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Rudolf Oldenbourg.
Naturalismus in den Formen des Südens — im Gegensatz zu Pieter Brueghel — keinen grund-
sätzlichen Bruch mit den bisher geltenden Anschauungen sondern erlaubte ihm, bei voller Erneue-
rung des Inhaltes das früher Erlernte beizubehalten. Mochten die italienischen Klassizisten Cara-
vaggio in ähnlichem Sinne ablehnen, wie die niederländischen Brueghel negierten, so sah doch
Rubens den Realismus des Lombarden gemildert durch das südliche Element, das ihm von jeher
als vorbildlich gegolten hatte. Tatsächlich lag es Caravaggio so fern wie irgendeinem Italiener,
die nüchterne Wirklichkeit um ihrer selbst willen darzustellen, weshalb man ihn nicht ohne Recht
als Pseudo-Naturalisten bezeichnet hat. Bei schärfster Beobachtung des Einzelnen sollte schließlich
Fig. 6. Nachzeichnung nach Rubens, Das Wunder der hl. Walpurga.
Wien, Albertina.
doch alles nur einer erhebenden Idee dienen und das Gewand des schmutzigen Alltags war nur
darauf berechnet, selbst dem skeptischen Gemüt das Übernatürliche greifbar nahezurücken. Mit
allen Mitteln, selbst durch grelle, geräuschvolle Sensation sollte der Beschauer aufgerüttelt und in
die dargestellten Ereignisse hineingezogen werden. Die Ziele eines Brueghel, überhaupt des nor-
dischen Naturalismus im Sinn des umständlichen Erzählens und Belehrens mußten dem Italiener
trivial erscheinen und Caravaggio insbesondere sah in der Wirklichkeit nur das Mittel, einen
pathetischen Gegenstand packend zu gestalten.
Unter dieser Form konnte der Realismus auch einem gesinnungstreuen Romanisten an-
nehmbar erscheinen. Man unterschätze nicht diesen vermittelnden Gedankengang, indem man
dem Genie jeden beliebigen, für recht erkannten Schritt leichthin zuerkennt. Aus dem Gesamtbild
von Rubens' Entwicklung geht hervor, daß er teils von Natur, teils durch Erziehung streng kon-
servativ war und sich nur in enger Verknüpfung mit dem Vorausgegangenen fortbewegte. Nie
Rudolf Oldenbourg.
Naturalismus in den Formen des Südens — im Gegensatz zu Pieter Brueghel — keinen grund-
sätzlichen Bruch mit den bisher geltenden Anschauungen sondern erlaubte ihm, bei voller Erneue-
rung des Inhaltes das früher Erlernte beizubehalten. Mochten die italienischen Klassizisten Cara-
vaggio in ähnlichem Sinne ablehnen, wie die niederländischen Brueghel negierten, so sah doch
Rubens den Realismus des Lombarden gemildert durch das südliche Element, das ihm von jeher
als vorbildlich gegolten hatte. Tatsächlich lag es Caravaggio so fern wie irgendeinem Italiener,
die nüchterne Wirklichkeit um ihrer selbst willen darzustellen, weshalb man ihn nicht ohne Recht
als Pseudo-Naturalisten bezeichnet hat. Bei schärfster Beobachtung des Einzelnen sollte schließlich
Fig. 6. Nachzeichnung nach Rubens, Das Wunder der hl. Walpurga.
Wien, Albertina.
doch alles nur einer erhebenden Idee dienen und das Gewand des schmutzigen Alltags war nur
darauf berechnet, selbst dem skeptischen Gemüt das Übernatürliche greifbar nahezurücken. Mit
allen Mitteln, selbst durch grelle, geräuschvolle Sensation sollte der Beschauer aufgerüttelt und in
die dargestellten Ereignisse hineingezogen werden. Die Ziele eines Brueghel, überhaupt des nor-
dischen Naturalismus im Sinn des umständlichen Erzählens und Belehrens mußten dem Italiener
trivial erscheinen und Caravaggio insbesondere sah in der Wirklichkeit nur das Mittel, einen
pathetischen Gegenstand packend zu gestalten.
Unter dieser Form konnte der Realismus auch einem gesinnungstreuen Romanisten an-
nehmbar erscheinen. Man unterschätze nicht diesen vermittelnden Gedankengang, indem man
dem Genie jeden beliebigen, für recht erkannten Schritt leichthin zuerkennt. Aus dem Gesamtbild
von Rubens' Entwicklung geht hervor, daß er teils von Natur, teils durch Erziehung streng kon-
servativ war und sich nur in enger Verknüpfung mit dem Vorausgegangenen fortbewegte. Nie