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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0168
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'56

Ludwig von Baldass.

Allegorie des vlämisehen Volkes, das unbekümmert um die brennenden Dörfer und Burgen noch
unter dem drohenden Galgen sich fröhlich dem Tanze hingibt, ist die weite Ferne von einem be-
sonders zauberhaften Duft umhaucht.

Es ist eine der größten Genialtaten Bruegels, daß er stets — auch hierin einer Anregung
des Hieronymus Bosch folgend — die Landschaft ganz der Gefühlsstimmung seiner Gegenstande
anpaßt. In strenges, schauriges, wüstenartiges Gelände versetzt uns seine Allegorie des Todes im
Prado. In zerklüftetem Felsental zwischen ernsten Fichtenwäldern wogt auf dem Wiener Bilde
von 1565 1 die Schlacht auf dem Gebirge Gilboa. Durch romantische Bergschluchten, tief in phan-
tastische Felsenspalten hinein bewegt sich auf dem 1567 datierten Gemälde der Wiener Galerie der
Zug Sauls über das Gebirge. Tiefe Waldesruhe umschließt auf der Predigt des Johannes von 1566
beim Grafen Batthiänyi in Csäkany den Täufer und seine Zuhörer.2 Gegenstand und Form bilden
bei Bruegels Gemälden eine absolute Einheit. Was den Künstler in erster Linie interessiert, —
hierin ist er ganz Kind seiner Zeit — ist nicht das Individuelle sondern das Typische, nicht das
Zufällige sondern das Bleibende, ist nicht das Einzelne sondern die Gesamtheit. So geht auf der
Volkszählung in Bethlehem die heilige Familie in dem Gewirr der Herbeiströmenden unter, so
wird bei der Kreuztragung und der Bekehrung Pauli der Zug als einheitliches Ganze zum Haupt-
inhalt, so ist es dem Meister bei der Predigt Johannis in erster Linie nicht um die Figur des Täu-
fers sondern um das Zusammenschließen der Zuhörer zu einer einheitlich interessierten, lebhaft
aufmerkenden Menge zu tun. Bei allen historischen Bildern Bruegels ist restlos die innere Ein-
heit der Darstellung gewahrt. Eine Ausnahme machen die gemalten Darstellungen niederländischer
Sprichwörter, bei denen der Beschauer in didaktischer Absicht von einer Hauptperson laut apo-
strophiert wird.

Aus der letzten Zeit des Meisters sind vier Originalgemälde dieser Art auf uns gekommen:
der Misanthrop3 und die 1568 datierten Blinden, beide in Neapel, der Vogeldieb von 1568 in
Wien4 und der schlechte Hirt in der Sammlung Johnson zu Philadelphia.5 Während die zwölf
kleinen Rundbilder mit Sprichwörtern von 1558 in der Sammlung Mayer van den Bergh zu Ant-
werpen noch ganz neutrale Hintergründe aufweisen, erstrecken sich auf diesen vier Bildern hinter
den Figuren reine niederländische Flachlandschaften (Fig. 37), die ganz der Heimaterde Bruegels
entnommen sind.6 Mit der Darmstädter Landschaft gehören sie zum Kühnsten und malerisch
Freiesten, was der Künstler geschaffen hat. Es gibt kaum Werke des sechzehnten Jahrhunderts,
bei denen die Wirkungen von Luft und Licht so überraschend beobachtet und auf so feine
Weise wiedergegeben sind wie bei diesen Gemälden. Auch diesen Sprichwörtern haftet jene
absolute Einheit der Raumansicht an, die die Wiener Kermesse so hoch über die früheren Werke
erhebt.

1 Eine genaue Untersuchung und Reinigung ergab folgende authentische Inschrift: SAVL XXXI CAPIT.....BRVE-

GEL MCCCCCLXV. Die historische Begebenheit wird im 3i. Kapitel des ersten Buches Samuelis erzählt. Die Inschrift ver-
liert sich am unteren Rande des Originalbrettes. Daran ist eine I cm breite Holzleiste in späterer Zeit angesetzt worden.
Auch am oberen Bildrande ist so eine falsche Anstückung in der Breite von ca. 4 cm festzustellen.

2 Publiziert von Kenczler: Zeitschrift f. bild. Kunst, N. F. XXV, S. 38.

3 de Loo (A. 10, p. 289) gibt 1565, der Neapeler Katalog von Rinaldis (1911) 1568 als Datum des Bildes an. Letztere
Jahreszahl erscheint aus stilkritischen Gründen wahrscheinlicher.

4 Die Signatur: BRVEGEL MDLXVHI links unten war unter dem Falz des Rahmens verdeckt, ist aber auch auf der
Gravüre, die in dem Tafelband von Bastelaer und de Loo und in dem Buche Gustav Glücks (Peter Bruegels d. Ae. Ge-
mälde im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien, Brüssel 1910) enthalten ist, deutlich lesbar.

J Das von de Loo als Werk Bruegels ausführlich beschriebene Gemälde ist vielleicht identisch mit dem Bilde
Nr. 83o «Ein Schafhirt vom Peter Prügel, alten» des Prager Inventars von 1621. Es findet sich merkwürdigerweise nicht
in Friedländers Liste. Ich urteile leider nicht nach Autopsie, doch ist die Komposition zweifelsohne ganz vom Meister selbst.

6 Eine der wundervollsten Landschaftskompositionen Bruegels, der Hochzeitszug, der gleichfalls eine ganz weite Flach-
landschaft aufweist, scheint im Original nicht erhalten zu sein. Das Exemplar der Sammlung Spencer-Churchill auf Northwick-
Park (publiziert in der Arundel-Society 1912, Nr. 12) kann infolge der mangelhaften Zeichnung und der zu schweren und
dabei zu wenig bestimmten Farbgebung nicht für ein Werk von Bruegels Hand gelten. Auch Friedländer (a. a. O., S. 165 1
lehnte es in seiner autoritativen Weise ab.
 
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