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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Oldenbourg, Rudolf: Die Nachwirkung Italiens auf Rubens und die Gründung seiner Werkstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0174
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i6o

Rudolf Oldenbourg.

zu bringen hatte. Streng konservativ erzogen, nimmt er das Erbe des Romanismus, dieser riesigen,
unverdauten Ansammlung ausländischer Kunstformen, die so manches schöne Talent vor ihm
zermalmt hatte, auf seine Schultern und stellt zunächst nichts anderes dar als die reine Frucht
und Erfüllung der bedenklich oberflächlichen Ideale dieser wenig bodenständigen Richtung. Was
er in Italien gesehen und erfahren hatte, war durchaus nicht geeignet, ihn zu klären oder ihm
die Neubelebung des immer mehr verknöchernden Romanismus unmittelbar zu erleichtern; denn
in dem jung emporschießenden römischen Naturalismus traf er auf Ideen und Errungenschaften,
die den Normen seiner Schule grundsätzlich widersprachen und den vollen Einsatz seiner
schöpferisch umbildenden Kraft erforderten, um mit ihnen in Einklang gebracht zu werden. Zu-
dem treten dann gleich nach der Rückkehr von Italien als einschneidende Bedingungen seines
Schaffens die Forderungen des Publikums hinzu, die, man fasse sie als Zwang oder Beflügelung
auf, doch immer die künstlerische Überwindung gewisser materieller Ansprüche erheischten.

Wenn Rubens sich schon damals unter dem Ansturm verschiedenartigster Eindrücke, Nö-
tigungen und Ansinnen immer sieghaft durchsetzt, so war dazu einerseits das überlegene Ver-
ständnis erforderlich, mit dem sein ungewöhnliches Auffassungs- und Anpassungsvermögen sich
alle äußeren Anregungen nutzbar zu machen verstand; anderseits mußte ihn straffe Selbstzucht,
die alle Fähigkeiten seines Talentes und Könnens einem bewußten Wollen unterstellte, vor ufer-
loser Breite und Verflachung schützen. Das Zusammenwirken und Ineinandergreifen dieser beiden
Fähigkeiten, die uns auf die eingangs festgestellten Gesichtspunkte zurückführen, setzt am Ende
des italienischen Aufenthaltes zunächst in lebhaftem Gegenspiel ein und klärt sich in den folgenden
Jahren zu einer festen, zielbewußten Organisation, deren Wesen zu ermitteln das Ziel unserer Be-
trachtung bilden soll.

* *
*

Zunächst bedarf das Anfangsdatum der hier abgesteckten Zeitspanne durch einen kurzen
Rückblick auf das Vorausgegangene der näheren Begründung.

Der niederländische Manierismus, in dem Rubens aufgewachsen war, sah in seinen Vorbil-
dern— den Klassikern des Cinquecento — nicht eine Erfüllung sondern eine Verheißung und glaubte
unvermittelt da anknüpfen zu können, wo jene aufgehört hatten. Er erzog also im vollsten Sinn
von Leonardos Ausspruch nur «Enkel der Natur» und auch die besten Talente dieser Schule quäl-
ten sich unfrei in der Abhängigkeit von fremden Gesetzen. In dem unerschütterlichen Glauben
an einen allgemein gültigen Schönheitskanon, der durch die Antike und die großen Meister der
Renaissance gewährleistet sei, ließen sie sich selbst durch den starken Mahnruf eines Brueghel
nicht zur Abkehr von ihren blutlosen Idealen bewegen sondern forderten mit zäher Uberzeugung
auch für ihr Land eine der italienischen Hochrenaissance entsprechende Kunstblüte, wobei ihr starr
nach südlichen Vorbildern orientiertes Streben das Recht der Gegenwart und der Persönlichkeit,
dem Brueghel so kräftig zur Geltung verholfen hatte, schroff von der Hand wies.

Erst von dem vorgefaßten Ideal aus schritt man zur Beobachtung der Natur; durch tastende
Versuche, Studien und Skizzen mit ihren Erscheinungen in Fühlung zu treten, wurde bloß als
Mittel für höhere Zwecke angesehen. Ohne den gesunden Sinn für objektive Wirklichkeit, den
die germanische Rasse nun einmal nicht ganz verleugnen kann und der auch die Romanisten bei
allem Streben nach der reinen Form immer wieder, wenn auch unbewußt und wider Willen, zur
Natur hinzog, hätte die ganze Schar dieser «sehnsuchtsvollen Hungerleider nach dem Unerreich-
lichen», entmannt durch ihre unfruchtbaren Leitsätze, schon in der Mitte des XVI. Jahrhunderts
absterben müssen. So aber ist ihr naturalistisches Empfinden als Unterströmung immer am Werk
und die Inkongruenz ihres Wollens und Vermögens ergibt jenes fratzenhafte Wesen, das Alois
Riegl so treffend an ihnen festgestellt hat.

Rubens war streng im Sinn der alten Kunstdogmen von einem ihrer reinsten Vertreter er-
zogen worden. Bei der Verleugnung der eigenen Person, die der Romanismus zugunsten der klas-
 
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