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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Oldenbourg, Rudolf: Die Nachwirkung Italiens auf Rubens und die Gründung seiner Werkstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0225
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Die Nachwirkung Italiens auf Rubens und die Gründung seiner Werkstatt.

2 I I

gültiger Mitteilung und weitausladender Wirkung die freieste Entfaltung ermöglichte. — Erst jetzt
zeigt sich also mit voller Klarheit, daß der Romanismus für Rubens nicht bloß der Nährboden
seiner Jugendentwicklung war, dem er rasch entwuchs, um sich dem Barock des Südens in die
Arme zu werfen, sondern daß er an den alten Traditionen festhaltend sein Erbe mit freiem
Bewußtsein neugestaltet und es zum Organ jener Machtentfaltung über andere Individuen aus-
ersieht, mit der er in der Geschichte der Kunst fast einzig dasteht. Bei allen Bemühungen um neue
künstlerische Probleme schweift er
doch nie in unsicheres Gelände
ab sondern hält den Blick, ohne je
den traditionellen Rückhalt des
Romanismus preiszugeben, immer
auf das Erreichbare gerichtet;
daher seine ungeminderte Frucht-
barkeit auch zu einer Zeit, da er
durch peinliche Selbstkritik den
freien Schaffenstrieb nicht selten
lähmte und das Interesse für das
einzelne Werk den allgemeinen sti-
listischen Bemühungen gewaltsam
unterordnet. Denn tatsächlich bil-
det das Ausreifen von Rubens'
eigentümlicherTypikden we-
sentlichen Inhalt der Jahre 1611
bis 1614 und der produktive Nie-
derschlag dieser Zeit wird nur
dann voll gewürdigt werden kön-
nen, wenn man sich klarmacht, wie
jetzt der Stilwille seine syntheti-
sche Kraft im einzelnen zu bewäh-
ren und jede Form auf sich zu be-
ziehen beginnt, wie er das Über-
lieferte, überhaupt alle äußeren
Anregungen für seine Zwecke aus-
beutet und selbst das rein Tech-
nische durchdringt, das man so
leicht geneigt ist vom Künstle-
risch-Produktiven zu trennen.

Von früh auf besaß Rubens Anteil an jenem feinen zeichnerischen Schliff, an der dekorativ
stilisierten Linie, mit der die niederländischen Manieristen, wie Sprangher und Goltzius, am
Ende des XVI. Jahrhunderts die klassischen Vorbilder in spielerische, barock-gotische Schnörkeln
umgefaßt hatten. Aus ihrem gepflegten Linienduktus bildet er die satten Kurven und die voll-
gedrängten Umrisse, mit denen wir unwillkürlich den Begriff des Kraftvollen, Üppigen ver-
binden.

Er besitzt sie als Erbe seiner Schule schon in seinen frühesten Arbeiten, z. ß. den Aposteln
in Madrid, steigert sie in der Zeit der «Kreuzaufrichtung» zu wilder Übertreibung und führt sie in
den folgenden Jahren zu dem rhythmischen Gleichmaß, das fortan die unverkennbare Signatur
seiner Hand bildet, auch später nie schlaff oder süßlich wird sondern alles, was er berührt, in
einen nervigen Umriß spannt und in schwingender Bewegung hält. Sei es der menschliche Körper,
sei es ein Tier, eine Pflanze, ja der kalte Stein als Felsblock oder Architektur: allem teilt er schon

Fig. 47

Rubens, Die heilige Familie.
Stich von Vorsterman.
 
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