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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 35.1920-1921

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Baldass, Ludwig: Ein Frühwerk des Geertgen tot Sint Jans und die holländische Malerei des XV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6170#0014
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Ludwig von Baldass.

Aufbau der geschlossenen Gruppe, der stumpfen, leicht abgerundeten Führung des Konturs und in
der Faltengebung zeigt sich ein verwandtes Stilempfinden sondern auch in der Art, wie Maria in
die Knie bricht, und in dem eigenartig dumpfen, in sich versunkenen Ausdruck der Trauer.
Ebenso ist auf beiden Bildern die malerische Behandlung der fernen Berge eine sehr ähnliche.

Schließlich verbinden Analogien die St. Florianer Kreuzigung noch mit einem dritten Werke aus
der ersten Jahrhunderthälfte, mit einer nur in Kopien erhaltenen Kreuzigung (Fig. 4).1 Vor allem die
Gesamtanlage des Bildes scheint von dem älteren Werke inspiriert zusein. Auch auf diesem senkt sich der
Blick von der hügeligen Schädelstätte auf die Stadt Jerusalem hinab, so daß wir unmittelbar neben den
Füßen des Gekreuzigten die heimkehrenden Reiter vor dem Stadttore erblicken, und ist die Hori-
zontlinie der weiten Ferne ungefähr in der Höhe von Christi Lenden gezogen. Der Typus des
Gekreuzigten kommt ebenfalls diesem verschollenen Werke aurfallend nahe.

Die Kreuzigung in St. Flo-
rian ist das Werk eines hoch-
begabten Künstlers, aber immer-
hin das Werk eines Anfängers,
für den es höchst bezeichnend
ist, daß er an drei Werke eines
älteren Stils sich anlehnt, ihnen
Anregungen entnimmt, ja sie
zum Teil frei kopiert. Diese
drei Gemälde nun sind offenbar
Schöpfungen eines und desselben
Künstlers. Demselben Meister
wären dann noch die vorzüg-
lichsten Miniaturen der «Heures
de Turin et de Milan» (Fig. i3),
die Kreuzigung in Berlin und
die Komposition der drei Frauen
am Grabe — es erscheint zwei-
felhaft, ob das Bild in der Samm-
lung Cook zu Richmond das Ori-
ginal oder eine alte getreue Ko-
pie ist, — zuzuschreiben. Soweit
Fig. 3. Aelbert van Ouwater, Ausschnitt aus der Kreuzigung Christi. scheinen die Über diese Werke

St. Petersburg, Eremitage. bisher geäußerten Meinungen

übereinzustimmen. Strittig ist

nur noch die Zuschreibung an den Künstler, den verschiedene Gelehrte teils in Hubert van
Eyck,2 teils in dem jungen Jan van Eyck3 und teils in einem holländischen Schüler4 des Jan
van Eyck erkennen wollen. Die Entdeckung des Bildes aus St. Florian scheint nun die Schale

1 Schottmüller (Eine verlorene Kreuzigung von Jan van Eyck: Jahrbuch der k. preuß. Kunstsammlungen XXIII [1902],
S. 33 f.) publizierte eine italienische Kopie aus dem Museo civico zu Padua und Bodenhausen (Aus der Werkstätte des Hubert
van Eyck, ebenda XXVI [1905], S. Iii ff.) eine niederländische bei Baron Franchetti in Venedig. Dieser Forscher wies bereits
auf Beziehung zur holländischen Kunst hin. Auch im Gebetbuchfragment der Trivulziana rindet sich eine Wiederholung
dieser Komposition von einem Schüler des Hauptmeisters (eine Abbildung im Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsamm-
lungen XXXIX [1918], S. 75).

2 Georges Hulin de Loo, Heures de Milan, Bruxelles 1911.

3 Friedländer in Thiemes Künstlerlexikon, Band XI, und: Von Eyck bis Bruegel, Berlin 1916, S. 14fr. Winkler, der
die Budapester Kreuztragung (Über verschollene Bilder der Brüder van Eyck: Jahrbuch der k. preußischen Kunstsammlungen
XXXVII [1916], S. 289) zuerst in die Literatur einführte, — Herr Professor Hulin hatte dem Verfasser bereits im Herbst 1912
mitgeteilt, daß er das Bild für eine Kopie nach Hubert van Eyck halte, — entschied sich für keinen der Brüder.

4 Dvo'ak, Die Anfänge der holländischen Malerei: Jahrbuch der k. preuß. Kunstsammlungen XXXIX [1918], S. 51 ff.
 
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