, in dem im XVI. Jahrhunderte die Künstler aus allen Provinzen
zusammenströmten. Holländische Kräfte und Einflüsse haben ebenso regen Anteil an ihr wie vlä-
mische. Ja erst durch den ständigen Ausgleich der süd- und nordniederländischen Landschaftsauf-
fassung konnte dieser neue Kunstzweig sich frei entwickeln.
 
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