Die Nachwirkung Italiens auf Rubens und die Gründung seiner Werkstatt.
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Vertiefung für das ganze weitere Schaffen des Meisters brachte. Und wirklich findet Rubens auch
um 1615 eine in jeder Beziehung harmonische Lösung des nämlichen Problems in der prachtvollen,
nur noch durch Vorstermans Stich bekannten Fassung (Fig. 3i). Hier gibt er nicht bloß einen
vollkommen abgerundeten Akt sondern er verbindet die Figuren inhaltlich in mannigfaltiger Weise,
indem der stehende Alte dem sich zusammenkrümmenden Weibe das Laken wegzureißen sucht und
der andere sich tiefer zu ihr beugt, um ihren Busen zu berühren. Die drei Figuren entfalten sich
frei und gleichwertig, und indem sie den Raum mühelos füllen, kommt jede nach ihrer Funktion
voll zu Worte.
Bevor aber Rubens diese Leichtigkeit
des Aufbaus erreichte, hatte er gerade in den
Jahren i6i3 und 1614 noch stark um die
stilistische Sicherheit der einzelnen Ausdrucks-
form zu ringen. Um sich vom Stoff nicht
abziehen zu lassen, variiert er am liebsten
von ihm selbst oder anderen Künstlern be-
reits gestaltete Gegenstände oder macht irgend-
eine bewährte Figur aus der Antike zum Mit-
telpunkt der Komposition. Dies ist zunächst
der Fall bei dem sogenannten «Tugendhelden»
in München (Fig. 32). In der schönen Fül-
lung der Bildfläche herrscht die der Antike
entlehnte Figur des Siegesgenius1 vor, die
mit Scheitel und Sohle den Bildrand berührt,
dabei aber im Gegensatz etwa zum Seneca
eine linear stark empfundene Verbindung mit
einer zweiten Figur eingeht. Die sitzende
Aktfigur, die hier etwas zusammenhanglos
auftritt, greift Rubens in der «Toilette der
Venus» beim Fürsten Liechtenstein (Taf. XX)
noch einmal auf, indem er einen tizianischen
Bildgedanken sehr persönlich neugestaltet.
An dieser Einzelfigur tritt fast noch klarer
als in der Komposition die formale Durchbildung des Details zutage in der geschmeidigen Gliede-
rung des Rückens, in den stark gebuchteten, nach rechts eindringenden Schatten, im linearen Reiz
des Konturs, der von der linken Achsel die Brust umschreibt, zur Hüfte auslädt und zum Schenkel
überführt, sowie überhaupt in der ungemein klaren Formgebung, die sich hier, abweichend von
anderen gleichzeitigen Arbeiten, mit einem geradezu triumphalen farbigen Glanz verschmilzt.
Die übereinstimmende Stellung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Figur noch einmal
ganz frisch vor dem Modell studiert worden ist, was allein schon für die verschiedene Art des
Sitzes, einmal auf dem Boden, das andere Mal auf einem Schemel, erforderlich war.
Ähnlich wie die Venus scheint auch der «David mit Goliath» der ehemaligen Leuchtenberg-
Galerie (Fig. 33) auf eine Zeichnung nach Tizian zurückzugehen; wenigstens ist die Erinnerung an
den «Kain» der Salutekirche in Venedig unverkennbar, und da uns von dem «Opfer Abrahams»
des nämlichen Soffito in der Albertina eine — allerdings stark überarbeitete — Nachzeichnung
von Rubens erhalten ist,2 so wird sich unter den von Italien heimgebrachten Zeichnungen auch
1 Abgeb. bei Haberditzl a.a.O., S. 291. Daß in dem Dresdener Exemplar, welches als das Original angesprochen zu
werden pflegt, nur eine spätere Variante des Münchener vorliegt, soll an anderer Stelle nachgewiesen werden.
2 Abgeb. bei Haberditzl a. a. O., Taf. XXVI.
Fig. 33. Rubens, David und Goliath.
