1896
JUGEND
Nr. 24
gebenheit lesen können, die sich in Hof-
kreisen zugetragen hatte, — und auch ich
hatte zu Hause davon reden hören, wie
jener Gardeoffizier, — den Morgen nach
seiner am Abend vorher im Schlosse ge-
feierten Verlobung, — todt — eine Kugel
durch den Kopf geschossen, den Revolver
in der Hand, — in seinem Zimmer auf-
gefunden wurde . . . Man hebt den Sarg
auf den 'Vagen . . . Dumpf wirbeln die
frömmeln, — die Truppen präsentiren —
das Musikcorps spielt einen Choral; und
langsam setzt sich der Trauerzug zu den
feierlich ernsten Klängen in Bewegung.
Die Ahnung von etwas schrecklich
Traurigem erfüllt unbewusst mein Kinder-
- herz, — es strömt über in Weh um den
unbekannten Todten, den man dort zu
seiner letzten Ruhe begleitet, und auf-
weinend berge ich mein Gesicht auf die
Schulter einer Freundin.
Von jener Zeit ab betrachtete ich die
Fenster drüben mit ahnungsvollem Grauen
und grübelte oft darüber nach, was wohl
den jungen, schönen Offizier in den Tod
getrieben haben möchte.
Dann kam ich in eine andere Klasse,
die auf den Schulhof hinaussah — und so-
mit waren jene geheimnissvollen Fenster
meinem Blicke und mit der Zeit auch mei-
nen Gedanken entrückt.
Bald nachher verbessert meine Eltern
H. und ich sagte der Schulbank in dem
lieben, rothen Gebäude auf immer Lebe-
wohl.
Auch die alten Linden und jene Häuser
sah ich lange Jahre nicht mehr wieder.
In fernem Lande dann — viele Jahre
nachher, erfuhr ich von einer Lands-
männin das, was unaufgeklärt dereinst
mein Kinderherz schon so bewegt hatte.
* # #
Es war kein freudiges Gefühl, was den
Freiherrn von R .. . so hoch aufathmen
machte, als er an jenem Abend seiner Ver-
lobung das Schloss verliess — ein tiefer
Seufzer war es, der fast wie ein Stöhnen
klang.
Er bleibt einen Moment stehen und
fährt sich mit der Hand über die Augen,
wie um einen bösen Spuk zu vertreiben.
Dann schweifen seine Blicke rückwärts
zu den noch erleuchteten Fenstern des
Schlosses, wo er eben in Huld und
Gnade von den hohen Herrschaften ent-
lassen worden ist.
War er doch dem direkten Wunsche
seines Fürsten gefolgt, als er sich mit der
Hofdame der Prinzessin verlobte; er hatte
allerdings nicht geglaubt, sich so schnell
entschliessen zu müssen, als er einige-
male mit der stolzen Blondine auf den
Hofbällen getanzt hatte. — Da war es ihm
Plötzlich nahe gelegt worden, und ehe er
noch Zeit zum Ueberlegen fand, stand er
selbst vor einem fait accompli. Man hatte
es ja auch gut gemeint mit dem char-
manten Gardehauptmann, der noch immer
keine Anstalten machte, sieh dauernd in
die Fesseln einer Schönen zu begeben.
Man wusste ja nicht-
Vas Bild »0» Sais.
Von Theo Schmuz-Baudiss.
Ein kühler Frühlingsnachtwind weht
durch die Luft — er bringt einen Duft
wie von Blumen und von thauigen, blüh-
enden Wiesen. —
Neben ihm, hinter dem alten Garten-
zaun steht ein Fliederbusch in voller
Blüthe, — und drüben tönt das Rauschen
und Brausen des Wassers in der Mühle.
Silberne Lichter wirft der Mond auf die
schäumenden Wellen; sie tanzen auf und
nieder — bis an den tiefen, schwarzen
Schatten, welcher unter der Mühle gähnt.
Er nimmt den Helm ab, lehnt sich mit
den Ellenbogen auf das Geländer und
schaut in die Nacht hinein. —
Um ihn ist Ruhe — tiefer Frieden;
nur von Ferne ertönt das Lied einer Nach-
tigall . . .
