Die Nachwirkung Italiens auf Rubens und die Gründung seiner Werkstatt.
gehen konnte, keinen Zweifel darüber bestehen, wohin ihn seine Neigung trieb. Der Vorgang ist
ein aus dem Leben gerissener Moment: nichts scheint im Aufbau vorausbedacht — der eine Greis
wird sogar hart vom Rahmen durchschnitten —, aber alles trifft zusammen im Brennpunkt der
Handlung, zu deren Gunsten das Unwesentliche in tiefem Schatten abgeblendet bleibt. Der Körper
des nackten Weibes sowie die beiden Alten bieten sich in harten, willkürlichen Verkürzungen dar,
von Umrissen ist keine Spur mehr, auch nicht von Schönfarbigkeit; dafür kommt der Inhalt der
Erzählung, die schmerzliche Empörung der-Frau, die sich nackt den Blicken der brutalen Männer
preisgegeben sieht, mit einem überzeugenden Ernst zum Ausdruck, dem sich nichts vergleichen
Fig. 9. B. Sprangher, Loth und seine Töchter.
Stich von Jan Muller.
kann, was Rubens bisher gemalt hatte. Hier beginnt also ein neues Leben für ihn, und da das
Schicksal der flämischen Malerei in seiner Hand lag, auch für diese.
Caravaggios Bedeutung für Rubens liegt demnach viel tiefer, als durch spezielle Ähnlichkeit
in den Werken der beiden Künstler nachgewiesen werden kann. Rubens hat mehr als irgendein
anderer sein Wesen erkannt und sich zueigen gemacht; denn er bleibt nicht bei der Nachahmung
seiner Mittel stehen, ja er geht überhaupt nur mit Vorbehalt auf sie ein, läßt sich dafür aber die
Augen öffnen für das greifbare, volle Menschenleben, das ihm die klassische Kunst nur in seinen
allgemeinsten Zusammenhängen zu sehen erlaubt hatte. Damit erwacht sein und seiner ganzen
Rasse tiefstes Empfinden, das, von jetzt an allmählich nach außen dringend, seine Ausdrucksmittel
und -formen einheitlich durchgährt und in die rechte innere Beziehung zu seiner Person bringt.
Der Gehalt an materieller und psychischer Wirklichkeit und mit ihm die Erschütterung des Be-
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gehen konnte, keinen Zweifel darüber bestehen, wohin ihn seine Neigung trieb. Der Vorgang ist
ein aus dem Leben gerissener Moment: nichts scheint im Aufbau vorausbedacht — der eine Greis
wird sogar hart vom Rahmen durchschnitten —, aber alles trifft zusammen im Brennpunkt der
Handlung, zu deren Gunsten das Unwesentliche in tiefem Schatten abgeblendet bleibt. Der Körper
des nackten Weibes sowie die beiden Alten bieten sich in harten, willkürlichen Verkürzungen dar,
von Umrissen ist keine Spur mehr, auch nicht von Schönfarbigkeit; dafür kommt der Inhalt der
Erzählung, die schmerzliche Empörung der-Frau, die sich nackt den Blicken der brutalen Männer
preisgegeben sieht, mit einem überzeugenden Ernst zum Ausdruck, dem sich nichts vergleichen
Fig. 9. B. Sprangher, Loth und seine Töchter.
Stich von Jan Muller.
kann, was Rubens bisher gemalt hatte. Hier beginnt also ein neues Leben für ihn, und da das
Schicksal der flämischen Malerei in seiner Hand lag, auch für diese.
Caravaggios Bedeutung für Rubens liegt demnach viel tiefer, als durch spezielle Ähnlichkeit
in den Werken der beiden Künstler nachgewiesen werden kann. Rubens hat mehr als irgendein
anderer sein Wesen erkannt und sich zueigen gemacht; denn er bleibt nicht bei der Nachahmung
seiner Mittel stehen, ja er geht überhaupt nur mit Vorbehalt auf sie ein, läßt sich dafür aber die
Augen öffnen für das greifbare, volle Menschenleben, das ihm die klassische Kunst nur in seinen
allgemeinsten Zusammenhängen zu sehen erlaubt hatte. Damit erwacht sein und seiner ganzen
Rasse tiefstes Empfinden, das, von jetzt an allmählich nach außen dringend, seine Ausdrucksmittel
und -formen einheitlich durchgährt und in die rechte innere Beziehung zu seiner Person bringt.
Der Gehalt an materieller und psychischer Wirklichkeit und mit ihm die Erschütterung des Be-
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