48 ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES CRUCIFIXES
die Symmetrie etwa in Starrheit ausartet. Der eine Wächter zeigt uns den bekannten
antiken Gestus des Ruhens, indem er den Arm über den Kopf gelegt hat.
Für das V. Jahrhundert lässt sich aber vor Allem die mit der Schilderungsweise
an der Thür von Sta. Sabina übereinstimmende noch halbsymbolische Darstellung
des Gekreuzigten anführen. Wie dort so hier keinerlei Leidenszug in dem in ganz
aufrechter Haltung an's Kreuz gelehnten Heiland; auch am Elfenbeinrelief sind nur
die Hände, nicht auch die Füsse, durchbohrt. Wie an dem Thürrelief so blickt auch
hier Christus ruhig, freundlich vor sich hin. Wie dort so hier finden wir den wahr-
scheinlich mit der Kreuzigungspraxis*) und mit der Stelle des Gregor von Tours
übereinstimmenden Lendenschurz.
Bereits in einer im Jahre 1873 veröffentlichten Notiz**) habe ich auf die Ueber-
einstimmung in dem Bekleidungsmotiv unserer beiden Crucifixdarstellungen hinge-
wiesen. Marucchi zieht aus der Stelle bei Gregor von Tours in Verbindung mit dem
Crucifixbilde von Sta. Sabina den Schluss, dass, als man anfing den Gekreuzigten
darzustellen, man ihn wahrscheinlich nackt oder vielleicht mit einem blossen Schurz
(περίζωμα) bekleidet, gab, eine Meinung, die durch das Costüm des Crucifixus auf
dem Elfenbeinrelief des britischen Museums an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Gegen
Ende des VI. Jahrhunderts muss man an der Nacktheit der Kreuzigungsbilder Anstoss
genommen haben, denn Gregor von Tours theilt an der bereits genannten Stelle eine
Tradition mit, wonach in Folge einer Vision, in welcher der Crucifixus zu Narbonne
einem gewissen Presbyter Basilius erschienen sei und über seine Nacktheit geklagt
habe, das Kreuzigungsbild mit einem Gewände versehen worden sei. Aus derselben
Zeit, dem Ende des VI. Jahrhunderts, besitzen wir denn auch ein Kreuzigungsbild, in
welchem Christus ein bis an die Füsse reichendes ärmelloses Gewand trägt. Es
ist das die schon erwähnte Miniatur in der syrischen Evangelienhandschrift des Rabula.
Dieses Costüm ist dann in der byzantinischen Kunst immer wieder, freilich neben
einem etwa bis an die Knie reichenden Lendenschurz, anzutreffen***). An einem
byzantinischen Kreuzigungsbilde aus dem Ende des IX. Jahrhunderts, nämlich der
Miniatur in der berühmten Handschrift der Predigten Gregors von Nazianz in der
pariser Nationalbibliothek (No. 5io, Bl. 3ob) sieht man unter dem stark abgeblätterten
langen Gewände deutliche Spuren eines nicht ganz bis an die Knie reichenden früheren
Lendenschurzes sowie auch sichere Anzeichen dafür, dass die Gestalt ursprünglich
bis auf diesen Schurz nackt dargestellt war. So ist denn hier im IX. Jahrhundert mit
einem Kreuzigungsbilde etwas gewissermaassen Aehnliches vorgenommen worden, wie
Gregor von Tours es bezüglich des Gemäldes in Narbonne berichtet, mit dem Unter-
schiede freilich, dass das Gewand in Narbonne nicht gemalt, sondern ein wirklicher
Vorhang war, welcher gelegentlich abgenommen werden konnte.f)
*) Vgl. St. Laurent i. d. Annales arch. XXVI, p. 142.
**) Ueber den Styl Niccolo Pisano's, n. y3, S. 83.
***) Vgl. die von mir angeführten Beispiele für diese doppelte Bekleidungsart in
byzantinischen Kreuzigungsdarstellungen in v. Lützow's Zeitschrift f. bild. Kunst, VI (1871) 89,
und in v. Zahn's Jahrb. f. Kunstwissenschaft, IV (1871) S. 336 (in dem Separatabdruck:
„Die Darstellung des Abendmahls durch die byz. Kunst", 1872, S. 56) n. 1.
4) Greg. Tur. 1. I, cap. XXIII .... qui (sc. Episcopus) protinus jussit desuper velum
expandi: et sic obtecta nunc pictura suspicitur. Nam et si parumper detegatur ad contem-
plandum, mox demisso velo contegitur, ne detecta cernatur. Die Meinung, der Maler des
pariser Kreuzigungsbildes habe aus künstlerisch-technischen Gründen die bekleidete Gestalt
die Symmetrie etwa in Starrheit ausartet. Der eine Wächter zeigt uns den bekannten
antiken Gestus des Ruhens, indem er den Arm über den Kopf gelegt hat.
