232 FILARETE'S TRAKTAT VON DER ARCHITEKTUR
er es, beklagt, dass man noch zu seiner Zeit in Rom täglich alte Marmorreste zu Kalk
brennt und dabei hinzufügt, dass man Barbaren, die dies zu thun fähig seien, besser
selbst in die Kalköfen werfe. Andererseits aber fehlt ihm der künstlerische Geschmack,
der bei Brunellesco die mangelnden historischen Kenntnisse ersetzte. Sein „Alterthum"
ist ziemlich unbegrenzt; alle möglichen mittelalterlichen Werke mischen sich in das-
selbe und werden ihm damit vorbildlich.
Während er einerseits das Colosseum, die Engelsbrücke und andre Bauten der
classischen Zeit aufmisst, benutzt er zugleich für seine Bronzethür des St. Peter alt-
christliche Vorbilder. In Venedig besticht ihn die Anlage der dortigen Paläste mit ihrer
Mittelloggia so, dass er in seinem Traktat einen solchen als Werk des Alterthums
und zwar als einen Bau des von ihm erfundenen Königs Zogalia schildert (vergleiche
die Abbildung auf S. 229).
Von mittelalterlichen Anlagen überträgt er in seine Idealstadt die Laubengänge
der norditalienischen Städte und Venedigs Kanäle. Das Werk, dem er den besten
Theil seines Künstlerrufes verdankt, das Ospedale maggiore, weist in den kleinen zier-
lichen Säulchen des Hofes auf das Vorbild romanischer Klosterbauten.
Geradezu befremdlich ist seine Anschauung von den antiken Säulenordnungen,
über die er aus Vitruvs und Alberti's Schriften so gut wie durch seine eignen Studien
und Brunellesco's Vorbilder wohl unterrichtet sein konnte. Voneinem formellen
Unterschied zwischen den einzelnen Ordnungen ist ihm überhaupt noch nichts bekannt.
Nur durch die Verhältnisse sind sie ihm unterschieden, indem er die jonische Ordnung
zu sieben, die korinthische zu acht, die dorische zu neun Durchmessern berechnet
(Buch VIII). Dem entsprechend steht denn auch für ihn die Ornamentik in keiner
wesentlichen Verbindung mit den Säulenordnungen. Ueber die verschiedenen Arten
derselben will er an gelegener Stelle reden, kommt aber leider später nicht wieder
darauf. Es ist dies um so mehr zu bedauern, als er in der Praxis mit seiner Freude
am gehäuften Ornament bestimmend für die norditalienische Frührenaissance und
durch diese indirect auch für die französische wurde.
In Alberti hören wir eben den Chorführer der neuen Zeit, Filarete gewährt uns
einen Einblick in jenes Wirrsal sich widerstreitender Anschauungen, welches die
mittleren Jahrzehnte des Quattrocento über die Lombardei hereinführen: Alte und
neue Zeit, nordische, französische und toscanische Kunst treffen hier zusammen, und
Filarete's schwächere Kraft, die in Mailand ganz auf sich allein angewiesen ist, findet
bei allem redlichen Willen nicht den Weg zur Abklärung. Gerade dadurch aber wird
sein Buch so recht ein Spiegelbild der Zeit, und, obgleich es ungefähr neun Jahre
nach Alberti's „De re aedificatoria" geschrieben wurde, doch ein Document älterer
Gesinnung.
Beide Arbeiten stehen übrigens in Form und Inhalt unabhängig neben einander.
Alberti's Buch ist in erster Linie eine gelehrte Arbeit: An philosophischem und
archäologischem Wissen zu den Ersten seiner Zeit gehörend, abstrahiert er aus seinen
eignen Studien antiker Bauten eine Architekturlehre, in der, wenn ich mich recht
entsinne, neuerer Künstler überhaupt nicht gedacht wird. Seinem Ertwickelungsgange
entsprechend fasst er die Baukunst mehr als Wissenschaft und von allgemeinen
Gesichtspunkten: Nicht so sehr die einzelnen Werke als die aesthetischen, constructiven
und sanitären Gesetze des Bauens interessieren ihn. Der Philosoph blickt überall durch.