Sticli von Muxel.
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Vertiefung für das ganze weitere Schaffen des Meisters brachte. Und wirklich findet Rubens auch
um 1615 eine in jeder Beziehung harmonische Lösung des nämlichen Problems in der prachtvollen,
nur noch durch Vorstermans Stich bekannten Fassung (Fig. 3i). Hier gibt er nicht bloß einen
vollkommen abgerundeten Akt sondern er verbindet die Figuren inhaltlich in mannigfaltiger Weise,
indem der stehende Alte dem sich zusammenkrümmenden Weibe das Laken wegzureißen sucht und
der andere sich tiefer zu ihr beugt, um ihren Busen zu berühren. Die drei Figuren entfalten sich
frei und gleichwertig, und indem sie den Raum mühelos füllen, kommt jede nach ihrer Funktion
voll zu Worte.
Bevor aber Rubens diese Leichtigkeit
des Aufbaus erreichte, hatte er gerade in den
Jahren i6i3 und 1614 noch stark um die
stilistische Sicherheit der einzelnen Ausdrucks-
form zu ringen. Um sich vom Stoff nicht
abziehen zu lassen, variiert er am liebsten
von ihm selbst oder anderen Künstlern be-
reits gestaltete Gegenstände oder macht irgend-
eine bewährte Figur aus der Antike zum Mit-
telpunkt der Komposition. Dies ist zunächst
der Fall bei dem sogenannten «Tugendhelden»
in München (Fig. 32). In der schönen Fül-
lung der Bildfläche herrscht die der Antike
entlehnte Figur des Siegesgenius1 vor, die
mit Scheitel und Sohle den Bildrand berührt,
dabei aber im Gegensatz etwa zum Seneca
eine linear stark empfundene Verbindung mit
einer zweiten Figur eingeht. Die sitzende
Aktfigur, die hier etwas zusammenhanglos
auftritt, greift Rubens in der «Toilette der
Venus» beim Fürsten Liechtenstein (Taf. XX)
noch einmal auf, indem er einen tizianischen
Bildgedanken sehr persönlich neugestaltet.
An dieser Einzelfigur tritt fast noch klarer
als in der Komposition die formale Durchbildung des Details zutage in der geschmeidigen Gliede-
rung des Rückens, in den stark gebuchteten, nach rechts eindringenden Schatten, im linearen Reiz
des Konturs, der von der linken Achsel die Brust umschreibt, zur Hüfte auslädt und zum Schenkel
überführt, sowie überhaupt in der ungemein klaren Formgebung, die sich hier, abweichend von
anderen gleichzeitigen Arbeiten, mit einem geradezu triumphalen farbigen Glanz verschmilzt.
Die übereinstimmende Stellung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Figur noch einmal
ganz frisch vor dem Modell studiert worden ist, was allein schon für die verschiedene Art des
Sitzes, einmal auf dem Boden, das andere Mal auf einem Schemel, erforderlich war.
Ähnlich wie die Venus scheint auch der «David mit Goliath» der ehemaligen Leuchtenberg-
Galerie (Fig. 33) auf eine Zeichnung nach Tizian zurückzugehen; wenigstens ist die Erinnerung an
den «Kain» der Salutekirche in Venedig unverkennbar, und da uns von dem «Opfer Abrahams»
des nämlichen Soffito in der Albertina eine — allerdings stark überarbeitete — Nachzeichnung
von Rubens erhalten ist,2 so wird sich unter den von Italien heimgebrachten Zeichnungen auch
1 Abgeb. bei Haberditzl a.a.O., S. 291. Daß in dem Dresdener Exemplar, welches als das Original angesprochen zu
werden pflegt, nur eine spätere Variante des Münchener vorliegt, soll an anderer Stelle nachgewiesen werden.
2 Abgeb. bei Haberditzl a. a. O., Taf. XXVI.
Fig. 33. Rubens, David und Goliath.
Sticli von Muxel.