1896
JUGEND
Nr. 8
■scher und geheimnissvoller Schrei. Es war, als
riefe er unser Unterhaltungsbedürfniss wieder
wach. Einige unter der Gesellschaft sahen sich
an, lächelten erstaunt und begannen dann zu
schwatzen: — etwas eilig, als schämten sie sich
ihres Schweigens.
„Bald gerieth das Gespräch auf einen Ge-
genstand, der uns am meisten zu beschäftigen
pflegte: eine Russin, die zum Sommeraufenthalt
in einer Villa am Russe des Brombergs wohnte,
und die auch mich lebhaft interessirte. Sie war
weder schön, noch war sie jung; auch einen
Ueberfluss von Geist besass sie nicht. Trotz-
dem, weiss der Himmel wie es gekommen war,
hatten wir alle sechs uns ein wenig in sie ver-
liebt. Freilich hatte sie eine zigeunerische Art,
das Leben leicht zu nehmen und sich um das
Gerede der Welt den Teufel zu scheeren. Sie
besass jene naive Koketterie, vor der weder Phi-
losophie noch Menschenkenntniss Stand hält:
alles das löst sich in ein Lächeln auf.
,Ich könnte Ihnen nun jedes Wort berich-
ten> das in unserm Kreise fiel. So etwa muss
der Mörder jede Einzelheit vor seiner That in
der Phantasie bewahren. Freilich, diese zwei
Jahre waren eine lange Nacht und mir ist, als
Ware ich gestern dort gesessen unter den dun-
keln Stämmen des Schwarzwalds.
)Wir könnten eigentlich eine Gesandtschaft
an sie abschicken“, grunzte Jost Besenhardt, der
fette Bureauchef einer Aktiengesellschaft. ,Ich
bitte Euch, eine halbe Stunde Wegs und ihr
könnt Euch ihre Gunst erschmeicheln . ...‘
„Da sprang ich auf. ,Ach was, Kinder, ich
geh!4 rief ich erhitzt und schlug mit der Faust
auf den Tisch. Ich verstehe nicht, wie ich dazu
kam> ein solch aberwitziges Vorhaben auszu-
tuhren. Aber es packte mich wie ein Rausch. Es
war durchaus nicht Verliebtheit, die mich dazu
tneb. Die seltsamen, harzigen, weichen Düfte
des Abends mussten mich narkotisirt haben. . . .
brst lachten sie alle; dann schrieen sie bunt
durcheinander: es sei Unsinn, ich würde mich
verirren; ich kennte die Nacht des Waldes
j'p!?1’ — aber sie schrieen umsonst. Ich hatte
dafür ein heiteres und sorgloses Lachen, das
alf ihre Einwände zurückwies. Meine Begierde
st,eg vielmehr, wie bei einem Menschen, den
roan abhalten will, vergrabene Schätze zu heben.
Nie war mir eine Sache so ernst gewesen. Ja,
lch empfand es wie eine berechtigte Auflehn-
ung gegen die blinden Mächte der Natur, als
Ware hier Gelegenheit, Stärke und Muth gegen
ein verstandloses Walten der Elemente in’s Feld
zu führen. Kurz, was soll ich noch sagen, ich
g'ng. Schliesslich wurden sogar die Andern von
•deinem Feuer angesteckt. Wussten sie doch,
dass die Russin solch tolle Streiche liebe. Es
War acht Uhr; spätestens um zehn wollte ich
zurück sein. Ich rechnete dabei mit der Dunkel-
heit, da ich bei Tag kaum eine Stunde gebraucht
hatte, den mir wohlbekannten Weg um den Berg
zuruckzulegen.
, „Als ich das Gärtchen verliess und mich
em Walde näherte, ergriff mich eine Angst, die
Jedoch kaum länger als ein paar Sekunden an-
auerte: gerade wie wenn man eine Saite be-
uhrt, so dass sie noch in leisen Schwingungen
achzittert. Als ich den braunen, weichen Wald-
eg betrat, umgab mich die Dämmerung, und
usehends sank Schatten auf Schatten, dunkel
nd dunkler herab. Sie wälzten sich her und
erbreiteten sich wie die Fluthen eines über-
fluellenden Stromes, nur dass nichts davon zu
s-en war. — Ich konnte den Weg vor mir noch
hr gut erkennen, doch verengerte sich mein
^esichtskreis immer mehr und mehr, gleich als
urtfe eine unsichtbare Lampe langsam nieder-
° schraubt. Der Kukuk hatte aufgehört zu rufen,
nd es war so still, wie es auf dem Grund des
eeres sein muss. Anfänglich hatte ich bisweilen
, blutrothe Brandstreifen des west-
Himmels durch die Stämme wahrzuneh-
men vermocht, aber das hörte auf, als ich tiefer
in den Wald drang, wie überhaupt jede Farben-
abtönung ringsumher erstarb.
