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Preußische Kunstsammlungen [Contr.]
Jahrbuch der Königlich-Preuszischen Kunstsammlungen — 1.1880

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I. Heft
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Studien und Forschung
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Dobbert, Eduard: Zur Entstehungsgeschichte des Crucifixes
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https://doi.org/10.11588/diglit.75035#0116

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5ο

ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES CRUCIFIXES

Nachdem ich die Gründe angegeben, welche mich veranlassen, unsere beiden
Kreuzigungsreliefs dem V. Jahrhundert zuzuschreiben, bleibt noch auszuführen,
weshalb dieses Jahrhundert mir besonders dazu geeignet gewesen zu sein scheint, die
künstlerische Darstellung des Kreuzestodes Jesu überhaupt in Angriff zu nehmen.
Im V. Jahrhundert vollzog sich der schon früher angebahnte Uebergang von der
symbolischen Richtung der freundlichen milden Katakomben-Kunst mit ihrer Scheu
vor der unmittelbaren Darstellung des körperlichen Leidens zu jener strengeren
historisierenden Tendenz, welche auch den Märtyrertod, wenn auch noch nicht ganz
der Wirklichkeit gemäss, darzustellen wagte. Dass das V. Jahrhundert in der That
eine solche Uebergangszeit war, davon kann man sich in Ravenna überzeugen, wo
in der Grabkirche der Galla Placidia (jetzt SS. Nazaro e Celso) die Kunst jenes Jahr-
hunderts an der einen Wand die anmuthige jugendliche Christusfigur noch wesentlich
dem Typus des guten Hirten gemäss, wenn auch bereits mit dem Kreuze in der
Hand, auf grünender Wiese, von Lämmern umgeben, deren eines vom Heiland
gestreichelt wird, schuf, an der gegenüber liegenden Wand aber den Märtyrertod des
Laurentius dadurch andeutete, dass der düster dreinschauende Heilige mit Buch und
Kreuz in den Händen auf seinen Rost zugeht, unter welchem das Feuer bereits
brennt*). Die Qualen des Feuertodes vermied hier die Kunst noch darzustellen;
sie suchte aber indirect in der Phantasie des Beschauers die Vorstellung derselben
zu erzeugen. An der Thür von Sta. Sabina und im londoner Elfenbeinrelief ist
die Kunst in der Darstellung des Schrecklichen einen Schritt weiter gegangen.
Das Martyrium ist hier bei völlig ruhiger Haltung des Heilandes durch die Nägel,
welche die Hände durchbohren, entschiedener angedeutet, noch aber hält sich die
Auffassung frei von jener realistischen, bis in's Einzelne gehenden Schilderung des
Leidens Jesu am Kreuze, welche in den zahllosen Crucifixen späterer Jahrhunderte uns
meist in grauenerregender Weise entgegentritt.
welches ein Beispiel für die Bekleidung des Gekreuzigten mit einem schmalen Zeugstreifen
sicherlich vor dem VI. Jahrhundert zeige.

*) In dem oben erwähnten in der archäologischen Gesellschaft gehaltenen Vortrage
suchte ich an diesem Beispiele, sowie an dem Nebeneinander einiger noch wesentlich alt-
christlicher und anderer streng kirchlicher Elemente in dem Baptisterium der Orthodoxen
zu Ravenna diesen Uebergangscharakter des V. Jahrhunderts nachzuweisen. Zu einem
ähnlichen Resultate isnd auch Kondakoff, Sculpt. de la porte de Ste. Sabine, p. 3, Richter?
Mosaiken in Ravenna, S. 3q, und Bayet, Recherches pour servir ä l'histoire de la peinture et
de la sculpture ehret, en Orient avant la querelle des iconoclastes, Paris 1879, p. 83 84 gelangt.

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