1896
JUGEND
Nr. 15
Immer schmerzlicher schaute mich der
Maler all, deutete noch einmal auf die drei
Stücke und sagte:
,Das ist ein Farbenakkord!'
,Ah!‘
Ja, eine Harmonie! Und solche Har-
monien sind die Seele meiner Bilder. Mein
höchstes Streben geht dahin, die Malerei
vollständig zur Tonkunst zu machen.^
,Ah‘, sagte ich wieder; es war das Ein-
zige, was ich zu antworten wusste und
jedenfalls das Beste! Er fuhr fort:
,Ein Concert in Gelb, das ich im Vor-
jahre gemalt hatte, machte viel Aufsehen.
Aber ich gehe noch weiter — ich muss
noch weiter kommen! Weisst Du, mit was
ich mich jetzt befasse?“
,Mit einem Concert in Grün?“
,Nein! Mit einer Abendstimmung, der
ein Trio von Pedalharfe, Bassclarinette
und Oboe zu Grunde liegt!“
,Ah!“
,Nicht wahr, das habt ihr drüben noch
nicht gehabt?“
,Nein! Drüben musiziren die Maler nicht
mit dem Pinsel, da malen sie blos, so viel
ich weiss.“
Mein Freund Langhans setzte sich. Er
war offenbar über meine Verständniss-
losigkeit entrüstet. Jetzt kam Schmellau,
der Musikus. Er hatte ganz lange Haare
wie Franz Liszt, sogar Warzen wie Jener.
Wo er die Letzteren hernahm, weiss ich
nicht; früher hatte er keine. Auf ein Stück
Unsinn war ich schon gefasst, als ich ihn
fragte:
,Also Du bist Musikus, Klavierspieler?“
,lch komponire!“
,Ach das muss hübsch sein! Und was
denn? Walzer — Opern?“
Er sah mich ruhig mit grossen Augen
an und sagte, als wäre es etwas ganz Selbst-
verständliches: ,Nietzsche!“
,Aber das ist ja, soviel ich weiss, eine
Art Phi —‘
,— losoph, ganz Recht! Aber mein Guter,
über die Plattheiten einer zweck- und ideen-
losen Melodik sind wir denn doch hinaus!
Sinn muss herein in die Kunst! Prinzip!
Und ich denke, ich kann was in meinem
Fach! Meine grosse symphonische Dicht-
ung: »Die Philosophie des Unbewussten«
hat die Welt einfach verblüfft. Ich habe
die Genugthuung, sagen zu können, dass
diesesTonwerk nicht Einer in seinem vollen
Werthe verstanden hat. Und doch war ich
damals noch nicht auf der Höhe meines
Ich! — Nein, nein, widerspreche mir nicht!
Heute bin ich weiter. Schopenhauer, Hart-
mann, das war für mich nicht genug! Alles
zu bedingt, zu kleinlich, zu grübelnd, zu
bissig, zu wenig präcis in der Negation. So
kam ich zu Nietzsche. Dem Uebermenschen.
Dem Umwerther aller Werthe. Der Ne-
gation im Grossen. Ich denke, von meinem
Orchesterwerke: »Jenseits von Gut und
Böse« wird man in dreihundert Jahren
auch noch reden. Willst Du mein »Herren-
Motiv« hören?“
,Natürlich!“
Er ging an ein Pianino, das in der
Ecke stand und griff ein paar Takte. Es
klang furchtbar! Dann sagte er:
,Der verminderte Septimakkord am An-
fang und der kühne unvermittelte Ueber-
gang von Gdur in Fis moll spricht mit
elementarer Deutlichkeit die Verneinung
aller bestehenden Ordnung'aus — das wirst
Du doch auch als Laie begreifen!“
,Aber ja! Es ist ja so einfach!“ Warum
sollte ich den auch entrüsten!