Ein unerklärliches Gefühl überkommt
ihn, in dieser Minute möchte er sterben,
— er fühlt sich so gut — fast fromm-
Woher kam diese Regung?
Seine Seele scheint weit weg zu schwe-
ben . . .
Dann ist es mit einem Mal vorüber.
Wo war er nur?
Kam er wirklich von seiner Verlobung?
Ein Schauder durchzittert seine Gestalt.
Das Rauschen des Wassers dringt unauf-
hörlich an sein Ohr.
Wie damals —
Auch schien der Mond genau so —
und die Nachtigall drüben — wie damals
vor zwei Jahren. —
Zwei Jahre! Und die hatten genügt,
ihn Alles vergessen zu machen.
Hatte er denn vergessen?
Und nun war ein Unabänderliches ge-
schehen und er musste die Liebe zu jener
Anderen ewig begraben.
Würde er das fertig bringen, an der
Seite deren, die seine Braut — ? —
Ein neuer Schauer durchbebt ihn.
Wie hatte er nur einwilligen können!
Nicht nur, dass er sie nicht liebte, —
nein, in ihm empörte sich jetzt Alles gegen
sie.-
Und er kam von seiner Verlobung!
Wie würde es da sein, wenn er erst
Hochzeit halten müsste. — —
Hochzeit —!
Ein Lachen entfährt ihm.
Er setzt den Helm wieder auf und bittere
Gedanken sind es, die ihn auf seinem Nach-
hauseweg begleiten. —
Ziemlich unsanft wirft er die Hausthür
in’s Schloss; auch ist es ihm einerlei, dass
sein'Degen gegen das Geländer klappert,
als er die kleine, alte Treppe empor steigt.
In ihm ist eine Wuth. Er verwünscht
sein Schicksal — sich selber.
Da, auf dem Tisch !
Ja, träumt er denn-?
Oder ist das nicht ein Brief von ihr?-
Und heute, gerade heute musste er
kommen!
Er nimmt ihn auf und besieht die feine,
kindliche Schrift. Fast zaghaft berührt er
ihn, — ein weicher Ausdruck gleitet über
seine Züge, und zärtlich dreht er das
Schreiben um und um.
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gebenheit lesen können, die sich in Hof-
kreisen zugetragen hatte, — und auch ich
hatte zu Hause davon reden hören, wie
jener Gardeoffizier, — den Morgen nach
seiner am Abend vorher im Schlosse ge-
feierten Verlobung, — todt — eine Kugel
durch den Kopf geschossen, den Revolver
in der Hand, — in seinem Zimmer auf-
gefunden wurde . . . Man hebt den Sarg
auf den 'Vagen . . . Dumpf wirbeln die
frömmeln, — die Truppen präsentiren —
das Musikcorps spielt einen Choral; und
langsam setzt sich der Trauerzug zu den
feierlich ernsten Klängen in Bewegung.
Die Ahnung von etwas schrecklich
Traurigem erfüllt unbewusst mein Kinder-
- herz, — es strömt über in Weh um den
unbekannten Todten, den man dort zu
seiner letzten Ruhe begleitet, und auf-
weinend berge ich mein Gesicht auf die
Schulter einer Freundin.
Von jener Zeit ab betrachtete ich die
Fenster drüben mit ahnungsvollem Grauen
und grübelte oft darüber nach, was wohl
den jungen, schönen Offizier in den Tod
getrieben haben möchte.
Dann kam ich in eine andere Klasse,
die auf den Schulhof hinaussah — und so-
mit waren jene geheimnissvollen Fenster
meinem Blicke und mit der Zeit auch mei-
nen Gedanken entrückt.
Bald nachher verbessert meine Eltern
H. und ich sagte der Schulbank in dem
lieben, rothen Gebäude auf immer Lebe-
wohl.
Auch die alten Linden und jene Häuser
sah ich lange Jahre nicht mehr wieder.
In fernem Lande dann — viele Jahre
nachher, erfuhr ich von einer Lands-
männin das, was unaufgeklärt dereinst
mein Kinderherz schon so bewegt hatte.
* # #
Es war kein freudiges Gefühl, was den
Freiherrn von R .. . so hoch aufathmen
machte, als er an jenem Abend seiner Ver-
lobung das Schloss verliess — ein tiefer
Seufzer war es, der fast wie ein Stöhnen
klang.
