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1896

JUGEND

Nr. 18

Immer mehr schmähte er Karla. Schon rannte er die
Leute auf der Gasse an und manches Schimpfwort flog. Ja,
wohin wollte er eigentlich. In den Club? Das war schon
das Allerlangweiligste. Ewig Kartenspielen und schlechte
Witze ... Er lief noch ein wenig durch die Gassen, indess
ihn der Regen nässte und landete endlich in einem Kaffee-
haus. Aber er sah nicht in die Zeitung, trank nicht den
Schwarzen.

Ja, so geht es. Jetzt sitzt er da, allein, in diesem Dampf,
unter den Unbekannten wie als Junggeselle. Und er hat
doch ein Heim und ein liebes . . ein Weib. Ja, das Weib!
Das war jetzt ganz anders. Oh dieser süsse Winter, wo
keines das andere nur eine Minute lassen wollte, wo sie bei
der Thür schon wartete, wenn er kam. Und dann der Früh-
ling, als ob die Romantik nie enden wollte! Es war alles
wie ein vergessener Duft, der nun doppelt stark die Sinne
umfloss, da er hervorbrach. Er dachte an einen schönen
Kamin mit hellem Feuer, sie aber wollte in der Kälte spa-
ziren gehen. Wenn er sie zu Hause haben wollte, wurde
sie langweilig. Und war sie nicht früher in seinem Zimmer,
wenn er arbeitete? Jetzt war er allein. Wie hatte er heute,
als er in’s Zimmer trat, gewartet, dass sie ihm entgegen-
kommen und ihn küssen werde. Aber nichts von dem. Sie
verstanden sich nicht mehr oder es war die Trübsal des Wet-
ters schuld.

Er wischte den Thau von dem Fenster weg und blickte
hinaus. Wenige gingen draussen. Ein paar Geschäftsleute,
eilige Dienstmänner und noch flinkere Modistinnen, die heim-
zogen und fröhlich durch die Lachen patschten. Melancho-
lisch sah er manchem zierlichen Füsschen nach, das sich
vom Dunkel geschützt glaubte. Und sinnend blieben auch
draussen manche Herren stehen und blickten nach den
Schritten der Eilenden.

Fred rief den Kellner und zahlte. Ein Geist des Ueber-
muths war über ihn gekommen und er pfiff leise vor sich
hin. Er dachte an seine letzte freie Jugend, an die letzten
dummen Streiche und an manches süsse Mädel. Es waren
lauter Episoden, flüchtig wie der Tag. Und schliesslich, was
war Karla eigentlich, nur eine längere. Ja, und hatte er nicht
soviel gehalten, warum gab sie sich nicht auch ein kleines
bischen Mühe um ihn? Jetzt war sie so langweilig und wie
entzückend hatte sie Walzer getanzt. Es musste wieder irgend
ein Abenteuer in ihre Liebe kommen.

Die kleinen verwaschenen Häuser der Vorstadt zogen
vorüber, bunte Vorhänge leuchteten in die Nacht und verhüllten
Abenteuer. Und wie oft waren er und seine Freunde da durch-
gelaufen, während würdige Bürger den Studentenunfug an-
brummten. Das gab es jetzt nicht mehr.

Und plötzlich, da vor ihm trippelte es in kurzen, schnellen
und stechenden Schritten. Es war ein Mädel. Freilich zogen
sich Nebel, aber Fred sah ihre Eleganz und Anmuth. Wie
unwillkürlich lief er nach. In weichen Rhythmen wuchs ihr
Leib und ein leises Parfüm zog nach. Sie war schlank und
doch von Fülle, seine Art. Das liebte er. Und wie in alten
Tagen, aber nur unbewusster, folgte er unermüdlich. Sie
hatte einen Schleier, auch konnte er nicht recht vor, denn
sie ging sehr schnell- Ein bischen bekannt kam sie ihm vor,
einmal hatte sie sich flüchtig umgesehen. Ob das ihm galt?

Aber etwas war ein gütiges Zeichen. Sie raffte sehr un-
bekümmert den Rock und aus der Wolke von Spitzchen glitt
ein kleiner netter Fuss in schwarzer Seide. Das war das Sug-
gestive und es gab nur ein blindes Gehorchen. Und so lief
er durch die Gassen wie nach dem rollenden Glück und hörte
und sah nichts. Aber er war so fröhlich wie nie und brummte
einen Vers:

... lorsqu’on voit le pied, la jambe se devine.

Et tout le monde sait qu’elle a le pied charmant.

Hm, vielleicht war sie doch eine Frau! Und wer war denn
der Glückliche, Gemahl oder Liebhaber, wer hatte das Recht?!
Das war noch nicht so sicher. Entschieden war sie sehr lieb.
Uebrigens man konnte ja sehen... Das konnte noch eine ver-
gnügliche Geschichte geben, die seine Langeweile kürzte. Und

Gezeichnet von Reznicek.

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Register
Ferdinand Frh. v. Reznicek: Zeichnung zum Text "Regnen"
 
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