Die Erfindung im Relief, ein Beitrag zur Geschichte der Kleinkunst.
121
Mehrere Beispiele von Skulpturen, denen Dürers Werke als Vorlage dienten, hat Mader 1 in
seinem Buch über den Bildhauer Loy Hering, Halm2 in seinem Aufsatz über Stephan Rottaler
gebracht; sie lassen sich, wenn man die geringere kirchliche Kunst, die namenlosen, ins Hand-
werkliche auslaufenden Altarschnitzereien und Grabreliefs miteinbezieht, ins Endlose vermehren.
In diese Gruppe gehört ein für den beharrlichen Konservativismus der österreichischen, der Wiener
Kunst charakteristisches Beispiel; an der Stephanskirche befinden sich außen, an der ehemaligen
Schatzkammer kleine Steinreliefs mit Szenen aus der Passion Christi, die um 1580 vom Bürger-
meister Bartholomäus Prandtner und den Räten der Stadt gestiftet wurden. Wenn das Datum
nicht überliefert wäre, man könnte die Tafeln leicht um ein halbes Jahrhundert zurückdatieren.
An eine der Stationen, Christus vor Pilatus, hing sich die Lokalsage, die in der Gestalt des
Mönches, der Christus verspottet, den Ketzer Luther erkannte und einen Zusammenhang dieser
Figur mit dem im ketzerischen Kampf gegen die katholische Kirche standhaften Caspar Tauber
knüpfte, der zum Tode verurteilt und von Luther zu den vornehmsten Blutzeugen gezählt wurde.3
Wie willkürlich die Tradition in
der Schöpfung ihrer Personal-
typen, in diesem Fall in der
Identifizierung mit Luther ver-
fährt, geht daraus hervor, daß das
Relief mit ganz unwesentlichen
Abweichungen Hans Schäurfe-
leins Holzschnitt aus dem Spe-
culum passionis, Nürnberg 1507,
ins Dreidimensionale umsetzt.
Die Musterzeichner aus der
ersten Hälfte des XVI. Jahrhun-
derts, die «spezialistischen Klein-
meister», die neben ornamen-
talem Schmuck noch ganze
Kompositionsschemen für Gold-
schmiedewerke oder Eisentau-
schierungen schufen, beschrän-
ken sich im Lauf des Jahrhunderts immer mehr auf reine Zierformen; wenn Menschen oder Tiere
dargestellt werden, so sind sie als ornamentale Glieder in die Kompositionen einbezogen; Kinder-
reigen, bacchische Aufzüge, schmale Jagdfriese, denen jede Dramatik fehlt, Meeresgötter mit ihren
Frauen, die aus Mantegnas Invidia nur das Wasseridyll fortentwickelt haben; das Thema ist immer
nur oberflächlich in dekorativer Verallgemeinerung angeschlagen, nirgends mehr zur bestimmten
Handlung determiniert. Eine Ausnahme scheinen die inhaltlichen Serien zu sein, die Tugenden
und Laster oder die fünf Sinne oder die klassischen Gottheiten oder die Könige der vier Weltreiche,
die zwölf römischen Kaiser u. a. m. Ihnen liegt ein fixierter ikonographischer Sinn zugrunde; doch
ist er so geläufig, daß die Kompositionen nicht auf seinem Ausdruck aufgebaut sind. Sie geben
Varianten stehender oder sitzender Figuren, Reiter, die bald nach links und bald nach rechts ge-
dreht sind, — bei allen ist eine allgemein gefaßte Erscheinung das Leitmotiv, an dem nur das
Beiwerk Ausdrucksträger wird. Auch das Kompositionsschema ist allen gemeinsam: die Figur wird
als Dominante in die Mittelachse gesetzt, sie beherrscht nach allen Seiten zu das Blatt, nur sie
1 F. Mader, Loy Hering, ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Kunst des 16. Jahrhunderts, München 1905.
2 Phil. Maria Halm, Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaissance in Altbayern, in «Altbayerische Monatsschrift»,
7. Jahrgang, H. 5 und 6.
ä Georg Loesche, Geschichte des Protestantismus in Österreich, Tübingen-Leipzig 1902, S. 21, Taubers Verurteilung
und Tod erfolgte schon 1524.
