Die Erfindung im Relief, ein Beitrag zur Geschichte der Kleinkunst.
159
Fig. 87. Herkules und Jole, Elfenbeinrelief.
Wien, Kunsthistorisches Hofmuseum.
und neben der Gruppe, die das Blatt beherrscht, noch Kopien nach einzelnen Figuren der sixti-
nischen Decke dazu gezeichnet sind. Die Gruppen haben mit denen im Relief nur die Anordnung
gemeinsam, nicht ihre Gestaltung,
die schlanken Leiber, die zugespitz-
ten Formen, an denen immer die
Arme und die Beine ins Auge sprin-
gen. In den Einzelheiten gibt es
auch einige Abweichungen: Merkur
hat keinen geflügelten Hut; bei der
dritten Gruppe sind beide Beine des
Gottes gegeben, doch fehlt seine
Hand an der Schulter der Frau, ihr
Arm ist ausgebogen; bei der letzten
Gruppe sind die Hände der Venus
ineinander verschlungen, sie halten
sich an einem Band an der Brust
des Mars; auch Amor hat keine Flü-
gel, er ist ein Knabe von herbem
Sentiment wie die michelangelesken Kinder der Decke; der Schild an dem linken Arm des Gottes
fehlt. Bei allen Figuren sind die Verkürzungen trotz der lauen Wiedergabe energischer durch-
gestoßen als im Relief, das die
Körper in die Fläche drängt und
so ihre Gliedmaßen streckt. Ich
möchte glauben, daß die gleichen
Originale dem Bildhauer und
dem Nachzeichner vorgelegen sind;
doch von welchem Künstler aus
der Nachfolge des Michelangelo
die Urbilder waren, wag' ich nicht
zu entscheiden.1 Manches andere
im Relief deutet noch auf den
Meister hin: so ist die Figur des
Zeus im Motiv von jenem der
ersten Phaetonfassung abhängig, 2
so stimmt der emporstrebende
Gigant, die Rückenfigur links
vom Zentrum des Bildes, mit
einem Verdammten auf dem frü-
hen Entwurf3 zum jüngsten Ge-
richt im British Museum, der
nicht ins Fresko aufgenommen
wurde, genau überein.
Auch die Vergleichung des
bacchantischen Mahles, das der
Muschelschnitt (Fig. 82) wiederholt, mit einem Fresko an der Decke der Villa des Papa Giuglio
in Rom (Fig. 89) führt zur Michelangelonachfolge. Die Anordnung des Freskos ist geistesverwandt:
Fig. 88. Herkules und Jole. Lavierte Federzeichnung.
Wien, Albertina.
1 Meine Kollegin Dr. A. Popp beabsichtigt, in einer Arbeit die Zuweisung dieser Serie an Daniele da Volterra zu
begründen.
2 C. Frey, Die Handzeichnungen des Michelangiolo Buonarotti, Taf. 57. 3 Frey, a. a. O., Taf. 79.
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Fig. 87. Herkules und Jole, Elfenbeinrelief.
Wien, Kunsthistorisches Hofmuseum.
und neben der Gruppe, die das Blatt beherrscht, noch Kopien nach einzelnen Figuren der sixti-
nischen Decke dazu gezeichnet sind. Die Gruppen haben mit denen im Relief nur die Anordnung
gemeinsam, nicht ihre Gestaltung,
die schlanken Leiber, die zugespitz-
ten Formen, an denen immer die
Arme und die Beine ins Auge sprin-
gen. In den Einzelheiten gibt es
auch einige Abweichungen: Merkur
hat keinen geflügelten Hut; bei der
dritten Gruppe sind beide Beine des
Gottes gegeben, doch fehlt seine
Hand an der Schulter der Frau, ihr
Arm ist ausgebogen; bei der letzten
Gruppe sind die Hände der Venus
ineinander verschlungen, sie halten
sich an einem Band an der Brust
des Mars; auch Amor hat keine Flü-
gel, er ist ein Knabe von herbem
Sentiment wie die michelangelesken Kinder der Decke; der Schild an dem linken Arm des Gottes
fehlt. Bei allen Figuren sind die Verkürzungen trotz der lauen Wiedergabe energischer durch-
gestoßen als im Relief, das die
Körper in die Fläche drängt und
so ihre Gliedmaßen streckt. Ich
möchte glauben, daß die gleichen
Originale dem Bildhauer und
dem Nachzeichner vorgelegen sind;
doch von welchem Künstler aus
der Nachfolge des Michelangelo
die Urbilder waren, wag' ich nicht
zu entscheiden.1 Manches andere
im Relief deutet noch auf den
Meister hin: so ist die Figur des
Zeus im Motiv von jenem der
ersten Phaetonfassung abhängig, 2
so stimmt der emporstrebende
Gigant, die Rückenfigur links
vom Zentrum des Bildes, mit
einem Verdammten auf dem frü-
hen Entwurf3 zum jüngsten Ge-
richt im British Museum, der
nicht ins Fresko aufgenommen
wurde, genau überein.
Auch die Vergleichung des
bacchantischen Mahles, das der
Muschelschnitt (Fig. 82) wiederholt, mit einem Fresko an der Decke der Villa des Papa Giuglio
in Rom (Fig. 89) führt zur Michelangelonachfolge. Die Anordnung des Freskos ist geistesverwandt:
Fig. 88. Herkules und Jole. Lavierte Federzeichnung.
Wien, Albertina.
1 Meine Kollegin Dr. A. Popp beabsichtigt, in einer Arbeit die Zuweisung dieser Serie an Daniele da Volterra zu
begründen.
2 C. Frey, Die Handzeichnungen des Michelangiolo Buonarotti, Taf. 57. 3 Frey, a. a. O., Taf. 79.