Für das V. Jahrhundert lässt sich aber vor Allem die mit der Schilderungsweise
an der Thür von Sta. Sabina übereinstimmende noch halbsymbolische Darstellung
des Gekreuzigten anführen. Wie dort so hier keinerlei Leidenszug in dem in ganz
aufrechter Haltung an's Kreuz gelehnten Heiland; auch am Elfenbeinrelief sind nur
die Hände, nicht auch die Füsse, durchbohrt. Wie an dem Thürrelief so blickt auch
hier Christus ruhig, freundlich vor sich hin. Wie dort so hier finden wir den wahr-
scheinlich mit der Kreuzigungspraxis*) und mit der Stelle des Gregor von Tours
übereinstimmenden Lendenschurz.
Bereits in einer im Jahre 1873 veröffentlichten Notiz**) habe ich auf die Ueber-
einstimmung in dem Bekleidungsmotiv unserer beiden Crucifixdarstellungen hinge-
wiesen. Marucchi zieht aus der Stelle bei Gregor von Tours in Verbindung mit dem
Crucifixbilde von Sta. Sabina den Schluss, dass, als man anfing den Gekreuzigten
darzustellen, man ihn wahrscheinlich nackt oder vielleicht mit einem blossen Schurz
(περίζωμα) bekleidet, gab, eine Meinung, die durch das Costüm des Crucifixus auf
dem Elfenbeinrelief des britischen Museums an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Gegen
Ende des VI. Jahrhunderts muss man an der Nacktheit der Kreuzigungsbilder Anstoss
genommen haben, denn Gregor von Tours theilt an der bereits genannten Stelle eine
Tradition mit, wonach in Folge einer Vision, in welcher der Crucifixus zu Narbonne
einem gewissen Presbyter Basilius erschienen sei und über seine Nacktheit geklagt
habe, das Kreuzigungsbild mit einem Gewände versehen worden sei. Aus derselben
Zeit, dem Ende des VI. Jahrhunderts, besitzen wir denn auch ein Kreuzigungsbild, in
welchem Christus ein bis an die Füsse reichendes ärmelloses Gewand trägt. Es
ist das die schon erwähnte Miniatur in der syrischen Evangelienhandschrift des Rabula.
Dieses Costüm ist dann in der byzantinischen Kunst immer wieder, freilich neben
einem etwa bis an die Knie reichenden Lendenschurz, anzutreffen***). An einem
byzantinischen Kreuzigungsbilde aus dem Ende des IX. Jahrhunderts, nämlich der
Miniatur in der berühmten Handschrift der Predigten Gregors von Nazianz in der
pariser Nationalbibliothek (No. 5io, Bl. 3ob) sieht man unter dem stark abgeblätterten
langen Gewände deutliche Spuren eines nicht ganz bis an die Knie reichenden früheren
Lendenschurzes sowie auch sichere Anzeichen dafür, dass die Gestalt ursprünglich
bis auf diesen Schurz nackt dargestellt war. So ist denn hier im IX. Jahrhundert mit
einem Kreuzigungsbilde etwas gewissermaassen Aehnliches vorgenommen worden, wie
Gregor von Tours es bezüglich des Gemäldes in Narbonne berichtet, mit dem Unter-
schiede freilich, dass das Gewand in Narbonne nicht gemalt, sondern ein wirklicher
Vorhang war, welcher gelegentlich abgenommen werden konnte.f)
*) Vgl. St. Laurent i. d. Annales arch. XXVI, p. 142.
**) Ueber den Styl Niccolo Pisano's, n. y3, S. 83.
***) Vgl. die von mir angeführten Beispiele für diese doppelte Bekleidungsart in
byzantinischen Kreuzigungsdarstellungen in v. Lützow's Zeitschrift f. bild. Kunst, VI (1871) 89,
und in v. Zahn's Jahrb. f. Kunstwissenschaft, IV (1871) S. 336 (in dem Separatabdruck:
„Die Darstellung des Abendmahls durch die byz. Kunst", 1872, S. 56) n. 1.
4) Greg. Tur. 1. I, cap. XXIII .... qui (sc. Episcopus) protinus jussit desuper velum
expandi: et sic obtecta nunc pictura suspicitur. Nam et si parumper detegatur ad contem-
plandum, mox demisso velo contegitur, ne detecta cernatur. Die Meinung, der Maler des
pariser Kreuzigungsbildes habe aus künstlerisch-technischen Gründen die bekleidete Gestalt