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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (4. Juli 1896)
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1896

JUGEND

Nr. 27

„Was hat er denn mit ihr zu thun gehabt?“ — „Nichts.“

„War’s sein Schatz?“ — „Nein.“

„Kinder,“ sagt der alte Herr kopfschüttelnd, „ich verstehe
Euch nicht. Das müsst Ihr mir schon ein bischen klar
machen. So weit reicht meine Menschenkenntniss nicht.“

„Erzähl Du’s, Schönpflug!“

„Gut,“ sagt der Aufgeforderte. „Hast Du eine Cigarre
bei Dir, Kassewitz? Danke —.“ Die Cigarre wird in Brand
gesetzt, und dann fängt Schönpflug zu erzählen an.

„Also — wir sitzen in der ersten Woche des Semesters
hier im Rodensteiner beisammen, vier oder fünf Bundes-
brüder; Hartwig war auch dabei. Es war alles wie gewöhn-
lich, das Bier gut und der Durst Hess nichts zu wünschen
übrig. Da legt sich auf einmal Hans Hartwig in seinen
Stuhl zurück, starrt auf einen Nachbartisch hin und ruft:
Donnerwetter! So pflegt er nämlich seine Bewunderung aus-
zudrücken. Wir drehen uns um und sehen eine rührende
Scene: An dem Tisch sitzen zwei unscheinbare Kerle mit

verstudirten Gesichtern und schmutzigen Anzügen, Kerle,
die zu nichts anderm gut sind, als dass man sie hängt oder
Geheimräthe aus ihnen macht. Sie hatten offenbar der
Kellnerin etwas gesagt, was ihr nicht behagte. Denn das
Mädel dreht sich herum und lacht. „Das fehlte mir gerade
noch,“ ruft sie und lässt die beiden mit möglichst verdutzten
Gesichtern zurück. Die Kellnerin war, was Hartwig ein
famoses Weib nennt. Fast so lang wie er, eine volle Figui
mit wunderbaren Haaren, die ich sofort für unecht erklärte.
Sie hatte ein enganliegendes schwarzes Kleid an, das ihi
vorzüglich stand, wie Hartwig behauptete, der in solchen
Sachen Kenner ist. Mir persönlich sind solche grosse Weiber
unangenehm. Da ist mir so ein kleines, zierliches Ding viel
lieber, aber zum Hartwig mochte sie passen. Sie hiess
Mathilde und war am Morgen desselben Tages erst ein
dienstbeflissener Geist im Rodensteiner geworden.

Durch die Anregung Hartwigs stand sie bald im Mittel-
punkt des Gesprächs. „Was mag sie wohl mit den beiden
Bummlern da drüben gehabt haben? Wette — die wollten
ein Liebesabenteuer anbändeln und sind abgefahren.“ Diese
Theorie Hartwigs wurde von allen Seiten beleuchtet und
erörtert. Auf einmal schlägt er auf den Tisch und ruft:
„Ich muss wissen, was da los war.“ Er stürmt geradewegs
auf die beiden Unglücklichen zu, die sich, weiss Gott, nichts
Gutes erwarteten. „Auf Ehre und Gewissen,“ ruft er, „meine
Herren, was haben Sie mit dem Mädel vorhin gehabt?“ Die
Beiden sprangen ganz entsetzt auf —- kleine Kerle, die dem
riesigen Hans kaum bis an die Brust reichten — und ge-
stehen stammelnd ihren Angriff und ihre Niederlage, nicht
ohne sich dabei nochmals bei ihrem Interviewer zu ent-
schuldigen. Der grösst leichthin und dreht ihnen mit einem

Gezeichnet von A. Schmidhammer.

„danke bestens“ den Rücken. — Es war also wirklich, wie er
vermuthet hatte. — „Das Mädel gefällt mir“, sagte er, „Donner
und Doria, die hat Schneid!“

Da geht die Mathilde gerade vor ihm vorüber und er
scnaut sie an mit einem Blick, dass sie unwillkürlich einen
Augenblick stehen bleibt und frägt: „Wollen Sie etwas von
mir?“ — „Nein“, ruft er, „vorläufig nicht!“

Aber der Blick hat gesessen, wie die Hochquarten,
die er schlägt. Wir stehen nach einer halben Stunde auf,
um etwas Luftveränderung zu suchen, das heisst vom Roden-
steiner in’s Kaffeehaus zu gehen. Die Mathilde reicht ihm
seinen Stock und begleitet ihn ganz unwillkürlich bis an die
Thüre. Da dreht sich Hans noch einmal um, klopft ihr wohl-
wollend auf die Schulter und sagt: „Sie sind ein braves
Mädel, Mathilde. Lassen Sie Sich nur nicht mit solchen
Kaminfegern ein. Da gibt’s andere Leute. Adieu, Kind.“
Dreht sich um und geht.

In vierzehn Tagen ist sie bis über die Ohren in mich
verliebt, was gilt die Wette?“ ruft er uns auf der Strasse zu.

Zum Wetten kam es aber gar nicht, denn keiner zweifelte
auch nur im Geringsten daran, dass ihm sein Vorhaben ge-
lingen würde. Es wäre das erste Mal nicht gewesen. Nur
erhielt die Sache diesmal einen etwas fremdartigen Anstrich,
denn Hans war verlobt. Dabei ist er ja ein merkwürdiger
Kerl, von einer geradezu peinlichen Gewissenhaftigkeit und
seine Braut hatte er gern wie — wie die Sonne — oder einen
Krug Münchener.

Es war also ganz berechtigt, wenn ihn einer von uns
fragte: „Nun — und die Braut?“

„Ach was“, lachte er, „es ist die reine Spielerei. So ’ne
Kellnerin ist doch im günstigsten Fall eine Nummer. Nur
damit ich nicht aus der Hebung komme; was liegt mir daran,
ob das Mädel sich in mich verliebt oder nicht? Ich bin
versorgt.“

Bester Doktor, nach acht Tagen sitzen wir wieder einmal
hier im Rodensteiner. Auf einmal giesst mir jemand ein
halbes Glas Bier über meinen Rock. Ich fahre herum —
es war Mathilde. Sie entschuldigt sich nicht, sie gibt mir
kein Tuch zum Abtrocknen, sondern sieht unbeweglich auf
einen bestimmten Punkt. Ich habe ihn sehr bald entdeckt —
es war Hartwig, der gerade zur Thür hereinkam. „Du hast’s
los“, denk ich bei mir. Das war also, wie gesagt, nach acht
Tagen. Wie finden Sie das?

„Kinder“, sagte Hans, „das Weib fängt an, mir fürchter-
lich zu werden. Gestern Abend springt sie mir nach bis
an die Thüre, packt mich bei den Schultern und drückt mir
die Hände, so fest sie kann. Mit Müh’ und Noth konnte
ich sie wieder zurückschieben. Die wäre mir wahrhaftig auf
offener Strasse um den Hals gefallen. Aber Leidenschaft

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Arpad Schmidhammer: Das Wilde Heer
 
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