BETRACHTUNGEN ZUM WERKE DES HIERONYMUS BOSCH.
VON LUDWIG BALDASS.
Bei einem Künstler von dem Reichtum der Erfindung und der Mannigfaltigkeit der Gestaltung eines Hierony-
mus Bosch bedeutet jedes neuentdeckte eigenhändige Bild nicht nur eine willkommene Vermehrung seines
Werkes1, sondern auch eine neue Hoffnung, dem Rätsel seines Stils und seiner künstlerischen Auffassung auf
die Spur zu kommen. Von der kleinen Zahl von Bildern, die in letzter Zeit aufgetaucht sind2 und dem Meister
zugeschrieben wurden, können allerdings nur drei als sicher eigenhändig bezeichnet werden3.
Eine Hochzeit von Kana gelangte durch die Firma P. Cassirer in holländischen Privatbesitz (Abb. 55).
Die verhältnismäßig große, über einen Meter hohe, leider nicht gut erhaltene Tafel4 behandelt ein Thema,
das in der nordischen Kunst des 15. Jahrhunderts nur selten vorkommt5. Bosch setzt die Handlung so sehr
in die Gegenwart, daß er den Anachronismus wagt, einen Mönch und eine Nonne, deren farbige Kutten
freilich keinem wirklichen Orden entsprechen, an dem Gastmahl teilnehmen zu lassen. Christus als Ehrengast
sitzt isoliert unter einem Baldachin. Das wunderbare Ereignis der Verwandlung von Wasser in Wein ruft
aber kaum ein Echo in den ernsten, steifen Mienen der Zuschauer hervor. Dafür ist der Schilderung brei-
tester Raum gelassen, scheinbar Nebensächliches spielt überall hinein. Ein Satiriker ist hier am Werk, der
menschliche Schwächen auf den Pranger stellt. Es wird ohne weiteres offenbar, daß die beiden Gäste vorne
auf der Bank einander Böses zuflüstern. Neben den Satiriker tritt der Diaboliker. Phantastische Züge weisen
schon einzelne Kostüme und Geräte auf. Im Hintergründe aber treiben dann noch Teufel und Dämonen ihr
höllisches Spiel. Eine kapellenartige Nische schließt den Raum ab, von deren Wölbung ein rätselhafter glocken-
artiger Schirm herabhängt. Auf einem mehrstufigen Aufbau, der die Mitte zwischen Bufett und Altar ein-
hält, stehen allerhand Geräte. Neben verschiedenen Kannen sehen wir eine Kröte und einen langhalsigen
Vogel, zwei tanzende Dämonen und einen Mönch, der auf seinem wagrecht gebeugten Rücken die von einem
Kreuz gekrönte Weltkugel trägt. Bilderrätsel scheinen hier zugrunde zu liegen, ganz in der Art, wie Bruegel
sie in seinem Sprichwörterbild von 1559 dem Beschauer vor Augen stellt. In der Nische vor dem Aufbau
aber steht eine weißgekleidete Gestalt mit einem Stabe. Sie gleicht einem Zauberer, der den ganzen Spuk
hervorgerufen hat. Blicken wir nun näher auf das Bild, so zeigen sich die unheimlichen Elemente auch ander-
wärts. Die Speisen, die Diener herbeitragen, ein Wildschweinskopf und ein Schwan, tragen den Halbmond
— wohl das Zeichen des Heidentums überhaupt — und feurige Strahlen zischen ihnen aus Schnauze und
Schnabel. Ganz ungeschminkt tritt uns das diabolische Element in den Figürchen über den Säulenkapitellen
der Nische entgegen. Links steht ein froschartiger Teufel, der mit Bogen und Pfeil auf sein Gegenüber zielt,
das fluchtartig seinen Platz verläßt und in dem darunter angebrachten Mauerloch verschwindet.
