1896
JUGEND
Nr. 15
Der Ausrufer
Ä Leibz’ger Messbild.
»Hier meine Herrn, mal hergeschaut,
Vicdoricha, de „Schlangenbraut“!
Uiss feeenhafde Wesen is
ne durch un durch gebcrne Miss.
S'e mechden zweifeln?! Gluum Se mir,
Gee Beffsteck is ze englisch ihr!
Un neilich gam ä richt’ger Lurd,
M't den verstand se sich sufurt.
Unnn is de „Geenigin der Luft“.
Ihr Vurleb’n schwimmt in Märchenduft;
Mer weess vun ihr nich wie un wo,
Se kleidh sich mehrschdens in Trigut
Un
exercirt fer’sch Lewen gern
Uf ännen Seil se dinn wie 2warn.
Un hier, Verehrt’ste, Nummer Drei,
»Ernesto Gere“ frisch, früh un frei!
^ei Blick is wie ä Ungewidder,
^ei Biceps schleegt än Diger nidder.
Eer’sch Musgelfleesch vun seinen Armen
Dhat
bestens äne Gräfin schwärmen;
Ss Schluss un Gadden,
Schreib- un
Nehdisch
Lie:
Un Wurde speeder selbst athledisch. —
°eh,wenn’s wen mehr nach Geist’gen zieht,
'er haw’ ich euch was fer’sch Gemüth.
ee Mensch noch in de Zugunft sah
ie unsre „Delphische Bydhia“.
01 s Jahr sehen sagt’s voraus die Gude,
Mer '
D
rum
kriegden heit ’ne volle Bude.
nn.
^ verehrt’stes Buwligum!
as stehn Se denn hier haussen rum?
Jetzt liegt’s an Sie bloss, ’s is doch klar,
b ihr Oragel richdig war.“
EDWIN BOKMANN.
Dieselben!
Ihr Männer aus dem vierten Stande
Preist euch die Helden uns’rer Zeit,
Und dass ihr frei von Bürgerschande
Den reinen Fahnen gebt Geleit.
Ich glaub’ euch nicht - ihr seid dieselben
Wie jene Satten auf ein Haar;
Nur kämpft ihr noch um ihre gelben
Kornfelder und die Rinderschaar.
Wer kämpft, der hat die schöne Geste,
Dem lodert Flammenschein im Blick
Doch feiert ihr erst Siegesfeste,
Dann schlägt euch Adam in’s Genick. ]
Dann wird sich’s treulich offenbaren :
Ihr seid vom alten Menschenschlag
Ein Bourgeois, ihr einzig Wahren,
War Adam schon am ersten Tag.
Und Bourgeois, ihr guten Leute,
Wenn ihr erst sitzt beim frohen Mahl
Und besitzt, was euch mangelt heute —
Bourgeois seid ihr dann allzumal.
Dann werdet ihr behaglich dehnen
Euch auf dem weichen, trägen Pfühl,
Und euer ganzes reiches Sehnen
Befriedigt dann ein Kartenspiel.
Ihr seid ja Masse, und die Massen,
Sie ködert nur ein Massenglück;
Ja, leben wollt ihr, leben lassen —
Ihr gleicht den Andern Stück für Stück.
Ich schelt’ euch nicht, nur will ich mahnen:
Missbraucht nicht dumm ein grosses Wort!
„Gut Essen!“ schreibt auf eure Fahnen
Und lasst „die Ideale“ fort.
Denn Ideale, liebe Leute,
Sind nur den Wenigen bekannt,
Die man verfolgt hat, einst wie heute,
Die man gegeisselt und verbrannt.
Dieselben seid ihr noch wie weiland.
Weil ihr die blöde Menge seid,
Die heut „Hosiannah!“ ruft dem Heiland
Und morgen ihn dem Kreuze weiht.
WIEN. EMIL RECHERT.
Mucha: Affiche für den „Salon der Hundert“
in Paris.
