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Josef Weingartner.
bauten des ersten und zweiten Jahrzehnts, wie etwa die damals teils neu, teils umgebauten Kirchen
von Condino, Tassullo, St. Vigilio bei Pinzolo, noch ausgesprochen gotisch. Die Renaissance macht
sich hier nur in Einzelheiten bemerkbar. Selbst Sta. Maria Maggiore in Trient, das 1520—1523
erbaut wurde, ist kein ganz konsequenter Renaissancebau. Abgesehen davon, daß wir nicht wissen,
wie das ursprüngliche Gewölbe aussah, geht die Pilastergliederung des Äußeren noch deutlich mit
der italienischgotischen Form der Strebepfeiler zusammen. Besonders aber beweist die gleichzeitig
und ebenfalls von Clesius aufgeführte Pfarrkirche von T)les, geweiht 1523, und die ebenfalls unter
Clesius und sogar vom gleichen Baumeister wie Sta. Maria Maggiore, von Antonio Madaglia1
errichtete Pfarrkirche von Ci-
vezzano, die noch dazu um ein
volles Jahrzehnt jünger ist, daß
die Gotik noch lange nicht über-
wunden war. Die Kirche von
Civezzano z. B., die ähnliche
Außenpilaster zeigt wie Sta. Maria
Maggiore, hat noch spitzbogige
Maßwerkfenster, Netzgewölbe, den
polygonalen Chorabschluß und
einen gotisierenden Spitzturm.
Ganz konsequente Renaissance-
formen zeigen nur etliche beson-
ders reich verzierte Portale an
diesen Kirchen, von denen aber
nicht alle der ersten Bauzeit an-
gehören. Sogar die reizenden
Portalvorhallen im Sulzberg, in
Male und Pellizano, die dem
dritten und vierten Jahrzehnt ent-
stammen und bei denen eine
volle Herübernahme des neuen
Stils besonders naheliegend und
leicht gewesen wäre, bewahren
in den Rippennetzen ihrer Wöl-
bungen noch den Zusammen-
hang mit der alten Kunst.
Somit brauchten sich die
italienischen Künstler, die zum
Bau der Hofkirche nach Inns-
bruck berufen wurden, nicht erst
zu zwingen, noch einigermaßen gotisch zu bauen. In etlichen Einzelheiten, die der Kaiser mit
Berufung auf reingotische deutsche Kirchen anordnete, ging sein konservatives Stilempfinden über
das, was in Südtirol noch Brauch war, freilich entschieden hinaus. Im übrigen aber war die
Mischung von Gotik und Renaissance bei einem Kirchenbau auch für Crivelli und seine Ge-
nossen nicht nur nichts Ungewöhnliches und Auffallendes sondern wohl sogar das Natürliche.
Ja von Marx de Bolla, der in der Hofkirche Pfeiler und Gewölbe herstellte, wissen wir sogar,2
Fig. 7. Innsbruck, silberne Kapelle, älterer Teil
1 Atz, Kunstgeschichte von Tirol2, Innsbruck 1909, S. 842 und 845.
2 Schönherr, S. 235 und 244. Nach seiner Darstellung war Crivelli Bollas Vorgänger in Eppan. Nach den Original-
akten ist es aber nicht unwahrscheinlich, daß es sich nur um eine Verwechslung in einer Aktenüberschrift handelt und der im
Oktober 1551 von Eppan berufene Steinmetz (Regest 6962) nicht Crivelli sondern Bolla selber war.
Josef Weingartner.
bauten des ersten und zweiten Jahrzehnts, wie etwa die damals teils neu, teils umgebauten Kirchen
von Condino, Tassullo, St. Vigilio bei Pinzolo, noch ausgesprochen gotisch. Die Renaissance macht
sich hier nur in Einzelheiten bemerkbar. Selbst Sta. Maria Maggiore in Trient, das 1520—1523
erbaut wurde, ist kein ganz konsequenter Renaissancebau. Abgesehen davon, daß wir nicht wissen,
wie das ursprüngliche Gewölbe aussah, geht die Pilastergliederung des Äußeren noch deutlich mit
der italienischgotischen Form der Strebepfeiler zusammen. Besonders aber beweist die gleichzeitig
und ebenfalls von Clesius aufgeführte Pfarrkirche von T)les, geweiht 1523, und die ebenfalls unter
Clesius und sogar vom gleichen Baumeister wie Sta. Maria Maggiore, von Antonio Madaglia1
errichtete Pfarrkirche von Ci-
vezzano, die noch dazu um ein
volles Jahrzehnt jünger ist, daß
die Gotik noch lange nicht über-
wunden war. Die Kirche von
Civezzano z. B., die ähnliche
Außenpilaster zeigt wie Sta. Maria
Maggiore, hat noch spitzbogige
Maßwerkfenster, Netzgewölbe, den
polygonalen Chorabschluß und
einen gotisierenden Spitzturm.
Ganz konsequente Renaissance-
formen zeigen nur etliche beson-
ders reich verzierte Portale an
diesen Kirchen, von denen aber
nicht alle der ersten Bauzeit an-
gehören. Sogar die reizenden
Portalvorhallen im Sulzberg, in
Male und Pellizano, die dem
dritten und vierten Jahrzehnt ent-
stammen und bei denen eine
volle Herübernahme des neuen
Stils besonders naheliegend und
leicht gewesen wäre, bewahren
in den Rippennetzen ihrer Wöl-
bungen noch den Zusammen-
hang mit der alten Kunst.
Somit brauchten sich die
italienischen Künstler, die zum
Bau der Hofkirche nach Inns-
bruck berufen wurden, nicht erst
zu zwingen, noch einigermaßen gotisch zu bauen. In etlichen Einzelheiten, die der Kaiser mit
Berufung auf reingotische deutsche Kirchen anordnete, ging sein konservatives Stilempfinden über
das, was in Südtirol noch Brauch war, freilich entschieden hinaus. Im übrigen aber war die
Mischung von Gotik und Renaissance bei einem Kirchenbau auch für Crivelli und seine Ge-
nossen nicht nur nichts Ungewöhnliches und Auffallendes sondern wohl sogar das Natürliche.
Ja von Marx de Bolla, der in der Hofkirche Pfeiler und Gewölbe herstellte, wissen wir sogar,2
Fig. 7. Innsbruck, silberne Kapelle, älterer Teil
1 Atz, Kunstgeschichte von Tirol2, Innsbruck 1909, S. 842 und 845.
2 Schönherr, S. 235 und 244. Nach seiner Darstellung war Crivelli Bollas Vorgänger in Eppan. Nach den Original-
akten ist es aber nicht unwahrscheinlich, daß es sich nur um eine Verwechslung in einer Aktenüberschrift handelt und der im
Oktober 1551 von Eppan berufene Steinmetz (Regest 6962) nicht Crivelli sondern Bolla selber war.