Er war sichtlich erfreut und klopfte mir
auf die Schulter:
,Du hast entschieden ein musikalisches
Ohr. Der gewöhnliche Hör-Pöbel steht
den Harmonien der Disharmonie sonst
ziemlich verständnisslos gegenüber. Jetzt
sollst Du dafür auch noch das Zarathustra-
Motiv hören!“
Er tappte wieder über die arme Claviatur:
,Hörst Du die überlegene Ironie in
diesen Triolen? Klingt es nicht wie das
trockene Lachen eines weltumfassenden,
weltverachtenden Riesengeistes?“
,Genau so.“ Mir schwindelte. Gott
sei Dank — da kam Bergen, der Bild-
hauer. Der mit seiner greifbaren, reellen
Kunst konnte doch nicht so verrückt sein,
wie der Maler und der Musikus! Er sah
auch nicht so transscendental aus, wie die
beiden Anderen. Im Gegentheil, der ganze
Mensch schien frisch aus dem Rahmen
eines Modejournals gestiegen; ein Seiden-
hut nach der Mode von 1830, Rock- und
Beinkleider aus dem Jahre 1848, der Rock
oben zu eng und unten zu weit, die Hosen
oben zu weit und unten zu eng. Licht-
graue Handschuhe mit schwarzen Raupen;
in der Hand hatte er etwas wie die Seele
eines schwindsüchtigen Regenschirmes.
Ich citirte ihn an meine Seite:
,Nun was bildhauerst denn Du eigent-
lich, alter Junge?“ fragte ich.
,Ich weiss nicht, ob Du mich verstehen
wirst,“ sagte er mit einer Stimme, weich
wie Watte. ,Ich vertiefe die Plastik nach
innen. Ich suche sie, so zu sagen, zur
Poesie zu machen. Was ich anstrebe, ist
das, dass der Beschauer meiner Figuren
aus diesen alles das wieder herausempfinde,
was ich hineinempfunden habe. Und das
ist viel. Lange, sehnsüchtige Lieder, trübe
herzzerreissende Geschichten sprechen
aus meinen Statuen!“
,Ah!“ sagte ich wieder mit einem Ton
zwischen Frage und Bewunderung. ,Aber
erkläre mir’s ein wenig näher.“
Er zog die Photographie einer Statue
aus der Tasche. Sie stellte eine merk-
würdig dünnbeinige weibliche Figur dar,
welche die Arme ausreckte, wie Jemand,
der noch nicht ausgeschlafen hat.
,Was — glaubst Du — stellt diese Ge-
stalt vor?“
,Den Hunger“, sagte ich in Anbetracht der
trübseligen Körperverhältnisse der Dame.
,Die Sehnsucht nach der Sonne!“ cor-
rigirte mich mein Plastiker. Es handelt
sich um ein Werk novellistischer Art! Ein
Weib, durch eigene Sünde und fremde
Schuld in die Schatten gebannt, wo sie
mühsam und trübe ihr Leben vertrauert
breitet die Arme aus nach den Phantomen
aus lichterer Welt, die aufsteigen vor ihrem
inneren Auge, ruft der holden Gestalt in
der Vergangenheit die Erinnerung an die
reine, freudige Kinderzeit zurück, sieht
sich im Garten wieder spielen unter blüh-
enden Apfelbäumen, sieht sich im ersten
Liebesrausch erglühen — und dann kommt
die Gegenwart wieder über sie, und wie
auf nächtigen, einsamen Gestaden steht
sie da und sehnt sich nach der Sonne, die
ferne über’m wilden Meer erstrahlt.“
,Grossartig“, sagte ich; schon wegen
der oratorischen Leistung. ,Und das ist
Alles da drinnen?“ Ich deutete auf die
Photographie.
,Alles — und vielleicht noch mehr. —
Zur Zeit modellire ich an einer Goethe-
büste — in die kommt »Wahrheit und Dicht-
ung« ganz hinein. Die Idylle von Sesen-
heim ist schon drinnen, aber mit der Af-
faire Lili hapert’s noch ein wenig. Recht
gut geglückt ist mir auch mein »Napoleon«
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JUGEND
Nr. 15
Immer schmerzlicher schaute mich der
Maler all, deutete noch einmal auf die drei
Stücke und sagte:
,Das ist ein Farbenakkord!'