243
JUGEND
Nr. 15
Der Ausrufer
Ä Leibz’ger Messbild.
»Hier meine Herrn, mal hergeschaut,
Vicdoricha, de „Schlangenbraut“!
Uiss feeenhafde Wesen is
ne durch un durch gebcrne Miss.
S'e mechden zweifeln?! Gluum Se mir,
Gee Beffsteck is ze englisch ihr!
Un neilich gam ä richt’ger Lurd,
M't den verstand se sich sufurt.
Unnn is de „Geenigin der Luft“.
Ihr Vurleb’n schwimmt in Märchenduft;
Mer weess vun ihr nich wie un wo,
Se kleidh sich mehrschdens in Trigut
Un
exercirt fer’sch Lewen gern
Uf ännen Seil se dinn wie 2warn.
Un hier, Verehrt’ste, Nummer Drei,
»Ernesto Gere“ frisch, früh un frei!
^ei Blick is wie ä Ungewidder,
^ei Biceps schleegt än Diger nidder.
Eer’sch Musgelfleesch vun seinen Armen
Dhat
bestens äne Gräfin schwärmen;
Ss Schluss un Gadden,
Schreib- un
Nehdisch
Lie:
Un Wurde speeder selbst athledisch. —
°eh,wenn’s wen mehr nach Geist’gen zieht,
'er haw’ ich euch was fer’sch Gemüth.
ee Mensch noch in de Zugunft sah
ie unsre „Delphische Bydhia“.
01 s Jahr sehen sagt’s voraus die Gude,
Mer '
D
rum
kriegden heit ’ne volle Bude.
nn.
^ verehrt’stes Buwligum!
as stehn Se denn hier haussen rum?
Jetzt liegt’s an Sie bloss, ’s is doch klar,
b ihr Oragel richdig war.“
EDWIN BOKMANN.
Dieselben!
Ihr Männer aus dem vierten Stande
Preist euch die Helden uns’rer Zeit,
Und dass ihr frei von Bürgerschande
Den reinen Fahnen gebt Geleit.
Ich glaub’ euch nicht - ihr seid dieselben
Wie jene Satten auf ein Haar;
Nur kämpft ihr noch um ihre gelben
Kornfelder und die Rinderschaar.
Wer kämpft, der hat die schöne Geste,
Dem lodert Flammenschein im Blick
Doch feiert ihr erst Siegesfeste,
Dann schlägt euch Adam in’s Genick. ]
Dann wird sich’s treulich offenbaren :
Ihr seid vom alten Menschenschlag
Ein Bourgeois, ihr einzig Wahren,
War Adam schon am ersten Tag.
Und Bourgeois, ihr guten Leute,
Wenn ihr erst sitzt beim frohen Mahl
Und besitzt, was euch mangelt heute —
Bourgeois seid ihr dann allzumal.
Dann werdet ihr behaglich dehnen
Euch auf dem weichen, trägen Pfühl,
Und euer ganzes reiches Sehnen
Befriedigt dann ein Kartenspiel.
Ihr seid ja Masse, und die Massen,
Sie ködert nur ein Massenglück;
Ja, leben wollt ihr, leben lassen —
Ihr gleicht den Andern Stück für Stück.
Ich schelt’ euch nicht, nur will ich mahnen:
Missbraucht nicht dumm ein grosses Wort!
„Gut Essen!“ schreibt auf eure Fahnen
Und lasst „die Ideale“ fort.
Denn Ideale, liebe Leute,
Sind nur den Wenigen bekannt,
Die man verfolgt hat, einst wie heute,
Die man gegeisselt und verbrannt.
Dieselben seid ihr noch wie weiland.
Weil ihr die blöde Menge seid,
Die heut „Hosiannah!“ ruft dem Heiland
Und morgen ihn dem Kreuze weiht.
WIEN. EMIL RECHERT.
Mucha: Affiche für den „Salon der Hundert“
in Paris.
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