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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0164
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Ludwig von Baldass.

zwischen dem Schiffbruch des Herri met de ßles in Neapel und dem Seesturm aus ßruegels spä-
terer Zeit in der Wiener kaiserlichen Gemäldegalerie.1 In der Einheitlichkeit der Ansicht übertrifft es
weit die Blessche Schöpfung. Aber in der starken Aufsicht auf die See, in dem gedrängten Bei-
einander der Schiffe und in der Stilisierung der Oberfläche des Meeres erinnert es noch an jenes
Werk. Andererseits bereitet die schwere Bildung der düsteren Wolkenmassen und das stilisierte
Herausheben der spitzen weißen Wellenkämme auf das Wiener Bild vor. Die Wiedergabe der
Schifte erinnert nicht nur an die Stichfolge der Seeschiffe sondern auch an ein kurz vor dem Kriege
neu aufgetauchtes und vom Brüsseler Museum erworbenes Gemälde des Meisters. Auch die Küsten
des Hintergrundes sind auf beiden Bildern sehr ähnlich gebildet. Die phantastischen Details der Brüs-
seler Ideallandschaft (Fig. 35), der ein Sturz des Icarus zum Bildtitel dienen muß, erinnern in ihrer
etwas summarischen Art noch an Patinir und Herri met de Bles. Die Komposition des Bildes
verrät noch eine gewisse Unbeholfenheit. An die schiefe Ebene der weiten Meerlandschaft stößt
unvermittelt die Vordergrundkulisse an, aus der freilich schon der ganze Zauber Bruegelscher
Naturempfindung uns entgegenströmt. Während die Vedute des Neapeler Hafens noch in Italien
oder kurz nach der Rückkehr nach Antwerpen gemalt worden sein dürfte, ist das Brüsseler Bild wohl
einige Jahre später, aber jedenfalls vor der 155g einsetzenden Reihe der großen Gemälde entstanden.2
Die Kupferstich folge der großen Landschaften, die Hieronymus Cock nach Vorlagen Bruegels
herausgab, ist für die Entwicklungsgeschichte der niederländischen Landschaft noch bedeutend wich-
tiger als diese beiden Bilder. Die Folge entbehrt zwar jedes Datums; doch dürfte man kaum fehl-
gehen, wenn man ihre Entstehung ins sechste Jahrzehnt setzt,3 in dem Bruegel nur ausnahmsweise
zum Pinsel griff und im wesentlichen als Illustrator der Cockschen Offizin tätig war. Der
Künstler verwendete zum Teil gezeichnete Studien aus seiner großen Reise, zum Teil schöpfte
er aus der Erinnerung und der Phantasie. Die Staffage wird völlig zur Nebensache, sie ist zu-
meist rein genremäßiger Natur und scheint nur auf Wunsch des Verlegers hineingesetzt zu sein, um
einen schönen lateinischen Titel zu erhalten. Die Landschaften schließen komposiüionell an die von
Cornelis Massys und Matthijs Cock erreichte Entwicklungsstufe an. Während bei einzelnen Blättern
die starke Aufsicht noch etwas unmotiviert wirkt und die Einheitlichkeit des Augpunktes nicht
gewahrt erscheint, sind andere so übersichtlich angeordnet, daß die reifsten Werke der Vorläufer
übertroffen sind. Wie schon bei einzelnen Zeichnungen der italienischen Reise wird ein hoch-
gelegener Vordergrund gewählt, von dem aus das Terrain der Bildtiefe zu sich herabsenkt, um
dann wieder emporzusteigen und dem Auge einen weiten Ausblick darzubieten. Wieder wie bei
den letzten Werken Patinirs kann von Weltlandschaften gesprochen werden. Aber die einzelnen
Bildbestandteile sind nicht mehr gleichwertig aneinandergereiht sondern einer großen Kompositions-
idee unterworfen. Die Stiche: «Solicitudo rustica», «Euntes in Emaus» (Fig. 36) und «Milites re-
quiescentes» können als die klarsten Repräsentanten dieses neuen Stils gelten. In erster Linie ist es das

den Besitz des Rubens. In seinem Nachlaßinventar findet sich: «une piece repre'sentant de petits bateaux, faite en de'trempe,
du dit Vieux Brueghel.» S. Bastelaer et de Loo, Peter Bruegel l'ancien (Bruxelles 1907), p. 32g, 333, B. 10, B. ig.

1 Der Wiener Seesturm steht koloristisch der Folge der vier großen Landschaften am nächsten. Eine genauere Datie-
rung ist schwierig, da es sich um ein nicht fertiggestelltes Bild handelt. Offenbar war eine Auswerfung des Jonas und
seine Verschlingung durch den Walfisch geplant. Für unsere Kenntnis der Bruegelschen Technik ist das Gemälde von
größtem Wert.

2 Das Gemälde ist vielleicht identisch mit dem Bilde «Eine Historia vom Daedalo und Icaro vom ölten Prügb des
Prager Inventars von 1621 und «Ein Landtschaff't. Dedalo und Icaro» des Dudikschen Verzeichnisses von 1647/48. S. de
Loo, B. 27, p. 340. Die hohe Qualität des Brüsseler Bildes scheint es mir völlig auszuschließen, daß in dem Steinschneiden
der ehemaligen Sammlung Gerhard in Budapest (abgebildet in Lepkes Auktionskatalog, Berlin igil, Taf. 9) ein Original-
gemälde des Meisters sich erhalten habe. Die Signatur: «P. bruegel 1556» befindet sich nicht wie sonst in einer unteren
Ecke des Bildes sondern ebenso wie auf dem verwandten Stich des Narrenhauses (van Bastelaer ig2, dat. 1557) auf einem
an die Wand angehefteten Siegelbrief, also an einer Stelle, wo sie sehr wohl von dem höchst mäßigen Kopisten übernommen
werden konnte. Für die Eigenhändigkeit tritt hingegen Friedländer (a. a. O., S. i63 f.) ein.

3 Dafür spricht auch die Namensform: BRVEGHEL, die nach 1559 nicht mehr vorkommt. — Es entbehrt jeder Be-
gründung, wenn Axel Romdahl (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen XXV, S. 150) die Vorlagen zu den Stichen:
«Fuga Deiparae in Aegyptum» und «Nundinae Rusticorum» vor der italienischen Reise entstanden wissen möchte.
 
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