I IO
E. Tietze-Conrat.
er sich inmitten der Herde bewegt (Lucian). Und doch wird in vielen Bildern und Skulpturen der
Götterjüngling als bärtiger Mann mit der Krone auf dem Haupt gezeigt, wie er Paris aus dem
Schlafe weckt. Es ist dann die ähnliche Situation des Parisurteils durch die Sage des Königs
Alfred von Mercien beeinflußt, der, das Schwert in der Hand, mit den nackten Töchtern zum
schlafenden Ritter tritt, er solle sich für die Gattin entscheiden. Ein anderes charakteristisches Bei-
spiel einer ähnlichen Vermischung der Stoffe, die eine Verballhornung des Inhalts nach sich zieht,
geschieht durch die Berührung der klassischen Perseussage mit den christlichen Vorstellungen der
Georgslegende, die in der Gestalt
des Ruggiero («Rasender Roland»)
ihren Ausdruck fand;1 die pompö-
sen Ideale vom Ende des XVI. Jahr-
hunderts, vielleicht eine Verwechs-
lung mit dem Bellerophon oder
die Wirkung, die schon als Attri-
but in die Voraussetzung eingreift,
mögen auch hineinspielen — kurz
Perseus erscheint seit der zweiten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts auf
einem Pferd oder, wie Ruggiero,
der die Angelika befreit, auf dem
Pegasus reitend, wie er gegen das
Ungeheuer losgeht.2
Neben diesen schon typisch
werdenden Fällen soll ein verein-
zeltes Beispiel derselben Richtung
angeführt werden. Äneas, der, ge-
führt von seinem Knaben, den
greisen Vater aus den Trümmern
der brennenden Stadt rettet, ist ein
beliebter Sagenstoff, den Raffael in
seinem Borgobrand aus der Aktua-
lität zur typischen Gültigkeit hebt,
und zugleich ein moralisierendes
Exempel des Amor erga parentes.3
Die geläufige Darstellung löst ana-
Fig. io. Das Christkind mit dem Johannesknaben und Engeln. löge Illustrationen nach dem Ge-
Salzburg, Privatbesitz. setz der Reihe aus, so von Maitre
Roux den Pietätsakt eines Mannes,
der seinen greisen Vater, einer Frau, die die Mutter auf dem Rücken fortschleppt, hinter ihnen
eine brennende Stadt mit vielen flüchtenden Bewohnern: Hoc pietatis opus fortis iniquae Baiulat
1 Noch bei Tasso (im 12. Gesicht) kommt die besondere Verehrung des hl. Georg in der Lebensgeschichte der Clo-
rinde, bezw. ihrer Mutter in charakteristischer Weise zu Wort.
2 1588 Karl van Mander, 1597 (auf dem Pegasus) H. Goltzius, gest. von J. Matham, 1602 auf dem Bild des Cavaliere d'Ar-
pino im Hofmuseum und endlich in der Galleria Farnese; vgl. Hans Tietze a. a. O., der auch die ikonographiscbe Frage aufwirft.
3 Magnum Theatrum Vitae Humanae, auctorc Laurentio Beyerlinck, 1656, 1. B. 377, eingeordnet bei «Amor erga
Parentes a liberis exercetur» unter «Vitam tuendo» als Beispiel Nr. 3. Als Ilium genommen war, ließen die Achäer durch
den Herold verkünden, daß sie aus Mitleid einzelnen freien Bürgern den Abzug mit ihrer wichtigsten Habe gestatteten; Aneas
ließ alles zurück und rettete nur die Penaten. Die Griechen, durch die bewiesene Ehrfurcht gerührt, gestatteten, daß er auch
das, was ihm nach den Penaten das Liebste wäre, mitnehmen dürfe. Da lud er sich den greisen Vater auf die Schultern.
Von noch größerer Bewunderung der nunmehr bewiesenen Pietät hingerissen, gestatteten ihm die Achäer, alles, was ihm
wert sei, mitzuführen.
