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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 35.1920-1921

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Tietze-Conrat, Erika: Die Erfindung im Relief, ein Beitrag zur Geschichte der Kleinkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6170#0132
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n6

E. Tictze-Conrat.

Er wählt das
graphische
Musterblatt.

Keile auch den formalen Charakter und nimmt Rücksicht auf das Material, in dem das Werk er-
stehen soll. Es ist das erste Stadium des Schaffens, das der Malererfinder dem Bildhauer vorweg-
nimmt. Die innere Spannung, die endlich als klar erkannte Schwingung von dem inneren Auge
zur Hand herausströmt, bestimmt in ihrer eindeutigen Linienführung das Sentiment des Kunst-
werks; hier greift dann der Bildhauer ein: das Gesetz ist ihm gegeben, jetzt gilt es, die gebotenen
Linien in sich aufzusaugen, bis seine Begabung sie in der Form neugeboren hervorbringt. Es ist
eine Art Gesamtkunstwerk, das so entsteht: der Maler ist sein Vater, die Skulptur die empfangende
Mutter, die das Werk austrägt und ans Licht stößt. Die aus dem Haupte des Zeus hervorbrechende
Tochter, das reine Kind der Skulptur, hat mit dieser Mischkunst nur wenig gemein. Doch hat
der Maler bei der Erfindung an die bestimmte Anbringung, an das bestimmte Material, zumeist
auch an den bestimmten Künstler gedacht, er kommt in seiner Zeichnung schon dem Bildhauer

Fig. 16. Elhafen, Diana und Kallisto, Elfenbeinrelief.
Wien, Kunsthistorisches Museum.

und seinem Werk entgegen; Erfinder und Bildhauer, einer bindet den andern, das Werk bindet
beide. Die Distanz zwischen Erfindung und Ausführung ist geschwunden.

Anders ist es, wenn der Erfinder seine Idee in den Holzschnitt oder das graphische Blatt
niederlegt, wenn die Reproduktion die Vermittlerrolle zum Bildhauer übernimmt, wenn das Muster-
buch die Vorlage zum Gold- und Waffenschmied, zum Steinmetz bringt. Noch immer denkt der
Erfinder an die Umsetzung in die Skulptur; aber aus der bestimmten Formensprache, die er voraus-
setzt und auf die er Rücksicht nimmt, ist eine bloße Möglichkeit geworden, die er in ihrer Un-
bestimmtheit nicht fassen kann. Er spricht zu vielen, seine Stimme trägt weit; doch die Modu-
lation fehlt ihr, die zum Herzen ging, und der enge persönliche Zauber, der den einzelnen ganz
in den Bann nahm. Er bietet sich breit, aber nicht intensiv dar. Er bietet sich immerhin noch
dar. Der ins Dreidimensionale schaffende Künstler nimmt das Gebotene an; der Zweck ist um-
schrieben, der Inhalt durch die feste Konvention beschränkt, aus enger Wahl greift er die Vorlage
heraus. Die Distanz von der Erfindung zum Werk ist größer geworden, der Erfinder hat seine
 
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