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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0079
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Deutlich wird, daß ihn eher die Idee eines Gemäldes beziehungsweise der Stil eines Malers,
einer Epoche oder Schule als eine konkrete Komposition für seine Tableaux vivants interessier-
ten, da er sich keineswegs um detaillierte Regieanweisungen zu bestimmten Bildkompositionen
bemühte. Stattdessen heißt es, daß ihm Bilder »vorschwebten« oder daß sie in eines Malers
»oder ähnlicher Meister Manier« gestaltet werden sollten. Einzig Terborchs »Väterliche
Ermahnung« (1654/55) (Abb.24 und 25), Rubens »Söhne« (1625/26) und Carraccis »Genius
des Ruhms« (1588/89) erwähnte er namentlich, alle anderen Tableaux orientierten sich am
Oeuvre eines Künstlers, nicht an einzelnen Bilderfindungen. Die Vorbilder waren in der öf-
fentlich zugänglichen Gemäldegalerie Dresden zu finden:163

»Durchreisende, die am Morgen die Galerie, Abends im Schauspielhause den Van Dyck besuchten,
sahen sich nicht selten dorthin zurück versetzt.« (Kat.Dre.l816.Q. 1)

Dementsprechend

»... waren die Schauspieler sogar veranlaßt worden, die Königl. Gemäldegallerie einigemale blos
in der Absicht zu besuchen, um sich durch die lebendigste Anschauung im Malerischen und Ueblichen,
worauf hier so viel ankommt, zu unterrichten, ...« (Kat.Dre.l816.Q.3)

Die Erstaufführung des Stückes fand im November 1816 statt, und es wurde ob seiner Be-
liebtheit zahlreiche Male auch in vielen Städten Europas aufgeführt - nach Kinds eigenen
Angaben in Wien, Berlin, Stuttgart, Darmstadt, Prag, Petersburg, Hamburg, Leipzig, Braun-
schweig, Breslau, Bremen und Hannover (Kat.Wie.1817/3; Kat.Bre.1819; Kat.Lei.1819),164

»... denn es ist mehr als irgend eines dazu geeignet, die Herrschaft des verdorbenen Geschmacks
am Gräßlichen, Mystischen und Wunderbaren entgegen zu arbeiten.«^65

wie der Kritiker der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung lobt.

Die Künstlerdramen sind Ausdruck des laienhaften Umgangs mit Kunstwerken, und damit
für die Popularisierung der Kunstgeschichte, deren Entwicklung an ihrem Einsatz anschau-
lich abzulesen ist: Die frühen Stücke wie das Singspiel »Adrian von Ostade« (Kat.Wie. 1807/1),
die Ballette und das Künstlerdrama »Teniers« (Kat.Mün. 1807; Kat.Wie. 1814/4; Kat.Ber. 1815)
und später das Schauspiel »Rafael« (Kat.Mai.1819) orientierten sich an Leben und Werk ei-
nes Malers und verfolgten damit die Umsetzung einer traditionellen Kunstgeschichte durch
die Tableaux anhand einer Vita, wie sie seit Vasari geläufig war.166 Friedrich Kind hingegen

163 Die Dresdner Galerie, eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der damaligen Zeit, war seit 1747
im großzügigen Bau von Johann Christoph Knöffel untergebracht und der Öffentlichkeit zugäng-
lich, vgl. Marx 1992, S.12-14.

164 Siehe Kind 1925. S.17. Vgl. auch Abend-Zeitung, Dresden, Beilage zu Nr. 46. (23.2.1819), zu einer
Aufführung in Köln im Januar 1819.

165 Siehe J.S. in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung. Nr. 196. Oktober 1819. S. 144. Vgl.
auch die äußerst positiven Äußerungen Böttigers (Kat.Dre. 1816.Q.3).

166 Vgl. auch die spätere Theateraufführung am 4.7.1826 in Dresden mit Bildern nach Teniers, vgl.
David Wilkie to Thomas Wilkie (Bruder). Dresden, 4th July, 1826. In: Cunningham, Allan: The
Life of Sir David Wilkie. London 1841. Bd.II. S.333. Vgl. Altick 1978. S.344. Vgl. Meisel 1973.
S.57. Ab den zehner Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden einige kunsthistorische Monographien
zu Leben und Werk einzelner Künstler, die sich um einen wissenschaftlichen Anspruch bemühten,
wie sich anhand Raffael gut verfolgen läßt: Georg Christian Braun: Raphaels Leben und Werke.
Wiesbaden 1815; Hans Heinrich Füssli: Über das Leben und die Werke Raphael Sanzio's. Zürich
1815; P.v.Freyberg: Das Leben Raphaels von einem unbekannten Gleichzeitigen. München 1817.
Antoine Quatremere de Quincy: Histoire de la vie et des ouvrages de Raphael. Paris 1824; Fried-
rich Rehberg: Raphael Sanzio aus Urbino. München 1924.

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