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1896

JUGEND

Nr. 25

Zeichnung von F. Kozics.

Feuchte Blicke

von Ernst Rügen.

Damals war ich noch sehr jung und hatte viele franzö-
sische Romane gelesen. Dies zu meiner Entschuldigung, —
wenn es überhaupt einer solchen bedarf — denn die Ge-
schichte endete beträchtlich harmloser als sie begann!

Hier ist sie übrigens und Jeder möge selbst urtheilen. . .

Vor Jahren — ich hatte mich damals dem Buchhandel
gewidmet — reiste ich für ein lexikalisches Unternehmen und
es war auf einer meiner ersten Touren, als ich in Aschaffen-
burg das Coupe bestieg, um nach Mainz zu fahren. Ein
Herr und eine Dame — anscheinend ein Ehepaar — rückten
verdriesslich in ihre Eckplätze zurück und sahen mich an,
als hätten sie sagen wollen: „Na, der hat uns gerade gefehlt.“
Der Empfang liess also an Frostigkeit nichts zu wünschen
übrig, aber im Laufe der Fahrt rückten wir doch etwas näher
und es entspann sich das herkömmliche Reisegespräch über
das „Woher“ und „Wohin“. Schliesslich stellten wir uns
einander vor. Er war ein Geschäftsmann Namens Müller
aus Bremen, jeder Zoll ein Durchschnittsmensch, mit einem
Dutzendgesicht, das ich schon unzählige Male gesehen zu
haben glaubte. Weit mehr fesselte meine Aufmerksamkeit
allerdings seine Frau, eine sanfte Blondine, deren Augen mich
vom ersten Moment an bezaubert hatten. Ach, was für Augen!
Vom zartesten Blau waren sie und dabei umflorte ein feuchter
Schimmer ihre Sterne, als wollten sie eine lange Geschichte
erzählen von unerwiederter Liebe und ... für mich war es
nämlich über jeden Zweifel erhaben, dass diese Frau un-
glücklich war, dass sie unverstanden, ungeliebt an der Seite
dieses Mannes einherging. Ich brauchte ihn ja nur anzu-
sehen, mit seinem bärtigen Alltagsgesicht, brauchte nur seine
banalen, nüchternen Redensarten zu hören und ich errieth,
dass diese himmlischen Augen feucht schimmerten vom Weh
über ein verfehltes Dasein . . . Und wenn ich ihren Blicken
begegnete, durchrieselte mich jedesmal ein seliger Schauer ...
Wir plauderten vom Reisen und als sie meinen Beruf erfuhr,
legte sie ein ungewöhnliches Interesse an den Tag und meinte,
wie schön und edel es sei, für die Verbreitung des Wissens
zu wirken.

Wie unvergleichlich sie das aber sagte! Und dabei blickte
sie mich an, dass mir ganz warm um’s Herz wurde . - -

ach, diese Augen redeten eine eigene Sprache und ich fühlte
es so deutlich, diese Sprache hätte ich gar rasch zu erlernen
vermocht, wenn nur .... ihr Mann freilich riss mich gleich
wieder aus allen Himmeln.

,Ja, Ihr Geschäft geht immerfort und Sie verdienen wohl
ganz nett, nicht?“ sagte er und trommelte mit den Fingern
auf seinen feisten Schenkeln. Ich beruhigte ihn dahin, dass
ich mein anständiges Auskommen hatte, worauf er seine Auf-
merksamkeit wieder der Landschaft zuwendete, welche pfeil-
schnell an uns vorüberflog. Jetzt liess er das Fenster her-
unter und steckte den Kopf hinaus.

Ich athmete förmlich auf und blickte mit der Gluth
jugendlicher Empfindung in die schönen, feucht schimmern-
den Augen, die mich so mild, so gnädig anschauten . . . .
Ja — fuhr es mir durch den Sinn — es gibt eine Liebe,
die sich an dem ersten Blick entzündet, wie die lodernde
Flamme an dem Funken .... Vielleicht regten sich in ihrem
Herzen ähnliche Empfindungen.

Ein halbschmerzliches, engelhaftes Lächeln umspielte
ihre Lippe, und hütete das Geheimniss ihrer opferwilligen
Seele .... aber nein! Jetzt beugte sie sich etwas vor und
sprach leise:

„Ich hätte eine Bitte, eine grosse Bitte an Sie, aber mein
Mann darfs nicht hören . . . .“

Ich war wie versteinert. Mein Gott, dachte ich, Du sollst
ihr Retter sein, sie aus unwürdigen Sklavenketten befreien ...
es sei!

Eine nie empfundene Seligkeit durchbebte mein Inneres
und kaum meiner Sinne mächtig, blickte ich sie leidenschaft-
lich an und sagte mit einer Stimme, die heiser war vor Er-
regung: „Sprechen Sie, ich bin zu Allem bereit!“

In demselben Augenblick zog Herr Müller den Kopf aus
dem offenen Fenster zurück: „Sieh 'mal den vielen, schönen
Weisskohl, der hier wächst, das Wasser läuft einem ordent-
lich im Munde zusammen!“ hörte ich ihn sagen, das heisst,
ich hörte es, wie das Ohr vernimmt, wenn das Gehirn andere
Arbeit verrichtet und das meinige arbeitete mit fieberhafter
Eile. Wenn sie entschlossen war, diesem Barbaren, wie ich
ihn insgeheim nannte, zu entfliehen, dann war jede Minute
von unermesslichem Werthe und es hiess energisch und
kaltblütig handeln. Meine Baarschaft reichte für die ersten
Anforderungen hin und hatten wir erst einmal das Meer
hinter uns, so war ich jung und kräftig genug, um Brod für

uns Beide zu schaffen-mochte kommen was da wollte,

ich war entschlossen, Allem die Stirne zu bieten .... nur
eine Minute lang sie sprechen, mich vergewissern, ob sie
sich zu dem Muth der That aufraffen würde! Der Tyrann
blieb hartnäckig sitzen und rührte sich nicht von der Stelle.
Da hiess es denn mit List zum Ziel gelangen. Wir wechselten
eine Weile verständnissinnige Blicke, dann aber bezwang ich
meine leidenschaftliche Aufregung und fragte möglichst gleich-
gütig. «Halten sich die Herrschaften in Mainz auf?“

Das Aufleuchten ihrer Blicke sagte mir, dass sie meine
Taktik verstand und billigte.

„Ne, wir machen gleich weiter“, antwortete ihr Bedrücker,
„aber wir werden wohl ’ne gute halbe Stunde auf den nächsten
Zug warten müssen.“

„So, so“, meinte ich in anscheinender Gleichgiltigkeit
und suchte ihr durch Blicke ein Zeichen des Einverständ-
nisses zu entreissen. Ich fühlte ihr Füsschen auf meinem
Fuss ruhen und hätte vor Freude aufjauchzen mögen, denn
mein Kriegsplan war fix und fertig. Auf dem grossen Bahn-
hofe würde es ein Leichtes sein, die letzte Verabredung zu
treffen und dann . . . - dann fort auf Amors Schwingen in

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Ferenc (Franz) Kozics: Zierleiste
Ernst Rügen: Feuchte Blicke
 
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