„In vielen Krümmungen wand sich der
Weg, nur wenig ansteigend, nur selten sich sen-
kend. Oft bildete der Pfad einen ganz scharfen
Winkel, zwischen dessen Schenkeln ein kleines
Waldthal wie eine Schale lag, während an der
Spitze der Berghang emporstieg in’s Dunkle des
Abends. Dann hörte ich die Kirchenglocken von
Güntersthal und stand still, den Klängen lau-
schend, die wie fromme Melodieen halblaut durch
die Lüfte zogen.
„Doch jetzt wurde es immer finsterer. Und
immer dichter schlossen die Baumkronen ihr
Laubdach über mir zusammen, und immer enger
standen die schlanken hohen Stämme beieinan-
der, als hätten sie plötzlich begonnen zu wan-
dern, als fürchteten sie einen Verräther zwischen
sich, den '-sie nicht entrinnen lassen durften.
Der Abendsegen war zu Ende geläutet und ein
Schweigen lagerte rings, wie ich es niemals im
Leben sonst empfunden habe. Die dürren, ab-
gelegnen, rothen Blätter auf dem Walderdreich,
die ich bis vor wenigen Minuten noch zu sehen
vermocht hatte und die mir in dem unbestimmten
Licht wie ein endloses Korallenlager erschienen
waren, umhüllten sich jetzt völlig mit dem schwar-
zen Mantel der Nacht.
„Ich stand still. Ich lauschte. Mein Herz
klopfte rasch und hörbar. Aber als ich das ein-
tönige und angenehme Geräusch meiner Schritte
nicht mehr vernahm, überfiel mich eine starke,
ausdauernde Furcht. Ich fing an rascher zu
gehn, aber bald stand ich wieder lauschend.
Ich überlegte, ob ich nicht umkehren solle,
aber noch waren die Vorstellungen von dem
Hohn der Freunde so lebhaft in mir, dass ich
mich vor Scham erröthen fühlte. . .. Instinktiv
suchte ich nach Streichhölzern in den Taschen:
ich hatte nicht eines bei mir. Und es ward immer
noch finsterer. Erschreckt gewahrte ich, bis zu
welcher Grenze die Tiefe der Nacht gehen könne.
Noch niemals hatte ich diese, die eigentliche
die gewaltige Finsterniss erschaut. Die Finster-
niss, die es unmöglich macht, die eigne Hand
zu sehen, die dem Körper alle Sicherheit der
Bewegung raubt, das Athmen erschwert.
Die Nacht hatte ich nie anders als in der mil-
den und wohlthuenden Dämmerung eines freien
Himmels erblickt: — diese Nacht war mir fremd.
Sie erfüllte mich mit Grausen, mit Entsetzen.
Ich fühlte etwas Schweres auf meinem Schädel
lasten: das war die Finsterniss.
„Aber nun entdeckte jch, dass ich vom Weg
abgekommen, und schon zwischen den Stämmen
umherirrte. Ich blieb stehen und von den Fuss-
sohlen aus zog eine widerwärtige Kälte über
meinen Körper. Mir war, als sei ich soeben aus
dem Bad gestiegen und nassen Leibes in die
Kleider gestürzt. Ich wagte nicht zu rufen. Was
hätte es auch geholfen, zu rufen? Freilich, nicht
die Einsicht in die Nutzlosigkeit hielt mich da-
von ab, sondern ich fürchtete mich. Die Finster-
niss schien mich zu umarmen, ja, sie schien sich
anzufühlen; mir war, als ob ich sie greifen könne,
wie man ein Stück Sammt mit den Fingern greift.
Der ganze Wald nahm für mich das Wesen einer
Person an, ausgerüstet mit teuflischen Mitteln,
einen Menschen zu Grunde zu richten.
„Ich hörte ein Rascheln im Laub, wie von
hurtigen Tritten, ein Knacken der Zweige, wie
wenn sich Jemand vom Boden aufrichtet, und
meine Glieder begannen heftig zu zittern. Wohl
sagte ich mir, — und ich sagte es mir vielleicht
hundertmal: das ist ein Reh, irgend ein scheues
Waldthier . . . Aber mein Gemüth war nicht
mehr empfänglich für eine vernünftige Deutung
,vh umfasste mit den Armen einen herab-
119
JUGEND
Nr. 8
■scher und geheimnissvoller Schrei. Es war, als
riefe er unser Unterhaltungsbedürfniss wieder
wach. Einige unter der Gesellschaft sahen sich
an, lächelten erstaunt und begannen dann zu
schwatzen: — etwas eilig, als schämten sie sich
ihres Schweigens.
