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Nr. 11

JUGEND

1896

„Ich fürchte, dass ich ihm noch einmal
in den Gesicht schlagen werde“, sagte
Mr. Klein einst zu mir. Die deutsche
Grammatik war seine schwächste Seite. —

Unter des Barons Anleitung hatte Char-
ley manchen Fortschritt gethan im Cavalier-
werden. Er hatte sich die grossen Brillant-
hemdknöpfe ab- und eine wohlthuende
Einfachheit in seiner Eleganz angewöhnt;
er bestellte den Champagner nicht mehr
ausschliesslich nach dem Preis, sondern
kannte auch die Marken, sprach sach-
kundig von Hennessy, Märtel u. s. w., auch
kannte er die wichtigsten englischen Sports-
ausdrücke und sprach sie richtig aus. Was
der Baron wusste und kannte, brachte er
seinem Zögling bei — nicht aus irgend
welchem Interesse für Charley, sondern
weil sothaner Unterricht stets ausreichende
Gelegenheit bot, von der wohlgespickten
Börse des „Emporkömmlings“ Gewinn zu
ziehen. Der Baron war nicht der einzige
Schmarotzer Charley Gänsbergers, aber er
war der gründlichste.

Und er war ein Lump.

Er hatte dem albernen Jungen eines
schönen Tages eingeredet, ein Mann wie
er müsse sich auch ein flottes Weib halten.

Auf das warCharleyschwereingegangen.
Familienüberlieferung war so etwas nicht
bei den Gänsbergers. Bis zur vorletzten
Generation hatten sie Mühe genug gehabt,
ihren legitimen Frauen ausreichend und
gut zu essen zu schaffen. In der letzten
Generation noch war die Frau sehr lebhaft

am Gedeihen des Geschäftes und des Ver-
mögens betheiligt, sie stand hinter dem
Ladentisch und schnitt einen Schinken um
den andern in dünne Scheiben — 40 Jahre
ihr Lebenslang. Ihrer Virtuosität im Schnei-
den und Wiegen des Schinkens verdankte
Charley nicht zum kleinsten Theile seine
glückliche Lage und das that genug dazu, sein
Frauenideal in der Richtung zu suchen, in
derdas Wesen seiner Mutter gewachsen war.

Angst vor allem Skandal, vor jeder
Unerquicklichkeit hatte er auch, und seines
unvortheilhaften Aeussern war er sich eben-
falls bewusst.

Indessen — ein Lebemann ohne ein
flottes Weib — der Baron hatte ganz recht
— es ging wirklich nicht!

Und gütig, wie er stets gepflegt, schaffte
van der Week auch dieses Mal Rath. Er
machte seinen Zögling mit einer schlanken
blonden Schönheit bekannt, einer Choristin,
die in der Kunst, Männer auszubeuten, An-
spruch auf jede Meisterschaft der Welt
hatte und cynisch genug war, mit Vorliebe
von ihrer Vollkommenheit in dieser Kunst
zu reden. Schön war sie wohl — so schön,
als ein Weib sein kann, das frech und
temperamentlos zugleich ist.

An diese Prima-Adresse empfahl van der
Week seinen Schützling und kurz darauf
hatte Charley das unbestrittene Recht, sei-
nen übrigen Ruhmestiteln als Lebemann
auch noch den hinzuzufügen, dass er die
hübscheste und eleganteste Maitresse in
i der Stadt besass.

Er war glücklich und gewann sehr an
Selbstachtung in jenen Wochen, er strahlte
vor Wonne, wenn er in seinem Tilbury mit
der schönen Else ausfuhr, wenn er mit ihr
im Theater sass und kaum die übliche bla-
sirte Miene zu Stande bringen konnte in
seinem Stolz darüber, dass sich bei ihrem
Eintritt sofort alle Operngläser nach ihrer
Proszeniumsloge — es war die theuerste im
Hause — richteten.

Dass Fräulein Else dem ungeliebten
Menschen gegenüber, der durch Nichts auf
sie Eindruck machte, nicht durch Rang,
noch durch Manieren oder Chic, dass dieses
Weib gegen den dummen Charley nicht ge-
rade die vortheilhaftesten Seiten ihres We-
sens herauskehrte, kann man sich denken.
Sie gab sich keine Mühe, es irgendwie zu
verbergen, dass es ihr nur um sein Geld
zu thun sei, und waren Andere zugegen, so
Hess sie es Jenen in der verletzendsten
Weise verstehen, dass ihr nichts an ihm lag,
dass sie sich an einen Proletarier weg-
geworfen, der sie nicht zu würdigen wusste.
Er litt Alles geduldig und nahm die scham-
lose Impertinenz der Choristin als nothwen-
digen Bestandteil des Verhältnisses mit
einem flotten Weibe hin. Schlecht behandelt
zu werden von Creaturen, welche von ihm
zehrten — Du lieber Himmel, das war er
ja gewöhnt. Er litt Alles geduldig, wie ge-
sagt und war sogar stolz darauf, wie etwa
ein jugendlicher Athlet stolz darauf ist,
Schläge und Verletzungen nicht zu spüren.

„Wenn man die Weiber kennt, nimmt

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Emil Hansen: Maske
 
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