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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0138
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Ludwig von Baldass.

Aus einer ziemlich großen Zahl namenloser Nachahmer, die Landschaften in Patinirscher
Manier ohne besondere Eigenart malten,1 ragt ein Künstler hervor, dessen beste Werke den eigen-
händigen Gemälden des Meisters so nahe kommen, daß sie zumeist für Schöpfungen Patinirs gehal-
ten werden. Unter den Bildern der Sammlung von Wesendonck, die leihweise im Berliner Kaiser
Friedrich-Museum ausgestellt sind, befindet sich eine Landschaft (Fig. n), deren Entstehung von
der Hand Patinirs bisher noch nicht bezweifelt worden ist. Dies nimmt um so mehr Wunder,
als das Kostüm der kleinen Jägerfigürchen, die als Staffage dienen, in der Zeit vor 1524 gänz-
lich ausgeschlossen ist und in Wirklichkeit dem vierten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts angehört.
Aber auch die Landschaft läßt nirgends die Hand des Meisters erkennen. Die spitz und unstoff-
lich gemalten Gräser und Kräuter, die schematisch punktierende Art des Baumschlages, die im
Detail lieblos und wenig atmosphärisch gemalte Ferne sind bezeichnend für die Schöpfung eines
Nachahmers. Das mit demselben Pinsel gemalte Liebespaar vorn im Gebüsch (Fig. 12) verrät uns
deutlich, wer der Maler des Bildes gewesen ist. An dieser jungen Dame erkennen wir den so-
genannten Meister der weiblichen Halbfiguren.2

Sicher derselben Hand wie die Wesendoncksche Landschaft gehört das Gemälde der Ruhe auf
der Flucht im Wiener Hofmuseum (Taf. XIII) an. Wir finden dieselbe Technik der spitz aufgesetzten
Lichter und des braun untermalten Baumschlages, die auffallend bunten Häuser des Dorfes, die
scharfe Trennung des saftgrünen Vorder- und Mittelgrundes von dem grünblauen Hintergrund und
die weißlichen Streifwolken am Himmel. Die Figuren sind wieder vom Meister der weiblichen
Halbfiguren. Nun wurde bereits die Vermutung ausgesprochen,3 daß Patinir und der Meister der
weiblichen Halbfiguren bisweilen gemeinsam tätig waren. So soll auf drei Werken des Anonv-
mus, auf der Kopenhagener Ruhe auf der Flucht,4 auf dem Johannes auf Patmos in der Londoner
National-Gallery und auf der Münchener Epiphanie, die Landschaft von Patinir hinzugefügt sein.
Nun stimmt diese nicht nur mit den eben erwähnten zwei Bildern in Berlin und Wien überein
sondern findet sich auch ganz ähnlich bei einer Reihe anderer Gemälde des Meisters der weiblichen
Halbfiguren. Man vergleiche nur den Hintergrund der Münchener Anbetung der Könige mit dem
der Anbetung der Hirten auf dem Straßburger Flügelaltar oder die Landschaft des Gemäldes in
Kopenhagen mit jener, die sich hinter dem reizenden Kniebild einer sitzenden Madonna in der
Sammlung der Baronin Ferstel in Wien (Taf. XIV) erstreckt. Etwas summarischer in der Detail-
behandlung, aber in Aufbau und Empfindung offenbar Schöpfungen desselben Geistes sind die Land-
schaften der Ruhen auf der Flucht in der Londoner National-Gallery,5 in der Sammlung Johnson6 und
im Brügger Privatbesitz.7 Auch die Hintergründe der Flügelaltäre der Kreuzigung in Turin und der
Epiphanie in englischem Privatbesitz8 gehören derselben Hand an. Es ist wenig wahrscheinlich,

dings ist es auffällig, bei einem und demselben Altar einer Flucht nach Ägypten und einer Ruhe auf der Flucht zu be-
gegnen.

1 Von einem dieser anonymen Nachahmer des Patinirschen Stiles rührt die Schlacht von Pavia der Wiener kaiserlichen
Gemäldegalerie her, deren Darstellung bis auf den Tiergarten genau mit alten Beschreibungen der Schlacht übereinstimmt.
Eine allerdings auf Leinwand gemalte und daher mit dem Wiener Bild nicht identische Wiedergabe dieser Schlacht besaß
schon die Statthalterin der Niederlande, Erzherzogin Margarete (Nr. 855, identisch mit Nr. 961 ihres Inventars, publ. im Jahr-
buch der kunsthistorischen Sammlungen des Ah. Kaiserhauses III, Wien 1885, Reg. 297g, S. CXVIII und CXXXI). Karel van
Mander (Floerke I, S. 158) sah eine miniaturartig ausgeführte Schlachtendarstellung Patinirs bei dem Sammler Melchior
Wijntgis in Middelburg. Das Wiener Bildchen ist publiziert von Willis a. a. O.

- Das Bild ist in Friedländers Liste der Werke Patinirs aufgenommen. Heidrich (Altniederländische Malerei, Jena 1910,
S. 272) stellte bereits fest, daß die Figuren an den Meister der weiblichen Halbfiguren erinnern, zog aber aus dem Gesehenen
nicht die Folgerung sondern setzte das Gemälde in die letzte Zeit Patinirs. — Nur Scheibler (Repertorium 1904, S. 538)
schrieb die Staffagcfigürchen einer anderen Hand zu, was aber völlig ausgeschlossen erscheint.

3 Friedländer, Von Eyck bis Bruegel, S. 107 f.

4 Abgebildet in Madsens Katalog der Kopenhagener Galerie 1904, Nr. 238 b, S. 104.

5 Abgebildet in Poynters National-Gallery II, p. 192, Nr. 720 als «Scorel». Der Johannes auf Pathmos abgebildet
ebenda II, Nr. 717, p. 81 als «Patinir».

' Früher in der Sammlung Rath in Budapest, abgebildet in Friedländers Meisterwerken, Taf. 78.
7 Abgebildet ebenda, Taf. 79.

* Photographiert von Hanfstaengel, Nr. Ii 15, aus dem Besitze von Sir Henry H. Howorth als «Scorel».
 
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