Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 29 (18. Juli 1896)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0042
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1896

JUGEND

Nr. 29

ADeuü

Zeichnung von J. Brctz.

Tandaradei

von M. Sorcello.

Sie treibt die schnatternde Schaar, wie
immer, am Pfarrhof vorüber.

„Guten Morgen, Herr Pfarrer!“

„Guten Morgen, Trudel, was macht die
Graue?“ — „Das Bein ist wieder heil. Da
vorne wackelt sie.“

Der Pfarrer nickt ihr nochmals zu;
die Trudel lacht, dass man alle blanken
Zähne in dem grossen Mund sehen kann,
dann zieht sie weiter.

Die strohgelben Zöpfe liegen heute
recht glatt um den Kopf. Das Mädel sieht
sauber aus und die wasserblauen Augen
und rothen Backen stehen ihr gut.

Sie muss nun schon ihre Siebzehn
haben! Und der Pfarrer denkt, dass das
Mieder der Trudel doch recht eng und ihr
rother Rock eigentlich zu kurz sei! —

— Die Trudel ist gerne auf dem Mathes-
Hof. Der Bauer ist gut zu ihr; sie be-
kommt alle Vierteljahre vier blanke Thaler,
zu Weihnachten ein neues Kleid und zwei-
mal im Jahr ein schönes Messstück.

Zu Anfang des Winters hat ihr die
Grossmagd eines Morgens eine schallende
Ohrfeige gegeben, — damals als der
Messingring im Gänsefutter gelegen hatte,
— und an Fastnacht war sie vom Knecht
so in die Beine gezwickt worden, dass
sie blaue Male davontrug. Das sind aber
auch alle unangenehmen Erinnerungen,
welche die Trudel zu verzeichnen hat.

Die Mutter arbeitet draussen im Torf-
stich, — von ihrem Vater weiss sie nichts.

Ist ihr auch recht; so kann er sie
wenigstens nicht hauen!

Und sie schwingt frohgemuth die lange
Haselgerte und nimmt den Henkelkorb
mit ihrem bescheidenem Mittagsmahl und
dem grossen rothen Wollstrickzeug, fester
in den Arm.

Ausserhalb des Dorfes, ist die Strasse

hmäler, wird endlich zum Wiesenpfad
d das Mädchen hat genug zu thun, ihre
inse durch die fremden Wiesen zu treiben,
me dass sie sich rechts und links zu
hr an fremdem Gut vergreifen. Dann
mmt der grosse Weidegrund, an welchen
;h die endlose Haide anschliesst.

Hier ist ihr Reich!

Sie jagt sie alle mitten hinein, die sich
ich ohne Weiteres da gütlich thun und

ch heimisch fühlen.

Auf dem kleinen Hügel, wo die fünf
chten stehen, richtet sie sich häuslich
n. Ein rundes Brett, das ein in das
hmige Erdreich seitlich gegrabenes Loch
instlich verdeckt, nimmt sie weg, und
gt den steinernen Krug dünnen Tropf-
eres in den kühlen Raum. Brod und
äse, sauber in ein Tuch gewickelt, thut
e dazu und schliesst die Höhlung wieder

ist mit dem Brett ab.

Sie sieht sich nochmals nach ihren
iänsen um, und strickt emsig, ein paar
tunden lang. Dann wird’s heiss!

Sie lockert das enge, verwachsene Mie-
er, und lüpft das Halstuch, dass die weisse
chulter wunderbar von dem braunen Hals
bsticht. Jetzt wirft sie das Strickzeug fort,
immt einen langen Grashalm, legt sich auf
en Boden und fängt an, Grillen aus ihren
,öchern herauszukitzeln. —

— Den Feldweg entlang kommt ein
anger Bursch. Das Ränzel auf dem Rücken,
en Hut im Nacken, mit einem dicken
.notenstock in der Hand, guckt er sich
ergebnen nach einem Wegweiser um.

Er bemerkt die Gänse und ruft.

Die i rudel sieht auf und antwortet.

463
Register
Fritz Wolff: Vignette
Julius Bretz: Landschaft
M. Sorcetto: Tandaradei
 
Annotationen