i78
Josef Weingartner.
und da infolge der wachsenden Tätigkeit des Ordens bald auch die vergrößerte Kapelle zu klein
wurde, begann man 1619 ungefähr an der heutigen Stelle mit einem Neubau, der jedoch kurz vor
seiner Vollendung im Jahre 1626 einstürzte. Erzherzog Leopold entschloß sich nun für eine voll-
ständig neue Kirche, die 1627 begonnen aber erst nach seinem Tode unter der tätigen Mithilfe
seiner Witwe, der Regentin Erzherzogin Claudia von Medici, vollendet und 1646 eingeweiht wurde.
So waren denn im engsten Zusammenhang mit der Gegenreformation und mit der weit-
gehendsten, ja vielfach sogar ausschließlichen Hilfe der habsburgischen Landesregenten in Innsbruck
während' eines Jahrhunderts zwei große und vier kleinere Kirchen gebaut worden, und zwar zu
einer Zeit, wo in Tirol Kirchenbauten sonst zu den Seltenheiten gehörten. Um die Mitte des
XVII. Jahrhunderts war aber auch das Programm der tirolischen Gegenreformation im wesentlichen
durchgeführt. Das darauf folgende intensive religiöse Leben charakterisiert sich als Frucht der
vorangegangenen jahrhundertlangen Reformarbeit, und wie überall, so äußerte es sich auch in
Tirol zugleich in einem allgemeinen Aufschwung der kirchlichen Bautätigkeit, mit dem hier wie
anderwärts die volle Ausbildung des Barockstils im innigsten Zusammenhange steht. Im engen Vereine
schuf von nun an religiöser Eifer und Freude an künstlerischem Schaffen zahlreiche hervorragende
Werke kirchlicher Architektur und es war selbstverständlich, daß hierin die Landeshauptstadt nicht
zurückblieb. 1648 entstand die Mariahilferkirche, 1651 wurde zum Neubau der Wiltener Stiftskirche
der Grund gelegt, 1700 —1705 folgte die Spital- und die Ursulinenkirche, seit 1717 die neue
Stadtpfarr-, seit 1729 die Johannes- und seit 1751 die Wiltener Pfarrkirche. Das zuletzt genannte
Gotteshaus war eben erst 1728 —1729 gründlich erneuert worden und zumal der gotische Turm
mußte mit Gewalt umgeworfen werden. Der vollständige Neubau war daher in diesem Falle ganz
sicher nicht durch praktische Notwendigkeit geboten sondern erfolgte hauptsächlich deswegen,
weil man ein in Bau und Ausstattung einheitlich modernes und möglichst glänzendes Gotteshaus
haben wollte. Diese Freude an der zeitgenössischen Kunst dürfte aber auch schon bei dem Neubau
der Stifts- und der Stadtpfarrkirche mitgewirkt haben. Denn wenn auch im ersten Falle der Ein-
sturz des alten Turmes, im zweiten die schon seit längerer Zeit behauptete Baufälligkeit den
unmittelbaren Anlaß gaben, so wäre doch eine so vollständige Beseitigung des Alten auch hier
nicht unbedingt notwendig gewesen und ohne die überschäumende und gegen das Alte vielfach
rücksichtslose Baulust der Barockzeit wohl auch kaum erfolgt.
Nach dem Gesagten drängt sich also die Entstehung der alten Kirchen Innsbrucks auf den
engen Zeitraum von zwei Jahrhunderten zusammen. Während dieser Zeit, von der Mitte des
XVI. bis zur Mitte des XVIII. Jahrhunderts, erzeugten aber die treibenden Kräfte, die Gegenrefor-
mation und die neu erweckte Baulust der Barockzeit, eine um so intensivere Tätigkeit, und da die
Bauzeit der Innsbrucker Kirchen mit dem Einsetzen der Renaissance in Tirol, mit ihrem Ubergang
in den Barock und mit ihrem Ausklingen im Rokoko genau zusammenfällt, so bilden sie eine so-
zusagen lückenlose Reihe, die für die lokaltirolische Entwicklung der genannten Stile höchst be-
zeichnend ist. Alle Phasen des zweihundertjährigen Prozesses sind mit Werken vertreten, die zu
den bedeutendsten des ganzen Landes gehören, und eine entwicklungsgeschichtliche Übersicht
über die Kirchen Innsbrucks, wie sie im folgenden versucht werden soll, ist daher zugleich auch
ein Auszug aus der Geschichte der gleichzeitigen Kirchenarchitektur von ganz Deutschtirol.1
L
Die ungewöhnlich reiche künstlerische Tätigkeit, die am Ende des XV. und zu Beginn des
XVI. Jahrhunderts in ganz Deutschtirol herrschte, brach in den Zw'anzigerjahren sozusagen plötz-
1 Die bei den einzelnen Kirchen angeführten Baudaten sind, soweit die Quelle nicht eigens angeführt wird, folgenden
Werken entnommen, auf die hier ein- für allemal hingewiesen sei: Primisser-Dipauli, Denkwürdigkeiten der Stadt Inns-
bruck, Manuskript, Ferdinandeum, Dip. 601 und 618. Primisser-Dipauli, Denkmähler der Kunst und des Alterthums und
Denkwürdigkeiten von Innsbruck, Innsbruck 1812 und 1816. Zoller, Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck,
Innsbruck 1816 und 1825. Beyrer, Wegweiser in der Provinzialhauptstadt Innsbruck, Innsbruck. Tinkhauser-Rapp, Be-
schreibung der Diöcese Brixen, Bd. II, Innsbruck 1879.
