Nr. 24
JUGEND
1896
Originalradirung von Maxim. Das io (München).
Er hat so lange keinen Brief mehr von
ihr gehabt, — fast zwei Jahre sind es her. —
Er muss sich erst sammeln, — vorhin
da war er ja so verstört, — und dann bricht
er ihn langsam auf. — —
Mein Gott — mein Gott — — —!
* # #
Er sitzt schon lange so da — den Kopf
tief auf der Brust; die Hand mit dem Brief
der Geliebten hängt schlaff auf der Seite_
Dieses hatte er gelesen:
Geliebter!
Kannst Du ahnen, weshalb ich
schreibe? — Nein? So komme und höre
das, was ich Dir jetzt nur kurz andeuten
will! — Ein alter Onkel meiner Mutter
hat mir sein ganzes Vermögen vermacht.
Ferdinand, — nicht nur ist das Hin-
derniss unserer Vereinigung dadurch
überwunden, sondern wir werden auch
reich sein. — O, mein Liebling — komm
bald!
Ich weiss, dass Du mich noch liebst
noch innig liebst — und die Zeit war so
lang!
Ich will wieder Deine lieben Augen
sehen, die ich küsse in dem Bewusstsein,
dass nun Alles gut ist.
Ewig Deine Lotti.
Apollonias
Langsam wie ein Nachtwandler geht er
an den Schrank; — dort holt er eine kleine
Kiste her, die er auf den Tisch stellt...
Dann setzt er sich hin. Er fährt sich
mit der Hand zum Herzen, — er fühlt
einen Krampf. —
Vorhin da war es ihm ja gewesen, als
ob dort etwas zersprang . . .
„Lotti — Lotti —!“ wie ein Schrei ent-
fährt es ihm — dann nimmt er die Feder
und schreibt:
Mein Lieb!
Wenn Du diese Zeilen empfängst,
dann wird der, welcher sie schrieb, längst
todt sein.
Mein Lieb — sei nicht traurig des-
wegen — denn es konnte nicht anders
sein . . . Aber vergieb mir — denn ich
allein trage die Schuld, Lotti — und die
war gross, — so gross, dass ich sie mit
dem Tode sühnen muss.
Wenn Du dann hörst, wie Alles kam,
dann habe Mitleid mit mir, der ich ver-
gass, dass sich Liebe nicht zwingen
lässt, und meinte, sie in der Pflicht be-
graben zu können.
Da müsste man Dich nicht geliebt
haben, Lotti —
Und nun, da wir hätten glücklich sein
können, da ist^es zu spät. —
Und die Schuld ist mein.
Vergib mir, mein Lieb, denn ich
gehe ja in den Tod für Dich — —
Gibt es eine grössere Liebe?
Ich liebe Dich — o Lotti — ich liebe
Dich! Ferdinand.
Die Hausthür knarrt schon zum dritten
Male in dieser Nacht. — Es ist Ferdinand,
welcher von dem Briefkasten zurückkommt,
in den er ein Schreiben warf. —
Nur ein kleines, viereckiges Couvert,
— aber es birgt das Schicksal zweier
Menschenleben.
Und morgen, wenn es in dem kleinen,
ruhigen Städtchen ankommt, das zwischen
den Bergen liegt, wird ein weiches, tapferes,
kleines Herz langsam brechen.
*. * *
Die Thurmuhr schlägt drei. Zur selben
Zeit fährt der Wirth in dem alten Hause
plötzlich aus tiefem Schlaf indie Höhe.-
War das nicht ein Schuss?
Aber alles bleibt still.
Nur der Hofhund fängt nach einiger
Zeit laut an zu heulen — schaurig dringen
die Töne in die Nacht hinein.
Gleichzeitig erlischt hinter einem Fen-
ster in der ersten Etage der flackernde Licht-
schein einer Kerze —und tiefe Dunkelheit
umgibt wieder die alten Häuser am Wall.
