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Nr. 27

JUGEND

1896

Gezeichnet von A. Schmidhammer.

Ernstes Spiel

von Karl Schlei.

Zwei junge Burschenschafter betreten um die siebente
Abendstunde das wohlbekannte Restaurant „zum Roden-
steiner“ in Heidelberg. Bei ihnen ist ein alter Herr derselben
Burschenschaft, zur morgigen Feier des Stiftungsfestes herbei-
gekommen. Er wird von seinen ausgelassenen jugendsprühen-
den Begleitern heiter und doch ehrerbietig behandelt. Man
hatte einen längeren Spaziergang unternommen und der alte
Herr hatte seine Freude gehabt an den Stätten seiner frohen
Studentenzeit. Sein Schloss, seine Molkenkur, seinen
Königsstuhl hatte er wiedergesehen, strahlender und immer,
strahlender war sein Gesicht geworden. Und endlich nach
zweistündigem Marsch durch die Wälder, über die Berge,
da war er stehen geblieben und hatte ausgerufen:

„Mein Durst, Kinder mein Durst!“

Da war man umgekehrt und zu Thal gefahren. Er wusste
den Weg noch ganz gut und wie ein wohldressirtes Pferd,
das auch ohne Führung seine Stallthür findet, war er dem
Rodensteiner zugetrottet. Nun sind sie angelangt. „Hm,“
schmunzelt der alte Herr und saugt mit Wonne die von Bier
und Tabaksdunst übersättigte Atmosphäre ein, „hm, wie herr-
lich!“ Und sein Auge glänzt selig angesichts des mächtigen
Fasses auf dem Schenktisch und der weissen Steinkrüge
überall im grossen Raume.

„Wo wünschen der Herr Doktor zu sitzen?“ fragt Fritz
Schönpflug. „Hier, wo ich das da immer vor Augen habe.“
Er deutet auf das Bild, mit dem die eine Wand bemalt ist.
„Ein urkräftiger Kerl, dieser Rodensteiner!“

Das Bild stellt den edlen Rittersmann dar, wie er nächt-
lich mit seinem wilden Heer durch die Luft rast, voraus ein
Mönch in einer langen Kutte auf einem Pferdeskelett und
um ihn herum seine Mannen, Knappen und Weiber, Todten-
gebein und Nachtvögel, so stürmen sie auf ein Wirthshaus
zu, das einsam am Waldesrand steht.

„Raus da, raus aus dem Haus da“, summt der alte Herr
vor sich hin.

„Bertha, wollen Sie uns verdursten lassen?“ ruft Heinrich
von Kassewitz der vorüberlaufenden Kellnerin zu. „Drei
Krüge, aber schnell!“

„Prost, Füchse!“

„Prosit, Herr Doktor!“ Der alte Herr schmunzelt und leert
seinen Krug in mächtigen Zügen, ohne abzusetzen nach lieber
Gewohnheit. Dann streicht er sich den Bart. Ein langgezogenes
Ah ist der Ausdruck seiner Gefühle. „Famoser Stoff, wirklich
ganz ausgezeichnet, man fängt an, wieder Mensch zu werden!“
Wieder ein Blick auf das Gemälde.

„Wer von Euch jungem Blut verpflichtet sich eidlich,
zwei Dörfer zu vertrinken, wie’s der alte Raubritter da oben
gethan hat?“

„Eidlich ist ein bischen viel verlangt,“ bemerkt Schönpflug.
„Viel verlangt?“ wettert der Herr Doktor, „Schwächlinge
seid Ihr geworden im Laufe der Jahrhunderte. Ihr habt
keine Kehlen mehr, Ihr könnt nichts mehr vertragen. —
Bertha, noch einen Krug!“

„Na, na — nichts mehr vertragen —“

„Sentimentales Geflunker könnt Ihr machen. Und gar
dieser Hartwig! reist vierundzwanzig Stunden vor dem Stift-
ungsfest ab. Ich soll ihn von seinem Vater grüssen. Wo
ist er? Füchse, schafft mir den Hartwig her, oder Ihr sollt
mich kennen lernen.“

„Der Hartwig ist nach Hause gefahren, bester Doktor.“
„Und warum, wenn man fragen darf?“

„Er ist so nervös geworden, dass er sich ein paar Wochen
ausruhen muss.“

„Na, da haben wir’s ja. Ihr seid alle zusammen Schwäch-
linge. Ein baumlanger Kerl wie der Hans Hartwig, wie kann
denn so einer nervös werden? Und umgesattelt hat er auch?“
„Jawohl, er kann die Anatomie nicht mehr vertragen.“
„Der —“ den Doktor schüttelt ein Lachkrampf, „und
das merkt er jetzt erst im dritten Semester, nachdem er
so lange darin herumgesäbelt hat? Was will er denn werden?“
„Jurist.“

„Pfui Deiwel“, ruft der Doktor.

„Ja, wissen Sie“, erklärt nun Kassewitz, „der Hans war
immer ein wunderbares Stück Möbel, ein exaltirter Mensch,
und so gut wir mit ihm ausgekommen sind: er hat zu viel
Herz für einen ehrlichen Mann, und einen Haufen über-
flüssige Leidenschaft. Und wenn dem einmal etwas zustösst,
worüber sich unser einer in’s Fäustchen lacht oder höchstens
noch einen Vergessenheitsschoppen mehr trinkt als sonst,
da geräth unser lieber Hartwig gleich aus dem Häuschen, tobt
und schüttelt seine blonde Löwenmähne und wehe dem, der
ihn gereizt hat.“

„Nun?“ fragt der Doktor erstaunt.

„Diesmal hat ihn leider Gottes niemand gereizt, und
deshalb ist die Sache nur um so schlimmer geworden!“
„Was hat’s denn gegeben?“

„Eine verrückte Kellnerin hat sich ersäuft; das war
alles“, fällt Fritz Schönpflug ein.

„Und deswegen hängt er die Medicin an den Nagel, des-
wegen schwänzt er das Stiftungsfest, deswegen wird er nervös
und reist nach Hause? Wahnsinn!“

„Und Scenen hat es gegeben, bester Doktor, einfach un-
beschreiblich. Der grosse Kerl war durch und durch geschüttelt.“
„Weil ein Mädel insWasser gegangen ist?“ -„Eigentlich ja.“

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Arpad Schmidhammer: Heidelberger Schloß
Karl Schlei: Ernstes Spiel
 
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