„Bald gerieth das Gespräch auf einen Ge-
genstand, der uns am meisten zu beschäftigen
pflegte: eine Russin, die zum Sommeraufenthalt
in einer Villa am Russe des Brombergs wohnte,
und die auch mich lebhaft interessirte. Sie war
weder schön, noch war sie jung; auch einen
Ueberfluss von Geist besass sie nicht. Trotz-
dem, weiss der Himmel wie es gekommen war,
hatten wir alle sechs uns ein wenig in sie ver-
liebt. Freilich hatte sie eine zigeunerische Art,
das Leben leicht zu nehmen und sich um das
Gerede der Welt den Teufel zu scheeren. Sie
besass jene naive Koketterie, vor der weder Phi-
losophie noch Menschenkenntniss Stand hält:
alles das löst sich in ein Lächeln auf.
,Ich könnte Ihnen nun jedes Wort berich-
ten> das in unserm Kreise fiel. So etwa muss
der Mörder jede Einzelheit vor seiner That in
der Phantasie bewahren. Freilich, diese zwei
Jahre waren eine lange Nacht und mir ist, als
Ware ich gestern dort gesessen unter den dun-
keln Stämmen des Schwarzwalds.
)Wir könnten eigentlich eine Gesandtschaft
an sie abschicken“, grunzte Jost Besenhardt, der
fette Bureauchef einer Aktiengesellschaft. ,Ich
bitte Euch, eine halbe Stunde Wegs und ihr
könnt Euch ihre Gunst erschmeicheln . ...‘
„Da sprang ich auf. ,Ach was, Kinder, ich
geh!4 rief ich erhitzt und schlug mit der Faust
auf den Tisch. Ich verstehe nicht, wie ich dazu
kam> ein solch aberwitziges Vorhaben auszu-
tuhren. Aber es packte mich wie ein Rausch. Es
war durchaus nicht Verliebtheit, die mich dazu
tneb. Die seltsamen, harzigen, weichen Düfte
des Abends mussten mich narkotisirt haben. . . .
brst lachten sie alle; dann schrieen sie bunt
durcheinander: es sei Unsinn, ich würde mich
verirren; ich kennte die Nacht des Waldes
j'p!?1’ — aber sie schrieen umsonst. Ich hatte
dafür ein heiteres und sorgloses Lachen, das
alf ihre Einwände zurückwies. Meine Begierde
st,eg vielmehr, wie bei einem Menschen, den
roan abhalten will, vergrabene Schätze zu heben.
Nie war mir eine Sache so ernst gewesen. Ja,
lch empfand es wie eine berechtigte Auflehn-
ung gegen die blinden Mächte der Natur, als
Ware hier Gelegenheit, Stärke und Muth gegen
ein verstandloses Walten der Elemente in’s Feld
zu führen. Kurz, was soll ich noch sagen, ich
g'ng. Schliesslich wurden sogar die Andern von
•deinem Feuer angesteckt. Wussten sie doch,
dass die Russin solch tolle Streiche liebe. Es
War acht Uhr; spätestens um zehn wollte ich
zurück sein. Ich rechnete dabei mit der Dunkel-
heit, da ich bei Tag kaum eine Stunde gebraucht
hatte, den mir wohlbekannten Weg um den Berg
zuruckzulegen.
, „Als ich das Gärtchen verliess und mich
em Walde näherte, ergriff mich eine Angst, die
Jedoch kaum länger als ein paar Sekunden an-
auerte: gerade wie wenn man eine Saite be-
uhrt, so dass sie noch in leisen Schwingungen
achzittert. Als ich den braunen, weichen Wald-
eg betrat, umgab mich die Dämmerung, und
usehends sank Schatten auf Schatten, dunkel
nd dunkler herab. Sie wälzten sich her und
erbreiteten sich wie die Fluthen eines über-
fluellenden Stromes, nur dass nichts davon zu
s-en war. — Ich konnte den Weg vor mir noch
hr gut erkennen, doch verengerte sich mein
^esichtskreis immer mehr und mehr, gleich als
urtfe eine unsichtbare Lampe langsam nieder-
° schraubt. Der Kukuk hatte aufgehört zu rufen,
nd es war so still, wie es auf dem Grund des
eeres sein muss. Anfänglich hatte ich bisweilen
, blutrothe Brandstreifen des west-
Himmels durch die Stämme wahrzuneh-
men vermocht, aber das hörte auf, als ich tiefer
in den Wald drang, wie überhaupt jede Farben-
abtönung ringsumher erstarb.
