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Rudolf Oldenbourg.
Wenn irgendein Werk von Rubens, so verdient die «Kreuzabnahme» klassisch genannt zu werden.
Ihre wiederholt festgestellte Verwandtschaft mit dem bekannten Fresko des Daniele da Volterra in
S. Trinitä ai Monti liegt denn auch vor allem in ihrem rein romanistischen Charakter: dem Hervor-
treten des strengen Aufbaues mit scharf berechnetem Abstand und Zusammenschluß der Figuren,
neben dem sich malerische Momente nur bescheiden durchzusetzen vermögen. Statt der etwas ver-
zettelten Komposition des Daniele bringt Rubens jedoch einen geschlossenen Figurenkomplex von
einheitlichem Wollen, jenes fest zusammenhängende, fließende Ineinanderwirken der handelnden Per-
sonen, das später auch sein «Jüngstes Gericht» von dem des Michaelangelo so markant unterscheidet
Kassel, Gemäldegalerie.
und, wenn auch aus dem Empfinden einer hundert Jahre jüngeren Generation geboren, Raffael
viel näher steht als den Meistern des Barocks. Wie wenig Rubens überhaupt in dieser Zeit als
führend in der Bewegung des Barocks anzusehen ist, lehrt ein Blick auf den 1612 verstorbenen
Baroccio, neben dessen Werken die «Kreuzabnahme» den strengsten Konservativismus bedeutet.
In den folgenden Arbeiten drängt sich das Schematische des Aufbaues sogar immer stärker her-
vor und läßt die stofflichen Interessen geradezu verkümmern. Man wird sich die Auferstehung kaum
nüchterner aufgefaßt denken können als in dem Epitaph des Jan Moretus in der Antwerpener Kathe-
drale, das Rubens Anfang 1612 gemalt hat (Fig. 21).1 Er muß selbst die Härte in der Figur des
Erlösers mit dem nachziehenden Bein und in den mühsam gestellten Schergen empfunden haben;
denn in einer Illustration des Breviars von 16142 (Fig. 22) mildert er sie, allerdings nicht, indem er
die ganze Szene leichter und beweglicher gestaltet, sondern indem er auch in der Christusfigur auf den
1 Quittung vom 27. April 1612.
2 Die Quittungen für die einzelnen Stiche C. Galles, die vom September 1612 bis Februar 1614 laufen, hat Rooses,
Oeuvre V, Nr. 1250—1262, veröffentlicht.
Rudolf Oldenbourg.
Wenn irgendein Werk von Rubens, so verdient die «Kreuzabnahme» klassisch genannt zu werden.
Ihre wiederholt festgestellte Verwandtschaft mit dem bekannten Fresko des Daniele da Volterra in
S. Trinitä ai Monti liegt denn auch vor allem in ihrem rein romanistischen Charakter: dem Hervor-
treten des strengen Aufbaues mit scharf berechnetem Abstand und Zusammenschluß der Figuren,
neben dem sich malerische Momente nur bescheiden durchzusetzen vermögen. Statt der etwas ver-
zettelten Komposition des Daniele bringt Rubens jedoch einen geschlossenen Figurenkomplex von
einheitlichem Wollen, jenes fest zusammenhängende, fließende Ineinanderwirken der handelnden Per-
sonen, das später auch sein «Jüngstes Gericht» von dem des Michaelangelo so markant unterscheidet
Kassel, Gemäldegalerie.
und, wenn auch aus dem Empfinden einer hundert Jahre jüngeren Generation geboren, Raffael
viel näher steht als den Meistern des Barocks. Wie wenig Rubens überhaupt in dieser Zeit als
führend in der Bewegung des Barocks anzusehen ist, lehrt ein Blick auf den 1612 verstorbenen
Baroccio, neben dessen Werken die «Kreuzabnahme» den strengsten Konservativismus bedeutet.
In den folgenden Arbeiten drängt sich das Schematische des Aufbaues sogar immer stärker her-
vor und läßt die stofflichen Interessen geradezu verkümmern. Man wird sich die Auferstehung kaum
nüchterner aufgefaßt denken können als in dem Epitaph des Jan Moretus in der Antwerpener Kathe-
drale, das Rubens Anfang 1612 gemalt hat (Fig. 21).1 Er muß selbst die Härte in der Figur des
Erlösers mit dem nachziehenden Bein und in den mühsam gestellten Schergen empfunden haben;
denn in einer Illustration des Breviars von 16142 (Fig. 22) mildert er sie, allerdings nicht, indem er
die ganze Szene leichter und beweglicher gestaltet, sondern indem er auch in der Christusfigur auf den
1 Quittung vom 27. April 1612.
2 Die Quittungen für die einzelnen Stiche C. Galles, die vom September 1612 bis Februar 1614 laufen, hat Rooses,
Oeuvre V, Nr. 1250—1262, veröffentlicht.