Er bleibt einen Moment stehen und
fährt sich mit der Hand über die Augen,
wie um einen bösen Spuk zu vertreiben.
Dann schweifen seine Blicke rückwärts
zu den noch erleuchteten Fenstern des
Schlosses, wo er eben in Huld und
Gnade von den hohen Herrschaften ent-
lassen worden ist.
War er doch dem direkten Wunsche
seines Fürsten gefolgt, als er sich mit der
Hofdame der Prinzessin verlobte; er hatte
allerdings nicht geglaubt, sich so schnell
entschliessen zu müssen, als er einige-
male mit der stolzen Blondine auf den
Hofbällen getanzt hatte. — Da war es ihm
Plötzlich nahe gelegt worden, und ehe er
noch Zeit zum Ueberlegen fand, stand er
selbst vor einem fait accompli. Man hatte
es ja auch gut gemeint mit dem char-
manten Gardehauptmann, der noch immer
keine Anstalten machte, sieh dauernd in
die Fesseln einer Schönen zu begeben.
Man wusste ja nicht-
Vas Bild »0» Sais.
Von Theo Schmuz-Baudiss.
Ein kühler Frühlingsnachtwind weht
durch die Luft — er bringt einen Duft
wie von Blumen und von thauigen, blüh-
enden Wiesen. —
Neben ihm, hinter dem alten Garten-
zaun steht ein Fliederbusch in voller
Blüthe, — und drüben tönt das Rauschen
und Brausen des Wassers in der Mühle.
Silberne Lichter wirft der Mond auf die
schäumenden Wellen; sie tanzen auf und
nieder — bis an den tiefen, schwarzen
Schatten, welcher unter der Mühle gähnt.
Er nimmt den Helm ab, lehnt sich mit
den Ellenbogen auf das Geländer und
schaut in die Nacht hinein. —
Um ihn ist Ruhe — tiefer Frieden;
nur von Ferne ertönt das Lied einer Nach-
tigall . . .
Ein unerklärliches Gefühl überkommt
ihn, in dieser Minute möchte er sterben,
— er fühlt sich so gut — fast fromm-
Woher kam diese Regung?
Seine Seele scheint weit weg zu schwe-
ben . . .
Dann ist es mit einem Mal vorüber.
Wo war er nur?
Kam er wirklich von seiner Verlobung?
Ein Schauder durchzittert seine Gestalt.
Das Rauschen des Wassers dringt unauf-
hörlich an sein Ohr.
Wie damals —
Auch schien der Mond genau so —
und die Nachtigall drüben — wie damals
vor zwei Jahren. —
Zwei Jahre! Und die hatten genügt,
ihn Alles vergessen zu machen.
Hatte er denn vergessen?
Und nun war ein Unabänderliches ge-
schehen und er musste die Liebe zu jener
Anderen ewig begraben.
Würde er das fertig bringen, an der
Seite deren, die seine Braut — ? —
Ein neuer Schauer durchbebt ihn.
Wie hatte er nur einwilligen können!
Nicht nur, dass er sie nicht liebte, —
nein, in ihm empörte sich jetzt Alles gegen
sie.-
Und er kam von seiner Verlobung!
Wie würde es da sein, wenn er erst
Hochzeit halten müsste. — —
Hochzeit —!
Ein Lachen entfährt ihm.
Er setzt den Helm wieder auf und bittere
Gedanken sind es, die ihn auf seinem Nach-
hauseweg begleiten. —
Ziemlich unsanft wirft er die Hausthür
in’s Schloss; auch ist es ihm einerlei, dass
sein'Degen gegen das Geländer klappert,
als er die kleine, alte Treppe empor steigt.
In ihm ist eine Wuth. Er verwünscht
sein Schicksal — sich selber.
Da, auf dem Tisch !
Ja, träumt er denn-?
Oder ist das nicht ein Brief von ihr?-
Und heute, gerade heute musste er
kommen!
Er nimmt ihn auf und besieht die feine,
kindliche Schrift. Fast zaghaft berührt er
ihn, — ein weicher Ausdruck gleitet über
seine Züge, und zärtlich dreht er das
Schreiben um und um.
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