„In vielen Krümmungen wand sich der
Weg, nur wenig ansteigend, nur selten sich sen-
kend. Oft bildete der Pfad einen ganz scharfen
Winkel, zwischen dessen Schenkeln ein kleines
Waldthal wie eine Schale lag, während an der
Spitze der Berghang emporstieg in’s Dunkle des
Abends. Dann hörte ich die Kirchenglocken von
Güntersthal und stand still, den Klängen lau-
schend, die wie fromme Melodieen halblaut durch
die Lüfte zogen.
„Doch jetzt wurde es immer finsterer. Und
immer dichter schlossen die Baumkronen ihr
Laubdach über mir zusammen, und immer enger
standen die schlanken hohen Stämme beieinan-
der, als hätten sie plötzlich begonnen zu wan-
dern, als fürchteten sie einen Verräther zwischen
sich, den '-sie nicht entrinnen lassen durften.
Der Abendsegen war zu Ende geläutet und ein
Schweigen lagerte rings, wie ich es niemals im
Leben sonst empfunden habe. Die dürren, ab-
gelegnen, rothen Blätter auf dem Walderdreich,
die ich bis vor wenigen Minuten noch zu sehen
vermocht hatte und die mir in dem unbestimmten
Licht wie ein endloses Korallenlager erschienen
waren, umhüllten sich jetzt völlig mit dem schwar-
zen Mantel der Nacht.
„Ich stand still. Ich lauschte. Mein Herz
klopfte rasch und hörbar. Aber als ich das ein-
tönige und angenehme Geräusch meiner Schritte
nicht mehr vernahm, überfiel mich eine starke,
ausdauernde Furcht. Ich fing an rascher zu
gehn, aber bald stand ich wieder lauschend.
Ich überlegte, ob ich nicht umkehren solle,
aber noch waren die Vorstellungen von dem
Hohn der Freunde so lebhaft in mir, dass ich
mich vor Scham erröthen fühlte. . .. Instinktiv
suchte ich nach Streichhölzern in den Taschen:
ich hatte nicht eines bei mir. Und es ward immer
noch finsterer. Erschreckt gewahrte ich, bis zu
welcher Grenze die Tiefe der Nacht gehen könne.
Noch niemals hatte ich diese, die eigentliche
die gewaltige Finsterniss erschaut. Die Finster-
niss, die es unmöglich macht, die eigne Hand
zu sehen, die dem Körper alle Sicherheit der
Bewegung raubt, das Athmen erschwert.
Die Nacht hatte ich nie anders als in der mil-
den und wohlthuenden Dämmerung eines freien
Himmels erblickt: — diese Nacht war mir fremd.
Sie erfüllte mich mit Grausen, mit Entsetzen.
Ich fühlte etwas Schweres auf meinem Schädel
lasten: das war die Finsterniss.
„Aber nun entdeckte jch, dass ich vom Weg
abgekommen, und schon zwischen den Stämmen
umherirrte. Ich blieb stehen und von den Fuss-
sohlen aus zog eine widerwärtige Kälte über
meinen Körper. Mir war, als sei ich soeben aus
dem Bad gestiegen und nassen Leibes in die
Kleider gestürzt. Ich wagte nicht zu rufen. Was
hätte es auch geholfen, zu rufen? Freilich, nicht
die Einsicht in die Nutzlosigkeit hielt mich da-
von ab, sondern ich fürchtete mich. Die Finster-
niss schien mich zu umarmen, ja, sie schien sich
anzufühlen; mir war, als ob ich sie greifen könne,
wie man ein Stück Sammt mit den Fingern greift.
Der ganze Wald nahm für mich das Wesen einer
Person an, ausgerüstet mit teuflischen Mitteln,
einen Menschen zu Grunde zu richten.
„Ich hörte ein Rascheln im Laub, wie von
hurtigen Tritten, ein Knacken der Zweige, wie
wenn sich Jemand vom Boden aufrichtet, und
meine Glieder begannen heftig zu zittern. Wohl
sagte ich mir, — und ich sagte es mir vielleicht
hundertmal: das ist ein Reh, irgend ein scheues
Waldthier . . . Aber mein Gemüth war nicht
mehr empfänglich für eine vernünftige Deutung
,vh umfasste mit den Armen einen herab-
119