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Preußische Kunstsammlungen [Contr.]
Jahrbuch der Königlich-Preuszischen Kunstsammlungen — 1.1880

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I. Heft
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Studien und Forschung
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Dobbert, Eduard: Zur Entstehungsgeschichte des Crucifixes
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https://doi.org/10.11588/diglit.75035#0113

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ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES CRUCIFIXES

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christlichen Sarkophagen. Auch die niedrige „jüdische" Mütze findet sich immer
wieder in ähnlichen Fällen, so, um nur zwei Beispiele zu nennen, an dem berühmten
Sarkophag des Lateran mit der Darstellung der Erschaffung Eva's, dem Sündenfall etc.
(wahrscheinlich aus dem Ende des IV. oder aus dem Anfang des V. Jahrhunderts)*)
und dem schon früher erwähnten Sarkophag aus S. Paolo fuori le mura derselben
Sammlung, dessen Darstellungen links oben mit der Auferweckung des Lazarus
beginnen.
Am Thomas-Relief und bei der Kreuzigung hat Christus den Nimbus, aber
noch nicht den kreuzförmigen, der uns doch schon an den oberen Mosaiken in
S. Apollinare nuovo zu Ravenna entgegentritt. Das Kreuz, an welches Christus mit
den Händen geheftet ist, scheint die ältere T-Form zu haben; denn das Plättchen mit
der Ueberschrift REX IVD ist offenbar nicht etwa als an den senkrechten Haupt-
balken eines hohen Kreuzes geheftet zu denken, sondern als ein Bestandtheil des
Rahmens. Von paläographischer Seite dürfte für die Zeitbestimmung des Werkes
kaum etwas geschehen können. Die Form der Buchstaben ist allerdings diejenige
der reinsten Capitalschrift, so dass man ihr gegenüber an eine sehr frühe Zeit denkt,
aber in Ueberschriften erhielt sich ja die Capitalschrift Jahrhunderte hindurch neben
der Uncial-Schrift**). Die überaus kurzen Proportionen der Figuren weisen uns
aber wieder aufs Entschiedenste in die altchristliche Epoche. Der Umstand, dass
wir neben der Kreuzigung den, durch einen am Boden liegenden Geldbeutel noch
besonders als Judas charakterisirten Erhängten sehen, darf uns an der frühen Datierung
des Werkes nicht irre machen, da der Selbstmord des Judas sich auch an dem Elfen-
beinwerk zu Brescia findet.
So kann denn, wie ich glaube, an dem altchristlichen Ursprünge des Elfenbein-
reliefs im britischen Museum kein Zweifel sein. Es kann sich nur noch um die
Frage handeln, ob wir es hier mit einem Werke des V. oder des VI. Jahrhunderts
zu thun haben.
Für die frühere Datierung spricht die von mir bereits hervorgehobene Ueberein-
stimmung mit dem altchristlichen Werke in Brescia, das doch wohl in's IV. Jahr-
hundert zu setzen sein dürfte***); spricht ferner die Aehnlichkeit mit Sarkophag-
sculpturen aus dem IV. und V. Jahrhundert.
Einen besonders frühen Eindruck macht die Platte mit den Frauen am Grabe.
Wir haben eine symmetrische Anordnung wie an antiken Reliefs vor uns: in der
Mitte das Grab Christi, ein auf Säulen ruhender Kuppelbau, durch dessen halb-
geöffnete Thür man ein Stück eines in antiker Weise gestreiften Sarkophages gewahrt.
An der Aussenseite des einen Thürflügels ist u. Α. die Auferweckung des Lazarus
ganz in der bekannten frühchristlichen Weise, wie z. B. an dem Elfenbeinwerk in
Brescia, als Relief dargestellt. Zu den beiden Seiten des Grabes sind einander gegen-
über je ein schlafender Wächter und eine der trauernden Marien so angeordnet, dass
die beiden Seiten in angenehmster Weise mit einander übereinstimmen, ohne dass

*) Am Eingänge der Halle im Lateran. Vgl. Kraus, a. a. 0., S. 354 und Tafel VII.

**) Wattenbach, Anleitung zur lateinischen Palaeographie, S. 2.

***) Vgl. meine Notiz i. d. Mittheil, d. k. k. Centralcommission zur Erf. und Erh. der
Baudenkm. Wien, XVII. Jahrgang (1872) S. LXXXIV; Richter, Mosaiken in Ravenna, S. 53;
Westwood, A descriptive catalogue of the fictile ivories in the South Kensington Museum 1876,
p. 33, der das V. oder VI. Jahrhundert nennt.
 
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