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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 19 (9. Mai)
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1896

JUGEND

Nr. 19

blick ganz verschwanden. Sie fühlte ihr
Herz klopfen und klopfen. Jetzt war es

bald drei Uhr_in ein paar Stunden fuhr

er fort. Und sie sah ihn vielleicht nie
mehr —... er wollte vielleicht fort, wollte
weg von ihr .... zu einer Anderen nach
Kopenhagen.

Ach nein — nein, das konnte nicht mög-
lich sein.... so, wie er sie gebeten hatte,
Abends zu kommen -— mit dieser Stimme.

Und sie würde auch kommen — das
konnte er glauben. Er sollte nicht ver-
gebens warten — der liebe gute Junge.-

Margrete ging zum Hause hinüber. Die
Mutter kam aus der Thüre.

„Ja, jetzt komme ich und helfe Dir,
Mutter.“

— „Liebe, kleine Mutter“, sagte sie auf
einmal und küsste sie auf die Wange.

* m. *

Sie lief beinahe den kleinen Weg über
den Abhang hinauf, wo die Häuser auf-
hörten. Nichts als Dunkelheit und ein
Stück Landstrasse — und diese undeut-
lichen Bäume gerade daneben, im Garten
des Consuls.

Sie entdeckte seine Gestalt, die dort
stand. Im selben Moment kam er hastig
auf sie zu. Als sie Guten Abend erwiderte,
klang ihre Stimme ihr gleichsam ganz fremd
und weit weg.

„Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte
er dann leise zu ihr hinabgebeugt.

Sie konnte nichts antworten — nicht
gleich.

Und er schwieg auch.

Dann sagte er: „Hier ist es dunkel...“
und bald darauf: „Wollen Sie nicht meinen
Arm nehmen?.... weil es hier so dunkel
ist,“ wiederholte er.

Sie legte ihren Arm in den seinen ....
ihr Herzklopfen wollte nicht aufhören.

Sie gingen einige Schritte. Er schwieg.

— Jetzt konnte sie schon besser im Dun-
keln sehen.

„Nein, den anderen Weg,“ sagte sie.

Dann begann er draussen am Feldweg:
»Fräulein! — Sie wissen, dass ich reisen

s°ll.“ Aber da musste sie wirklich

lachen — seine Stimme klang so ganz
schrecklich hochtrabend.

„Sie lachen?“

Und sie konnte an einem leisen Zucken
des Armes merken, dass sie ihn vielleicht
verletzt hatte.

„Ach, aber ich meine es ja gar nicht so“,
sagte sie.

Er hatte ihren Arm losgelassen. Sie
standen einander dicht gegenüber — ihr
Herzklopfen fing wieder an — es wehte ein
starker Wind oben auf der Landstrasse.

Er ergriff ihre Hand, aber sie entzog
sie ihm und ging ein Paar Schritte vor-
wärts, dann blieb sie stehen und wusste
n>cht, ob sie stand, oder wie es war, aber
sie hörte ihn ihren Namen sagen und liess
ihn die Hand behalten, und auf einmal
fühlte sie, dass er den Arm um ihre Schul-
ter hatte, und er sagte den Namen wieder

— aber anders, und es durchfuhr sie, dass
dieser Mund sie jetzt küssen würde.

Sie fühlte den Kuss auf ihrer Wange,
und sie ergriff seinen Arm, um ihn weg-
zudrängen; und mit einem Male spürte sie
seine Wange an der ihren, und ihre Lippen
berührten die seinen, und sie liess die
Arme sinken.

Er stützte sie, so dass sie nicht fiel. Er
zog sie ganz an sich. Und sie fühlte Kuss
auf Kuss mit ganz geschlossenen Augen. —

So waren sie die halbe Stunde lang auf
und ab gegangen und jeden Augenblick
stille gestanden, und sie nannte ihn beim
Vornamen, und wenn sie umwendeten, legte
sie sich in seinen Arm, und er drehte. Sie
mussten Platz zum Wenden haben — ebenso
wie ein Fahrzeug, sagte er. Und sie lachten,
und er küsste sie, und sie küsste ihn wieder,
und sie standen lange stille.

-- Aber dann griff er in die Tasche

und sah beim Licht eines Zündhölzchens
auf die Uhr.

Nein! dass sie sich schon von ihm

trennen sollte! Ach nein-aber es

musste sein.-

Er begleitete sie bis zum Hügel, so
brauchte sie nur den kleinen Weg hinab-
zuhuschen und war wieder am Anfang der
Strasse. Und er sagte viele Male Lebe-
wohl — und lange. Und er zündete eine
Cigarre an, wie er versprochen hatte, so
dass sie stehen konnte und ihn gleichsam
noch ein wenig sehen, während er den
anderen Weg hinablief, der von der nörd-
lichen Seite in die Stadt führte. Er sollte
sich mehrere Male umdrehen, so dass sie
die Gluth sehen konnte. — Und das hatte
er auch gethan, aber nun war nicht das
Allermindeste mehr zu sehen, und sie
sollte nach Hause. —

Sich zu denken: sie sollte nach Hause,
wo sie Vormittag in der Schaukel ge-
sessen und sich geschaukelt hatte ... zu
den kleinen Geschwistern, zu Henriette,
die dreizehn Jahre alt war . . . und noch
mit Puppen spielte. Sie lagen im selben
Zimmer . . . wenn sie nur die Nachtlampe
der Eltern bekommen konnte, denn dann
wollte sie, wenn Henriette eingeschlafen
war, den kleinen Tisch ganz rückwärts in
die Ecke stellen und die Lampe darauf
und dann in dem matten Schein daliegen
und denken . . . denken bis zum lichten
Morgen. —

* * *

„Du bist aber schrecklich lange bei
Tante Elise geblieben,“ sagte die Mutter,
als sie eintrat.

„Ja“ — erwiderte Margrete und fühlte,
dass sie roth wurde, aber die Mutter war
schon damit beschäftigt, das Tischzeug zu
überzählen.

Am andern Ende des Esstisches sass
Henriette und sah zu. Kai wollte in nordi-
scher Geschichte überhört werden. Von da
an, zeigte er mit dem Nagel. Dazu wurde

Margrete angestellt.

Nun: Inzwischen war man in Däne-
mark immer unzufriedener mit Erik von
Pommern geworden —“ begann sie.

Und der Knabe fuhr fort: Man klagte
über die schlechte Münze, die er prägen
liess, über . ..

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Otto Eckmann: Zierleiste
 
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