Die Schilderung von der Schlechtigkeit der Welt, die vielen diabolischen Züge gehören nicht zum
biblischen Thema, sie sind auch nicht benützt, um einen dramatischen Gegensatz zur göttlichen Erscheinung
Christi, die keineswegs besonders betont wird, zu erzielen. Eine geheime Absicht ist hier verfolgt, die nur
nicht mehr erkennbar ist. Soviel wird klar, daß für Bosch die ganze Welt angefüllt ist von bösen, ja von
teuflischen Elementen, die selbst vor der Nähe der Himmlischen nicht zurückschrecken. Was also anfangs
eine Schilderung zu sein scheint, gewinnt bei näherer Betrachtung eine viel tiefere, unheimliche Bedeutung.
1 Abbildungen fast sämtlicher bekannter Werke des Meisters finden sich in den drei kompilatorischen Monographien über
den Künstler von Lafond (Brüssel 1913), Schürmeyer (München 1923) und Pfister (Potsdam o. J.).
2 Vgl. meine Kritik der Bücher von Schürmeyer und Pfister in den Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende
Kunst, Wien 1923, S. 33, und den Aufsatz von Pfister im Belvedere, IV, Wien 1923, S. 73 f.
3 Von einer sehr interessanten Versuchung des heiligen Antonius im Amsterdamer Kunsthandel ist mir nach Nieder-
schrift dieses Aufsatzes eine ungenügende Photographin zugekommen, die mir nicht erlaubt, ein sicheres Urteil über das sehr
originell komponierte Bild abzugeben. Die Komposition mit der winzig gebildeten Hauptfigur ist nahe verwandt der Rückseite
der Tafel in Valenciennes, den heiligen Jakobus mit dem Magier darstellend, über deren Eigenhändigkeit ich infolge mangelnder
Autopsie mir gleichfalls kein Urteil gestatten kann. Friedländer (Von Eyck bis Bruegel, 2. Aull., Berlin 1921, S. 192) hat die
Valencienner Tafel in die Liste der Gemälde des Hieronymus Bosch aufgenommen.
4 Die beiden oberen Ecken sind ausgesägt, die Hunde links unten anscheinend spätere Zutat.
5 Als nächste Parallelen nenne ich Gerard' Davids Gemälde im Louvre und die Tafel vom Meister des Bartholomäus-
Altares in der Brüsseler Galerie.
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VON LUDWIG BALDASS.
Bei einem Künstler von dem Reichtum der Erfindung und der Mannigfaltigkeit der Gestaltung eines Hierony-
mus Bosch bedeutet jedes neuentdeckte eigenhändige Bild nicht nur eine willkommene Vermehrung seines
Werkes1, sondern auch eine neue Hoffnung, dem Rätsel seines Stils und seiner künstlerischen Auffassung auf
die Spur zu kommen. Von der kleinen Zahl von Bildern, die in letzter Zeit aufgetaucht sind2 und dem Meister
zugeschrieben wurden, können allerdings nur drei als sicher eigenhändig bezeichnet werden3.
Eine Hochzeit von Kana gelangte durch die Firma P. Cassirer in holländischen Privatbesitz (Abb. 55).
