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1896

Charley Gänsberger’s Glück und Ende.

Von M. K. Fabricius.

»Ein Esel von Gottes Gnaden!“ sagte
der Baron und warf dem Charley Gäns-
berger einen Blick voll auserlesener Ver-
achtung nach.

9er mit so unzweideutigem Nachruf Be-
dachte hatte eben noch an unserm Tische
gesessen und mit uns gesprochen, lang-
Weilig und schüchtern, geziert und albern
Vlelleicht, aber gutmüthig und höflich bis
lUm Uebermass. Jetzt schritt er durch das
Restaurant dem Ausgange zu und sah wirk-
“ch drollig aus mit seinem erkünstelt
schwerfälligen Gang, den er für cavalier-
J^assig halten mochte, und der verwunder-
. den Art, mit der er, seine vielen Be-

kannt«

ken grüssend, den Hut im Bogen vom
*v°pf und wieder zurück bewegte.

R »Ein Esel in Folio! Man kann ihn zum
Besten halten, bis man selber nicht mehr
^?dg — und er merkt es nicht. Und so
e'n Fastnachtsulk der Schöpfung hat Geld
wie Heu!“

Der Baron seufzte und holte eine Ci-
garette aus seinem Etui; es war ein hübsches
nglisches Etui aus gehämmertem Silber,
i mct*as 'ch am Tage vorher den „Esel
d Folio“ noch beneidet hatte. Den nun-
ehrigen Besitzer des hübschen Gegen-
andes hatte ich übrigens auch im Ver-
?cnt, eben mit Charley Gänsberger und
hab 6r ^essen Kosten gefrühstückt zu

Ich verabschiedete mich von dem Herrn,
tr ff se'ne Mitmenschen so präcis und
hal en<^ zu charakterisiert wusste und
^ he es für mehr als wahrscheinlich, dass
j dtir auf meinen kurzen Gruss hin auch
•j.p?nd einen hübschen Namen aus der
■erwelt nachschickte, sobald ich ausser
Horweite war.

li dem Esel und Charley hatte es frei-
st *e'ne Richtigkeit. Nicht zum Wenig-
haf? ^|ssba'b> weil er sich um die zweifel-
Ereundschaft des Herrn Baron van

eck bemühte. Dieser gehörte zu jenen

fragwürdigen Existenzen, denen man im
modernen Grossstadtleben kaum aus dem
Wege gehen kann, von denen man aber be-
stimmt voraus weiss, dass sie eines Tages
mehr oder weniger geräuschvoll, aber ge-
wiss nicht in Ehren aus der anständigen
Gesellschaft verschwinden werden. Er war
übrigens kein Baron, der Herr Baron van
der Week. Er hatte sich nur aus seinem
holländischen van ein, von Charley Gäns-
berger und etlichen Kellnern und Cafehaus-
nymphen anerkanntes „von“ zurechtge-
drechselt, besass das Talent, sich anzu-
ziehen, trug ein Monocle im Auge und hatte
im Uebrigen noch Niemanden durch irgend
eine Leistung dazu veranlasst, ihn um viele
Stufen höher in der Zoologie einzureihen,
als erCharleyGänsberger classifizirte. Der
Baron schmarotzte gründlich bei dem jugend-
lichen Emporkömmling, rauchte dessen Im-
porten und ritt dessen Pferde und hatte da-
für schliesslich nur die eine Entschuldig-
ung, dass Charley ihm, dem Baron, nach-
gelaufen war und nicht er, der Baron, dem
Charley.

Der Letztere, Held dieser kurzen und
keineswegs humoristischen Geschichte,
war der letzte Träger eines in der Stadt
wohlbekannten Namens, dessen Inhaber
sich seit Urväterzeiten durch die Herstell-
ung wohlschmeckender Fleischwaaren die
Sympathie und den Zuspruch weiter Kreise
erworben hatten. Charley erbte von seinem
Vater, einer Tante und einem Onkel und
war mit 21 Jahren im Besitz eines Ver-
mögens, das ihn in den Stand setzte, auf
sehr grossem Fusse zu leben, oder, um
das Endziel seines gesammten Strebens
mit einem Worte klarzulegen — ein Ca-
valier zu werden. Das Geld hatte er dazu
den Willen auch, einen leidenschaftlichen’
opferbereiten Willen sogar. Aber sonst
fehlte ihm Alles, was zum Berufe eines
eleganten Pflastertreters gehört: Umgangs-
formen, Menschenkenntnis, Geschmack,