,Ah!‘
Ja, eine Harmonie! Und solche Har-
monien sind die Seele meiner Bilder. Mein
höchstes Streben geht dahin, die Malerei
vollständig zur Tonkunst zu machen.^
,Ah‘, sagte ich wieder; es war das Ein-
zige, was ich zu antworten wusste und
jedenfalls das Beste! Er fuhr fort:
,Ein Concert in Gelb, das ich im Vor-
jahre gemalt hatte, machte viel Aufsehen.
Aber ich gehe noch weiter — ich muss
noch weiter kommen! Weisst Du, mit was
ich mich jetzt befasse?“
,Mit einem Concert in Grün?“
,Nein! Mit einer Abendstimmung, der
ein Trio von Pedalharfe, Bassclarinette
und Oboe zu Grunde liegt!“
,Ah!“
,Nicht wahr, das habt ihr drüben noch
nicht gehabt?“
,Nein! Drüben musiziren die Maler nicht
mit dem Pinsel, da malen sie blos, so viel
ich weiss.“
Mein Freund Langhans setzte sich. Er
war offenbar über meine Verständniss-
losigkeit entrüstet. Jetzt kam Schmellau,
der Musikus. Er hatte ganz lange Haare
wie Franz Liszt, sogar Warzen wie Jener.
Wo er die Letzteren hernahm, weiss ich
nicht; früher hatte er keine. Auf ein Stück
Unsinn war ich schon gefasst, als ich ihn
fragte:
,Also Du bist Musikus, Klavierspieler?“
,lch komponire!“
,Ach das muss hübsch sein! Und was
denn? Walzer — Opern?“
Er sah mich ruhig mit grossen Augen
an und sagte, als wäre es etwas ganz Selbst-
verständliches: ,Nietzsche!“
,Aber das ist ja, soviel ich weiss, eine
Art Phi —‘
,— losoph, ganz Recht! Aber mein Guter,
über die Plattheiten einer zweck- und ideen-
losen Melodik sind wir denn doch hinaus!
Sinn muss herein in die Kunst! Prinzip!
Und ich denke, ich kann was in meinem
Fach! Meine grosse symphonische Dicht-
ung: »Die Philosophie des Unbewussten«
hat die Welt einfach verblüfft. Ich habe
die Genugthuung, sagen zu können, dass
diesesTonwerk nicht Einer in seinem vollen
Werthe verstanden hat. Und doch war ich
damals noch nicht auf der Höhe meines
Ich! — Nein, nein, widerspreche mir nicht!
Heute bin ich weiter. Schopenhauer, Hart-
mann, das war für mich nicht genug! Alles
zu bedingt, zu kleinlich, zu grübelnd, zu
bissig, zu wenig präcis in der Negation. So
kam ich zu Nietzsche. Dem Uebermenschen.
Dem Umwerther aller Werthe. Der Ne-
gation im Grossen. Ich denke, von meinem
Orchesterwerke: »Jenseits von Gut und
Böse« wird man in dreihundert Jahren
auch noch reden. Willst Du mein »Herren-
Motiv« hören?“
,Natürlich!“
Er ging an ein Pianino, das in der
Ecke stand und griff ein paar Takte. Es
klang furchtbar! Dann sagte er:
,Der verminderte Septimakkord am An-
fang und der kühne unvermittelte Ueber-
gang von Gdur in Fis moll spricht mit
elementarer Deutlichkeit die Verneinung
aller bestehenden Ordnung'aus — das wirst
Du doch auch als Laie begreifen!“
,Aber ja! Es ist ja so einfach!“ Warum
sollte ich den auch entrüsten!