380
JUGEND
1896
Originalradirung von Maxim. Das io (München).
Er hat so lange keinen Brief mehr von
ihr gehabt, — fast zwei Jahre sind es her. —
Er muss sich erst sammeln, — vorhin
da war er ja so verstört, — und dann bricht
er ihn langsam auf. — —
Mein Gott — mein Gott — — —!
* # #
Er sitzt schon lange so da — den Kopf
tief auf der Brust; die Hand mit dem Brief
der Geliebten hängt schlaff auf der Seite_
Dieses hatte er gelesen:
Geliebter!
Kannst Du ahnen, weshalb ich
schreibe? — Nein? So komme und höre
das, was ich Dir jetzt nur kurz andeuten
will! — Ein alter Onkel meiner Mutter
hat mir sein ganzes Vermögen vermacht.
Ferdinand, — nicht nur ist das Hin-
derniss unserer Vereinigung dadurch
überwunden, sondern wir werden auch
reich sein. — O, mein Liebling — komm
bald!
Ich weiss, dass Du mich noch liebst
noch innig liebst — und die Zeit war so
lang!
Ich will wieder Deine lieben Augen
sehen, die ich küsse in dem Bewusstsein,
dass nun Alles gut ist.
Ewig Deine Lotti.
Apollonias
Langsam wie ein Nachtwandler geht er
an den Schrank; — dort holt er eine kleine
Kiste her, die er auf den Tisch stellt...
Dann setzt er sich hin. Er fährt sich
mit der Hand zum Herzen, — er fühlt
einen Krampf. —
Vorhin da war es ihm ja gewesen, als
ob dort etwas zersprang . . .
„Lotti — Lotti —!“ wie ein Schrei ent-
fährt es ihm — dann nimmt er die Feder
und schreibt:
Mein Lieb!
Wenn Du diese Zeilen empfängst,
dann wird der, welcher sie schrieb, längst
todt sein.
Mein Lieb — sei nicht traurig des-
wegen — denn es konnte nicht anders
sein . . . Aber vergieb mir — denn ich
allein trage die Schuld, Lotti — und die
war gross, — so gross, dass ich sie mit
dem Tode sühnen muss.
Wenn Du dann hörst, wie Alles kam,
dann habe Mitleid mit mir, der ich ver-
gass, dass sich Liebe nicht zwingen
lässt, und meinte, sie in der Pflicht be-
graben zu können.
Da müsste man Dich nicht geliebt
haben, Lotti —
Und nun, da wir hätten glücklich sein
können, da ist^es zu spät. —
Und die Schuld ist mein.
Vergib mir, mein Lieb, denn ich
gehe ja in den Tod für Dich — —
Gibt es eine grössere Liebe?
Ich liebe Dich — o Lotti — ich liebe
Dich! Ferdinand.
Die Hausthür knarrt schon zum dritten
Male in dieser Nacht. — Es ist Ferdinand,
welcher von dem Briefkasten zurückkommt,
in den er ein Schreiben warf. —
Nur ein kleines, viereckiges Couvert,
— aber es birgt das Schicksal zweier
Menschenleben.
Und morgen, wenn es in dem kleinen,
ruhigen Städtchen ankommt, das zwischen
den Bergen liegt, wird ein weiches, tapferes,
kleines Herz langsam brechen.
*. * *
Die Thurmuhr schlägt drei. Zur selben
Zeit fährt der Wirth in dem alten Hause
plötzlich aus tiefem Schlaf indie Höhe.-
War das nicht ein Schuss?
Aber alles bleibt still.
Nur der Hofhund fängt nach einiger
Zeit laut an zu heulen — schaurig dringen
die Töne in die Nacht hinein.
Gleichzeitig erlischt hinter einem Fen-
ster in der ersten Etage der flackernde Licht-
schein einer Kerze —und tiefe Dunkelheit
umgibt wieder die alten Häuser am Wall.
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