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Nr. 11

Erscheinung. Die Letztere ganz besonders.
Zwischen seinem weisen, beängstigend
hohen Hemdkragen und dem funkelnden
Pariser Seidenhut, den er trug, erschien
sein mit Sommersprossen übersätes Ge-
sicht, in dem der Mund immer ein wenig
offen stand und die Nasenlöcher so entsetz-
lich verwundert gegen den Himmel starr-
ten, wie ein lächerliches Zerrbild. Er fühl
in einem reizenden Coupe mit Gummi-
rädern durch die Strassen — aber es sah
aus, als gehörten er und dies Fuhrwerk
nicht zusammen. Er ritt auf einem su-
perben Blutpferd spazieren und ritt gar
nicht schlecht — aber man hielt ihn im
besten Falle für einen Trainer, der dem
Pferde eines Cavaliers Bewegung macht.
Er zechte mit seinen Freunden und Gön-
nern in den theuersten Lokalen der Stadt
und gab fürstliche Trinkgelder — aber die
Kellner machten ihre schönsten Compli-
mente doch vor seinen, von der Natur vor-
nehmer ausgestatteten Zechbrüdern und
über ihn lachten sie, wenn er den Rücken
wandte.

Der Baron van der Week war sein
Ideal an weltmännischem Wesen und Vor-
nehmheit, an ihn schloss er sich in der
ersten Stunde an, da sie zufällig bekannt
wurden und an ihn hängte er sich mit
einer Beharrlichkeit, die sich auch nicht
minderte, als der Edle anfing, ihn auf’s
Schamloseste zu brandschatzen und ihn
noch obendrein nichts weniger als höflich
behandelte. Van der Week hatte Uebung
darin, seine Füsse unter anderer Leute
Tisch warm zu erhalten und er kannte die
Zähigkeit, mit der Emporkömmlinge sich
an die Leute klammern, die sie als Lootsen
„in die grosse Welt“ ausersehen haben.

Der Baron brachte Gänsberger auch
in unsern Kreis. Er war dort selbst nicht
sehr gerne gesehen, aber es lag nichts
Greifbares gegen ihn vor, was uns be-
rechtigt hätte, uns von ihm demonstrativ
zurückzuziehen. Charleywardrollig genug,
dass wir unsern harmlosen Spass mit ihm
hatten und, trotz des Mangels an jeder
tieferen Bildung, anständig genug, nie lästig
zu werden. Ein paar Mal fanden wir Ge-
legenheit, zu beobachten, dass er ein wirk-
lich gutes Herz besass und wir hatten
ihn gerne trotz seiner Lächerlichkeiten.
Besonders hatte ihn ein junger Deutsch-
amerikaner in sein Herz geschlossen, ein
Prachtmensch, welcher nur zwei schlechte
Eigenschaften hatte: überall und für Jeden,
den er seit fünf Minuten kannte, die Zeche
bezahlen zu wollen und — sobald er warm
wurde, auch ein wenig sentimental zu
werden. Das steigerte sich mit der Anzahl
der Gläser, die er trank und er war im
Stande, während er einen ausgesucht tollen
Streich vollführte, von Todesahnungen zu
reden und Gespenstergeschichten zu er-
zählen, an die er fest glaubte. Er hatte
den Karl Gänsberger zuerst „Charley“ ge-
rufen und man kann sich denken, wie gierig
der gute Junge nach dem exotischen Kose-
namen griff. Das war ja beinahe so viel
als ein „von“ und alsbald stand es auf
seiner Visitenkarte.

Unser Amerikaner, Mister Klein nannte
er sich auf gut Deutsch, hegte einen aus-
gesprochenen Hass gegen den Baron, dem
gp bedingungslos misstraute, mit dem In-
stinkt den sehr oft gerade und starke Natu-
ren verlogenen und unsauberen Existenzen
gegenüber haben. Van der Week fürchtete
den Amerikaner und war ihm gegenüber
von aalglatter Höflichkeit.
Register
M. K. Fabricius: Charley Gänsberger's Glück und Ende
Julius Diez: Wappen
 
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