Er war sichtlich erfreut und klopfte mir
auf die Schulter:
,Du hast entschieden ein musikalisches
Ohr. Der gewöhnliche Hör-Pöbel steht
den Harmonien der Disharmonie sonst
ziemlich verständnisslos gegenüber. Jetzt
sollst Du dafür auch noch das Zarathustra-
Motiv hören!“
Er tappte wieder über die arme Claviatur:
,Hörst Du die überlegene Ironie in
diesen Triolen? Klingt es nicht wie das
trockene Lachen eines weltumfassenden,
weltverachtenden Riesengeistes?“
,Genau so.“ Mir schwindelte. Gott
sei Dank — da kam Bergen, der Bild-
hauer. Der mit seiner greifbaren, reellen
Kunst konnte doch nicht so verrückt sein,
wie der Maler und der Musikus! Er sah
auch nicht so transscendental aus, wie die
beiden Anderen. Im Gegentheil, der ganze
Mensch schien frisch aus dem Rahmen
eines Modejournals gestiegen; ein Seiden-
hut nach der Mode von 1830, Rock- und
Beinkleider aus dem Jahre 1848, der Rock
oben zu eng und unten zu weit, die Hosen
oben zu weit und unten zu eng. Licht-
graue Handschuhe mit schwarzen Raupen;
in der Hand hatte er etwas wie die Seele
eines schwindsüchtigen Regenschirmes.
Ich citirte ihn an meine Seite:
,Nun was bildhauerst denn Du eigent-
lich, alter Junge?“ fragte ich.
,Ich weiss nicht, ob Du mich verstehen
wirst,“ sagte er mit einer Stimme, weich
wie Watte. ,Ich vertiefe die Plastik nach
innen. Ich suche sie, so zu sagen, zur
Poesie zu machen. Was ich anstrebe, ist
das, dass der Beschauer meiner Figuren
aus diesen alles das wieder herausempfinde,
was ich hineinempfunden habe. Und das
ist viel. Lange, sehnsüchtige Lieder, trübe
herzzerreissende Geschichten sprechen
aus meinen Statuen!“
,Ah!“ sagte ich wieder mit einem Ton
zwischen Frage und Bewunderung. ,Aber
erkläre mir’s ein wenig näher.“
Er zog die Photographie einer Statue
aus der Tasche. Sie stellte eine merk-
würdig dünnbeinige weibliche Figur dar,
welche die Arme ausreckte, wie Jemand,
der noch nicht ausgeschlafen hat.
,Was — glaubst Du — stellt diese Ge-
stalt vor?“
,Den Hunger“, sagte ich in Anbetracht der
trübseligen Körperverhältnisse der Dame.
,Die Sehnsucht nach der Sonne!“ cor-
rigirte mich mein Plastiker. Es handelt
sich um ein Werk novellistischer Art! Ein
Weib, durch eigene Sünde und fremde
Schuld in die Schatten gebannt, wo sie
mühsam und trübe ihr Leben vertrauert
breitet die Arme aus nach den Phantomen
aus lichterer Welt, die aufsteigen vor ihrem
inneren Auge, ruft der holden Gestalt in
der Vergangenheit die Erinnerung an die
reine, freudige Kinderzeit zurück, sieht
sich im Garten wieder spielen unter blüh-
enden Apfelbäumen, sieht sich im ersten
Liebesrausch erglühen — und dann kommt
die Gegenwart wieder über sie, und wie
auf nächtigen, einsamen Gestaden steht
sie da und sehnt sich nach der Sonne, die
ferne über’m wilden Meer erstrahlt.“
,Grossartig“, sagte ich; schon wegen
der oratorischen Leistung. ,Und das ist
Alles da drinnen?“ Ich deutete auf die
Photographie.
,Alles — und vielleicht noch mehr. —
Zur Zeit modellire ich an einer Goethe-
büste — in die kommt »Wahrheit und Dicht-
ung« ganz hinein. Die Idylle von Sesen-
heim ist schon drinnen, aber mit der Af-
faire Lili hapert’s noch ein wenig. Recht
gut geglückt ist mir auch mein »Napoleon«
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