Filarete dagegen ist ganz Techniker; den Baudilettanten will er eine practische An-
leitung geben, und thut dies, indem er eine Fülle von einzelnen Beispielen für monu-
er es, beklagt, dass man noch zu seiner Zeit in Rom täglich alte Marmorreste zu Kalk
brennt und dabei hinzufügt, dass man Barbaren, die dies zu thun fähig seien, besser
selbst in die Kalköfen werfe. Andererseits aber fehlt ihm der künstlerische Geschmack,
der bei Brunellesco die mangelnden historischen Kenntnisse ersetzte. Sein „Alterthum"
ist ziemlich unbegrenzt; alle möglichen mittelalterlichen Werke mischen sich in das-
selbe und werden ihm damit vorbildlich.
Während er einerseits das Colosseum, die Engelsbrücke und andre Bauten der
classischen Zeit aufmisst, benutzt er zugleich für seine Bronzethür des St. Peter alt-
christliche Vorbilder. In Venedig besticht ihn die Anlage der dortigen Paläste mit ihrer
Mittelloggia so, dass er in seinem Traktat einen solchen als Werk des Alterthums
und zwar als einen Bau des von ihm erfundenen Königs Zogalia schildert (vergleiche
die Abbildung auf S. 229).
Von mittelalterlichen Anlagen überträgt er in seine Idealstadt die Laubengänge
der norditalienischen Städte und Venedigs Kanäle. Das Werk, dem er den besten
Theil seines Künstlerrufes verdankt, das Ospedale maggiore, weist in den kleinen zier-
lichen Säulchen des Hofes auf das Vorbild romanischer Klosterbauten.
Geradezu befremdlich ist seine Anschauung von den antiken Säulenordnungen,
über die er aus Vitruvs und Alberti's Schriften so gut wie durch seine eignen Studien
und Brunellesco's Vorbilder wohl unterrichtet sein konnte. Voneinem formellen
Unterschied zwischen den einzelnen Ordnungen ist ihm überhaupt noch nichts bekannt.
Nur durch die Verhältnisse sind sie ihm unterschieden, indem er die jonische Ordnung
zu sieben, die korinthische zu acht, die dorische zu neun Durchmessern berechnet
(Buch VIII). Dem entsprechend steht denn auch für ihn die Ornamentik in keiner
wesentlichen Verbindung mit den Säulenordnungen. Ueber die verschiedenen Arten
derselben will er an gelegener Stelle reden, kommt aber leider später nicht wieder
darauf. Es ist dies um so mehr zu bedauern, als er in der Praxis mit seiner Freude
am gehäuften Ornament bestimmend für die norditalienische Frührenaissance und
durch diese indirect auch für die französische wurde.
In Alberti hören wir eben den Chorführer der neuen Zeit, Filarete gewährt uns
einen Einblick in jenes Wirrsal sich widerstreitender Anschauungen, welches die
mittleren Jahrzehnte des Quattrocento über die Lombardei hereinführen: Alte und
neue Zeit, nordische, französische und toscanische Kunst treffen hier zusammen, und
Filarete's schwächere Kraft, die in Mailand ganz auf sich allein angewiesen ist, findet
bei allem redlichen Willen nicht den Weg zur Abklärung. Gerade dadurch aber wird
sein Buch so recht ein Spiegelbild der Zeit, und, obgleich es ungefähr neun Jahre
nach Alberti's „De re aedificatoria" geschrieben wurde, doch ein Document älterer
Gesinnung.
Beide Arbeiten stehen übrigens in Form und Inhalt unabhängig neben einander.
Alberti's Buch ist in erster Linie eine gelehrte Arbeit: An philosophischem und
archäologischem Wissen zu den Ersten seiner Zeit gehörend, abstrahiert er aus seinen
eignen Studien antiker Bauten eine Architekturlehre, in der, wenn ich mich recht
entsinne, neuerer Künstler überhaupt nicht gedacht wird. Seinem Ertwickelungsgange
entsprechend fasst er die Baukunst mehr als Wissenschaft und von allgemeinen
Gesichtspunkten: Nicht so sehr die einzelnen Werke als die aesthetischen, constructiven
und sanitären Gesetze des Bauens interessieren ihn. Der Philosoph blickt überall durch.
Filarete dagegen ist ganz Techniker; den Baudilettanten will er eine practische An-
leitung geben, und thut dies, indem er eine Fülle von einzelnen Beispielen für monu-