Die verhältnismäßig große, über einen Meter hohe, leider nicht gut erhaltene Tafel4 behandelt ein Thema,
das in der nordischen Kunst des 15. Jahrhunderts nur selten vorkommt5. Bosch setzt die Handlung so sehr
in die Gegenwart, daß er den Anachronismus wagt, einen Mönch und eine Nonne, deren farbige Kutten
freilich keinem wirklichen Orden entsprechen, an dem Gastmahl teilnehmen zu lassen. Christus als Ehrengast
sitzt isoliert unter einem Baldachin. Das wunderbare Ereignis der Verwandlung von Wasser in Wein ruft
aber kaum ein Echo in den ernsten, steifen Mienen der Zuschauer hervor. Dafür ist der Schilderung brei-
tester Raum gelassen, scheinbar Nebensächliches spielt überall hinein. Ein Satiriker ist hier am Werk, der
menschliche Schwächen auf den Pranger stellt. Es wird ohne weiteres offenbar, daß die beiden Gäste vorne
auf der Bank einander Böses zuflüstern. Neben den Satiriker tritt der Diaboliker. Phantastische Züge weisen
schon einzelne Kostüme und Geräte auf. Im Hintergründe aber treiben dann noch Teufel und Dämonen ihr
höllisches Spiel. Eine kapellenartige Nische schließt den Raum ab, von deren Wölbung ein rätselhafter glocken-
artiger Schirm herabhängt. Auf einem mehrstufigen Aufbau, der die Mitte zwischen Bufett und Altar ein-
hält, stehen allerhand Geräte. Neben verschiedenen Kannen sehen wir eine Kröte und einen langhalsigen
Vogel, zwei tanzende Dämonen und einen Mönch, der auf seinem wagrecht gebeugten Rücken die von einem
Kreuz gekrönte Weltkugel trägt. Bilderrätsel scheinen hier zugrunde zu liegen, ganz in der Art, wie Bruegel
sie in seinem Sprichwörterbild von 1559 dem Beschauer vor Augen stellt. In der Nische vor dem Aufbau
aber steht eine weißgekleidete Gestalt mit einem Stabe. Sie gleicht einem Zauberer, der den ganzen Spuk
hervorgerufen hat. Blicken wir nun näher auf das Bild, so zeigen sich die unheimlichen Elemente auch ander-
wärts. Die Speisen, die Diener herbeitragen, ein Wildschweinskopf und ein Schwan, tragen den Halbmond
— wohl das Zeichen des Heidentums überhaupt — und feurige Strahlen zischen ihnen aus Schnauze und
Schnabel. Ganz ungeschminkt tritt uns das diabolische Element in den Figürchen über den Säulenkapitellen
der Nische entgegen. Links steht ein froschartiger Teufel, der mit Bogen und Pfeil auf sein Gegenüber zielt,
das fluchtartig seinen Platz verläßt und in dem darunter angebrachten Mauerloch verschwindet.
Die Schilderung von der Schlechtigkeit der Welt, die vielen diabolischen Züge gehören nicht zum
biblischen Thema, sie sind auch nicht benützt, um einen dramatischen Gegensatz zur göttlichen Erscheinung
Christi, die keineswegs besonders betont wird, zu erzielen. Eine geheime Absicht ist hier verfolgt, die nur
nicht mehr erkennbar ist. Soviel wird klar, daß für Bosch die ganze Welt angefüllt ist von bösen, ja von
teuflischen Elementen, die selbst vor der Nähe der Himmlischen nicht zurückschrecken. Was also anfangs
eine Schilderung zu sein scheint, gewinnt bei näherer Betrachtung eine viel tiefere, unheimliche Bedeutung.
1 Abbildungen fast sämtlicher bekannter Werke des Meisters finden sich in den drei kompilatorischen Monographien über
den Künstler von Lafond (Brüssel 1913), Schürmeyer (München 1923) und Pfister (Potsdam o. J.).
2 Vgl. meine Kritik der Bücher von Schürmeyer und Pfister in den Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende
Kunst, Wien 1923, S. 33, und den Aufsatz von Pfister im Belvedere, IV, Wien 1923, S. 73 f.
3 Von einer sehr interessanten Versuchung des heiligen Antonius im Amsterdamer Kunsthandel ist mir nach Nieder-
schrift dieses Aufsatzes eine ungenügende Photographin zugekommen, die mir nicht erlaubt, ein sicheres Urteil über das sehr
originell komponierte Bild abzugeben. Die Komposition mit der winzig gebildeten Hauptfigur ist nahe verwandt der Rückseite
der Tafel in Valenciennes, den heiligen Jakobus mit dem Magier darstellend, über deren Eigenhändigkeit ich infolge mangelnder
Autopsie mir gleichfalls kein Urteil gestatten kann. Friedländer (Von Eyck bis Bruegel, 2. Aull., Berlin 1921, S. 192) hat die
Valencienner Tafel in die Liste der Gemälde des Hieronymus Bosch aufgenommen.
4 Die beiden oberen Ecken sind ausgesägt, die Hunde links unten anscheinend spätere Zutat.
5 Als nächste Parallelen nenne ich Gerard' Davids Gemälde im Louvre und die Tafel vom Meister des Bartholomäus-
Altares in der Brüsseler Galerie.
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