Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1896

. JUGEND

Nr. 10

tropfen glänzten auf ihrem Rosenantlitz. Gül-Bejase
lehnte sich an ihre zarten Wangen: „Warum bist du
so blass und glühst so sehr?“ fragte sie. Blass und
glühend stand sie selber da und ihre Thränen flössen.

„Prinzessin, Du weinst ja!“ riefen die Sklavinnen
bestürzt.

„Ich weiss nicht,“ sagte Gül-Bejase, „ist’s Sehn-
sucht, ist’s Erinnerung? Ich muss an etwas denken,
das ich noch nie besass.“ Und sie hätte sich die spitzen
Dornen in’s Herz stossen mögen, so traurig war sie,
_ selbst eine einsame Rose voll von schmerzlichem Glühn.

Da schenkte ihr der König ein wunderliebes
Kätzchen, damit sein Liebling wieder fröhlich werde.
Das hatte ein seidenweiches Fell und Schelmenaugen.
Gül-Bejase gewann es auch lieb und liess sich von
ihm gern schmeicheln und kosen. So possirlich war
es, dass es sogar bei ihr schlafen durfte, wenn sie
Nachts in ihrem goldenen Bette lag. Selbst die Nacht
hatte Sonnenathem hier, sie war viel schöner, als
anderswo der schönste Tag, nur allzustrahlend, all-
zuglühend, dass man gar nicht schlafen konnte. Die
Welt war so entzückend, man kam nicht zur Ruh'.
Die Rosen dufteten so stark, die kranken Rosen. —
„Ich Arme!“ seufzte Asiens reichste Königstochter.
Nun liess ihr der Vater ein neues Diadem an-
fertigen aus taubeneigrossen Rubinen. Das durfte sie
sich auf’s Haupt setzen und sich damit im Spiegel
besehn, und es stand auch gar herrlich zu ihrem eben-
holzschwarzen Haar. Die Sklavinnen klatschten ent-
zückt in die Hände, doch Wunder that auch die Krone
nicht, und verzagt blickte Gül-Bejase zur ewigen Sonne
empor. — Einmal sass sie auf der Terrasse und starrte
sehnsüchtig in’s Meer hinaus, als sie ein Schiff nahen
sah, wie sie noch nie eines gesehen. So ganz anders
als die einheimischen Boote. Trauerfarben waren seine
Segel und verwittert. Unruhig schlug es mit den
schwarzen Flügeln wie ein dunkler Nachtraubvogel
und als es nun im Hafen einlief, zog es die Segel
nicht ein, als ob es jeden Moment wieder auffliegen
wollte. Ein Mann stieg an’s Land. Seine Kleidung
war von fremdem Schnitt, grau und düster, wie die
Segel seines Schiffs. Sieh, ein ferner Seefahrer! dachte
Gül-Bejase. Doch wie staunte sie, als sie ihn die
Treppe heraufkommen sah und geradewegs auf sie
zu. Rasch liess sie ihren Schleier fallen, da nach
Landessitte kein Mann ihr Antlitz sehen durfte, doch
bemerkte sie, dass er hoch von Gestalt war und schön
von Angesicht, wie seine Haut so weiss war und
alles an ihm hell: Der kühne Blick, der flachsblonde
Bart, der ihm über die Brust herniederwallte, und
dass er trotz seines langen Bartes noch jung und,
obgleich derb und schlicht, voll natürlichen Adels
war. Wie gebannt schritt sie ihm entgegen.

„Wer bist Du?“ fragte sie. — „Ich heisse Ingunar.“
„Woher kommst Du?“ — Er zeigte nach Norden.
„Und was willst Du hier?“

„Die Sonne will ich sehen!“

Da schlug sie ihren Schleier zurück, als könne
sie nicht anders, und er sah ihr Angesicht. Ein Aus-
ruf des Entzückens entfuhr seinen Lippen, und ge-
blendet von ihrer Schönheit murmelte er:

„Ich muss die Sonne haben!“

Da bäumte sich ihr königlicher Stolz.

„Weisst Du denn, Fremdling, zu wem Du so
sprichst? Ich bin die Prinzessin Gül-Bejase!“ sagte

sie, „bedenk das wohl!“ Und sie zeigte ihm die
Schätze ihres Vaters.

Den Palast mit dem Golddach und die marmornen
Hallen. Die herrlichen, mit Rubin und Demant be-
setzten Waffen und all die Kostbarkeiten, bei deren
Anblick Einem Hören und Sagen verging. Die pur-
purnen Teppiche, wahre Wunder persischer Webe-
kunst, die Krystallgefässe und all das Geschmeide aus
köstlichem Elfenbein, Juwelen und prangenden Meer-
korallen. Die singenden Springbrunnen, Papageien, Co-
libris und die glühenden Rosen. Das berückend schöne
Panorama der Städte, die sich in klaren Stromwellen
widerspiegelten, die wasserdurchrauschten Gärten, das
ganze sonnendurchglühte Paradies, ein Entzücken für
das Auge. Selbst in den Flüssen flössen Goldkörnchen
mit im Sande. Die Erde konnte all den Reichthum
kaum ertragen und all die Gluth und Schönheit.

Doch Ingunar fasste ihre Hand und sagte:

„Komm mit mir!“

„Bist Du denn ein König?“ fragte sie.

„Nein,“ sagte er stolz, „ich bin ein freier Mann“.

„Ist Dein Palast aus Marmor und Gold?“

„Aus Lehm ist meine Hütte.“

iH
Register
Fritz Erler: Zeichnung zum Text "Sonnen-Sehnsucht"
 
Annotationen