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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0166
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Ludwig von ßaldass.

Mittel der diagonalen Parallelinien, das der Landschaft zur ruhigen freien Entfaltung verhilft. Gegen-
über den Werken der Vorläufer ist nicht nur die Komposition übersichtlicher und großzügiger gewor-
den, auch die Naturauffassung hat sich geändert. Während die zwischen 1525 und 1550 entstandenen
Landschaftsbilder in erster Linie auf der Tradition beruhen und nur ausnahmsweise und auch da
wieder zumeist im Detail auf die Natur selbst zurückgreifen, schlägt das tiefgehende, auf die Ge-
samtstimmung gerichtete Naturempfinden Bruegels selbst durch die künstlerisch wenig hervorragende
Umsetzung in den Kupferstich gewaltig durch. Die meisten der Blätter zehren von dem großen Er-
lebnis der Alpenreise. Andere aber, vor allem der ,«Pagus nemorosus», beweisen ein warmes Ver-
ständnis' für den nordischen Wald, für das niederländische Dorf, kurz für die intimen Reize der
Heimat. Schon beim Braunschweiger Monogrammisten und bei Cornelis Massys erkannten wir
vereinzelte Bestrebungen, die auf einen naturalistischen Bildausschnitt hinstrebten. Der «Pagus
nemorosus» bedeutet einen großen Schritt nach vorwärts. Wie sehr dieser Schritt im Geiste der
Zeit lag, beweisen die beiden 1559 und 1561 von Hieronymus Cock edierten Stichfolgen mit Dorf-
ansichten aus der Umgebung von Antwerpen, die oft fälschlich auf Zeichnungen Bruegels zurück-
geführt wurden, in Wahrheit aber auf Naturstudien von Cornelis Cort zurückgehen.1 Reine Natur-
studien sind auch zumeist die aus den Sechzigerjahren datierenden Landschaftszeichnungen Bruegels.
Aus diesem Jahrzehnt stammt eine einzige graphische Landschaftsdarstellung, die berühmte Original-
radierung der Hasenjagd von 1566. Die Kompositionsweise der großen Landschaften ist hier zur
höchsten Blüte entfaltet.

Wie die landschaftlichen Kompositionen, die Bruegel nach seiner Rückkehr von Italien für
die Cocksche Offizin entwarf, völlig aus der Kunst seiner Vorgänger von Patinir bis Matthijs Cock
herausgewachsen sind, so beruhen seine für den Stich geschaffenen figürlichen Blätter religiösen,
allegorischen und sittenbildlichen Inhalts ganz auf dem Studium der Werke des Hieronymus Bosch.
Wie kein anderer Meister seiner Zeit hat dieser größte und eigenartigste niederländische Künstler
des Jahrhunderts die Schöpfungen seiner Vorläufer aufs intensivste studiert. Seine freie Naturbeob-
achtung, sein tiefes Stilempfinden und seine ungeheuere Phantasie bewahrten ihn davor, je allzustark
in das Fahrwasser eines einzelnen Vorbildes zu geraten und seiner eigenen Individualität untreu zu
werden.

Mit dem Jahre 155g beginnt und mit dem Jahre 1568 schließt die Serie der großen Gemälde
Bruegels. Wenn den ersten unter diesen großen Tafeln noch viel von dem Bilderbogenhaften der
allegorischen Stiche anhaftet, so erheben sich die letzten zu vollster räumlicher Freiheit. Die Dar-
stellung der chronologischen Entwicklung ist verhältnismäßig leicht, da zwanzig Gemälde — der
weitaus größere Teil des erhaltenen Werkes — das Datum neben der Signatur tragen. Da aber
die von Bruegel behandelten Gegenstände so mannigfacher Natur sind, empfiehlt sich eher die Be-
trachtung nach inhaltlichen und formalen Problemen.

Der ganz aus der Tradition herausgewachsene Künstler scheute sich niemals, Anregungen
von außen anzunehmen, da er die Fähigkeit besaß, sie völlig zu verarbeiten. In einzelnen Bildern,
vor allem im Brüsseler Engelsturz von 1562, in der «Dulle Griet» von 1564 bei Mayer van den
Bergh und in dem Meisterwerk des Triumphes des Todes im Prado, wird das tiefe Erlebnis der
Kunst des Hieronymus Bosch besonders deutlich offenbar. In der Wiener Kreuztragung lehnt
sich Bruegel ganz offenkundig an die Kompositionsart des Braunschweiger Monogrammisten an.2
Die beiden großfigurigen Wiener Bilder der l^auernhochzeit und Bauernkirmes3 schließlich scheinen

1 Vgl. Burchard, a. a. ü., Sp. 228, und im VII. Bande von Thiemes Künstlerlexikon. Der Zeichenart des Cornelis Cort
sehr nahe steht der «H. Cock excu. 1562» bezeichnete Stich mit einer Stadt am Flußufer (h. j4*5, br. 40'5 cm, ein Exemplar
im kunsthistorischen Hofmuseum), den van der Kellen fälschlich als Bruegel katalogisierte (s. Haberditzl, Kunstgeschichtliche
Anzeigen 1910, S. 53).

2 S. Glück, Peter Bruegels d. Ae. Gemälde im kunsthistorischen Hofmuseum, Brüssel 1910, S. 9.

' Die beiden Gemälde, von denen nur die Hochzeit aus der Sammlung Leopold Wilhelms stammt, während der Tanz
zuerst 1748 in der weltlichen Schatzkammer erwähnt wird, sind ursprünglich nicht Gegenstücke, sondern erst im XVIII. Jahr-
hundert durch Anstückung des Hochzeitsbildes am unteren Rande dazu gemacht worden. Karel van Mander (Floercke I
 
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