Josef Weingartner.
und da infolge der wachsenden Tätigkeit des Ordens bald auch die vergrößerte Kapelle zu klein
wurde, begann man 1619 ungefähr an der heutigen Stelle mit einem Neubau, der jedoch kurz vor
seiner Vollendung im Jahre 1626 einstürzte. Erzherzog Leopold entschloß sich nun für eine voll-
ständig neue Kirche, die 1627 begonnen aber erst nach seinem Tode unter der tätigen Mithilfe
seiner Witwe, der Regentin Erzherzogin Claudia von Medici, vollendet und 1646 eingeweiht wurde.
So waren denn im engsten Zusammenhang mit der Gegenreformation und mit der weit-
gehendsten, ja vielfach sogar ausschließlichen Hilfe der habsburgischen Landesregenten in Innsbruck
während' eines Jahrhunderts zwei große und vier kleinere Kirchen gebaut worden, und zwar zu
einer Zeit, wo in Tirol Kirchenbauten sonst zu den Seltenheiten gehörten. Um die Mitte des
XVII. Jahrhunderts war aber auch das Programm der tirolischen Gegenreformation im wesentlichen
durchgeführt. Das darauf folgende intensive religiöse Leben charakterisiert sich als Frucht der
vorangegangenen jahrhundertlangen Reformarbeit, und wie überall, so äußerte es sich auch in
Tirol zugleich in einem allgemeinen Aufschwung der kirchlichen Bautätigkeit, mit dem hier wie
anderwärts die volle Ausbildung des Barockstils im innigsten Zusammenhange steht. Im engen Vereine
schuf von nun an religiöser Eifer und Freude an künstlerischem Schaffen zahlreiche hervorragende
Werke kirchlicher Architektur und es war selbstverständlich, daß hierin die Landeshauptstadt nicht
zurückblieb. 1648 entstand die Mariahilferkirche, 1651 wurde zum Neubau der Wiltener Stiftskirche
der Grund gelegt, 1700 —1705 folgte die Spital- und die Ursulinenkirche, seit 1717 die neue
Stadtpfarr-, seit 1729 die Johannes- und seit 1751 die Wiltener Pfarrkirche. Das zuletzt genannte
Gotteshaus war eben erst 1728 —1729 gründlich erneuert worden und zumal der gotische Turm
mußte mit Gewalt umgeworfen werden. Der vollständige Neubau war daher in diesem Falle ganz
sicher nicht durch praktische Notwendigkeit geboten sondern erfolgte hauptsächlich deswegen,
weil man ein in Bau und Ausstattung einheitlich modernes und möglichst glänzendes Gotteshaus
haben wollte. Diese Freude an der zeitgenössischen Kunst dürfte aber auch schon bei dem Neubau
der Stifts- und der Stadtpfarrkirche mitgewirkt haben. Denn wenn auch im ersten Falle der Ein-
sturz des alten Turmes, im zweiten die schon seit längerer Zeit behauptete Baufälligkeit den
unmittelbaren Anlaß gaben, so wäre doch eine so vollständige Beseitigung des Alten auch hier
nicht unbedingt notwendig gewesen und ohne die überschäumende und gegen das Alte vielfach
rücksichtslose Baulust der Barockzeit wohl auch kaum erfolgt.
Nach dem Gesagten drängt sich also die Entstehung der alten Kirchen Innsbrucks auf den
engen Zeitraum von zwei Jahrhunderten zusammen. Während dieser Zeit, von der Mitte des
XVI. bis zur Mitte des XVIII. Jahrhunderts, erzeugten aber die treibenden Kräfte, die Gegenrefor-
mation und die neu erweckte Baulust der Barockzeit, eine um so intensivere Tätigkeit, und da die
Bauzeit der Innsbrucker Kirchen mit dem Einsetzen der Renaissance in Tirol, mit ihrem Ubergang
in den Barock und mit ihrem Ausklingen im Rokoko genau zusammenfällt, so bilden sie eine so-
zusagen lückenlose Reihe, die für die lokaltirolische Entwicklung der genannten Stile höchst be-
zeichnend ist. Alle Phasen des zweihundertjährigen Prozesses sind mit Werken vertreten, die zu
den bedeutendsten des ganzen Landes gehören, und eine entwicklungsgeschichtliche Übersicht
über die Kirchen Innsbrucks, wie sie im folgenden versucht werden soll, ist daher zugleich auch
ein Auszug aus der Geschichte der gleichzeitigen Kirchenarchitektur von ganz Deutschtirol.1
L
Die ungewöhnlich reiche künstlerische Tätigkeit, die am Ende des XV. und zu Beginn des
XVI. Jahrhunderts in ganz Deutschtirol herrschte, brach in den Zw'anzigerjahren sozusagen plötz-
1 Die bei den einzelnen Kirchen angeführten Baudaten sind, soweit die Quelle nicht eigens angeführt wird, folgenden
Werken entnommen, auf die hier ein- für allemal hingewiesen sei: Primisser-Dipauli, Denkwürdigkeiten der Stadt Inns-
bruck, Manuskript, Ferdinandeum, Dip. 601 und 618. Primisser-Dipauli, Denkmähler der Kunst und des Alterthums und
Denkwürdigkeiten von Innsbruck, Innsbruck 1812 und 1816. Zoller, Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck,
Innsbruck 1816 und 1825. Beyrer, Wegweiser in der Provinzialhauptstadt Innsbruck, Innsbruck. Tinkhauser-Rapp, Be-
schreibung der Diöcese Brixen, Bd. II, Innsbruck 1879.