E. Tietze-Conrat.
er sich inmitten der Herde bewegt (Lucian). Und doch wird in vielen Bildern und Skulpturen der
Götterjüngling als bärtiger Mann mit der Krone auf dem Haupt gezeigt, wie er Paris aus dem
Schlafe weckt. Es ist dann die ähnliche Situation des Parisurteils durch die Sage des Königs
Alfred von Mercien beeinflußt, der, das Schwert in der Hand, mit den nackten Töchtern zum
schlafenden Ritter tritt, er solle sich für die Gattin entscheiden. Ein anderes charakteristisches Bei-
spiel einer ähnlichen Vermischung der Stoffe, die eine Verballhornung des Inhalts nach sich zieht,
geschieht durch die Berührung der klassischen Perseussage mit den christlichen Vorstellungen der
Georgslegende, die in der Gestalt
des Ruggiero («Rasender Roland»)
ihren Ausdruck fand;1 die pompö-
sen Ideale vom Ende des XVI. Jahr-
hunderts, vielleicht eine Verwechs-
lung mit dem Bellerophon oder
die Wirkung, die schon als Attri-
but in die Voraussetzung eingreift,
mögen auch hineinspielen — kurz
Perseus erscheint seit der zweiten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts auf
einem Pferd oder, wie Ruggiero,
der die Angelika befreit, auf dem
Pegasus reitend, wie er gegen das
Ungeheuer losgeht.2
Neben diesen schon typisch
werdenden Fällen soll ein verein-
zeltes Beispiel derselben Richtung
angeführt werden. Äneas, der, ge-
führt von seinem Knaben, den
greisen Vater aus den Trümmern
der brennenden Stadt rettet, ist ein
beliebter Sagenstoff, den Raffael in
seinem Borgobrand aus der Aktua-
lität zur typischen Gültigkeit hebt,
und zugleich ein moralisierendes
Exempel des Amor erga parentes.3
Die geläufige Darstellung löst ana-
Fig. io. Das Christkind mit dem Johannesknaben und Engeln. löge Illustrationen nach dem Ge-
Salzburg, Privatbesitz. setz der Reihe aus, so von Maitre
Roux den Pietätsakt eines Mannes,
der seinen greisen Vater, einer Frau, die die Mutter auf dem Rücken fortschleppt, hinter ihnen
eine brennende Stadt mit vielen flüchtenden Bewohnern: Hoc pietatis opus fortis iniquae Baiulat
1 Noch bei Tasso (im 12. Gesicht) kommt die besondere Verehrung des hl. Georg in der Lebensgeschichte der Clo-
rinde, bezw. ihrer Mutter in charakteristischer Weise zu Wort.
2 1588 Karl van Mander, 1597 (auf dem Pegasus) H. Goltzius, gest. von J. Matham, 1602 auf dem Bild des Cavaliere d'Ar-
pino im Hofmuseum und endlich in der Galleria Farnese; vgl. Hans Tietze a. a. O., der auch die ikonographiscbe Frage aufwirft.
3 Magnum Theatrum Vitae Humanae, auctorc Laurentio Beyerlinck, 1656, 1. B. 377, eingeordnet bei «Amor erga
Parentes a liberis exercetur» unter «Vitam tuendo» als Beispiel Nr. 3. Als Ilium genommen war, ließen die Achäer durch
den Herold verkünden, daß sie aus Mitleid einzelnen freien Bürgern den Abzug mit ihrer wichtigsten Habe gestatteten; Aneas
ließ alles zurück und rettete nur die Penaten. Die Griechen, durch die bewiesene Ehrfurcht gerührt, gestatteten, daß er auch
das, was ihm nach den Penaten das Liebste wäre, mitnehmen dürfe. Da lud er sich den greisen Vater auf die Schultern.
Von noch größerer Bewunderung der nunmehr bewiesenen Pietät hingerissen, gestatteten ihm die Achäer, alles, was ihm
wert sei, mitzuführen.