Fig. 22. Tod der Dido, Radierung von N. Loir.
121
Mehrere Beispiele von Skulpturen, denen Dürers Werke als Vorlage dienten, hat Mader 1 in
seinem Buch über den Bildhauer Loy Hering, Halm2 in seinem Aufsatz über Stephan Rottaler
gebracht; sie lassen sich, wenn man die geringere kirchliche Kunst, die namenlosen, ins Hand-
werkliche auslaufenden Altarschnitzereien und Grabreliefs miteinbezieht, ins Endlose vermehren.
In diese Gruppe gehört ein für den beharrlichen Konservativismus der österreichischen, der Wiener
Kunst charakteristisches Beispiel; an der Stephanskirche befinden sich außen, an der ehemaligen
Schatzkammer kleine Steinreliefs mit Szenen aus der Passion Christi, die um 1580 vom Bürger-
meister Bartholomäus Prandtner und den Räten der Stadt gestiftet wurden. Wenn das Datum
nicht überliefert wäre, man könnte die Tafeln leicht um ein halbes Jahrhundert zurückdatieren.
An eine der Stationen, Christus vor Pilatus, hing sich die Lokalsage, die in der Gestalt des
Mönches, der Christus verspottet, den Ketzer Luther erkannte und einen Zusammenhang dieser
Figur mit dem im ketzerischen Kampf gegen die katholische Kirche standhaften Caspar Tauber
knüpfte, der zum Tode verurteilt und von Luther zu den vornehmsten Blutzeugen gezählt wurde.3
Wie willkürlich die Tradition in
der Schöpfung ihrer Personal-
typen, in diesem Fall in der
Identifizierung mit Luther ver-
fährt, geht daraus hervor, daß das
Relief mit ganz unwesentlichen
Abweichungen Hans Schäurfe-
leins Holzschnitt aus dem Spe-
culum passionis, Nürnberg 1507,
ins Dreidimensionale umsetzt.
Die Musterzeichner aus der
ersten Hälfte des XVI. Jahrhun-
derts, die «spezialistischen Klein-
meister», die neben ornamen-
talem Schmuck noch ganze
Kompositionsschemen für Gold-
schmiedewerke oder Eisentau-
schierungen schufen, beschrän-
ken sich im Lauf des Jahrhunderts immer mehr auf reine Zierformen; wenn Menschen oder Tiere
dargestellt werden, so sind sie als ornamentale Glieder in die Kompositionen einbezogen; Kinder-
reigen, bacchische Aufzüge, schmale Jagdfriese, denen jede Dramatik fehlt, Meeresgötter mit ihren
Frauen, die aus Mantegnas Invidia nur das Wasseridyll fortentwickelt haben; das Thema ist immer
nur oberflächlich in dekorativer Verallgemeinerung angeschlagen, nirgends mehr zur bestimmten
Handlung determiniert. Eine Ausnahme scheinen die inhaltlichen Serien zu sein, die Tugenden
und Laster oder die fünf Sinne oder die klassischen Gottheiten oder die Könige der vier Weltreiche,
die zwölf römischen Kaiser u. a. m. Ihnen liegt ein fixierter ikonographischer Sinn zugrunde; doch
ist er so geläufig, daß die Kompositionen nicht auf seinem Ausdruck aufgebaut sind. Sie geben
Varianten stehender oder sitzender Figuren, Reiter, die bald nach links und bald nach rechts ge-
dreht sind, — bei allen ist eine allgemein gefaßte Erscheinung das Leitmotiv, an dem nur das
Beiwerk Ausdrucksträger wird. Auch das Kompositionsschema ist allen gemeinsam: die Figur wird
als Dominante in die Mittelachse gesetzt, sie beherrscht nach allen Seiten zu das Blatt, nur sie
1 F. Mader, Loy Hering, ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Kunst des 16. Jahrhunderts, München 1905.
2 Phil. Maria Halm, Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaissance in Altbayern, in «Altbayerische Monatsschrift»,
7. Jahrgang, H. 5 und 6.
ä Georg Loesche, Geschichte des Protestantismus in Österreich, Tübingen-Leipzig 1902, S. 21, Taubers Verurteilung
und Tod erfolgte schon 1524.
Fig. 22. Tod der Dido, Radierung von N. Loir.