Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 33 (15. August 1896)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0109
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 33

JUGEND

1896

Ethel’s Blumen

Von Karl Schlei (mit Zeichnungen von Angelo Jank).

Der Zettel, den ich auf meinem Tische fand, über-
raschte mich nicht wenig: „Soeben hat sich Ethel mit

Dr. W.. verlobt. Du triffst mich wie immer auf unserm Weg.

Gruss, Fritz.“

Fritz 6.. ist mein bester Freund und Ethel seine Schwester.
Wir sind zusammen aufgewachsen. Ich komme fast Tag für
Tag zu ihnen in’s Haus. Nun traute ich meinen Augen
nicht. Ethel B . . hatte sich verlobt, die kühle, überlegende,
zurückhaltende Ethel mit Dr. W.., einem jungen Privat-
docenten, den sie vor kaum vierzehn Tagen erst kennen ge-
lernt hatte! Also, nun schnell auf „unsern Weg!“ Fritz wird
die Sache ja wohl erklären können, dachte ich mir.

„Unser Weg“ führt oben am Berge hin. Zur Linken
feuchter, kühler, schattiger Wald, zur Rechten schweift der
Blick frei hinaus über Stadt und Schloss hinweg in’s grüne,
sanfte Neckarthal. Nirgends ist es so herrlich wie dort,
wenn die Abendsonne ihre Lichter auf den Bergen spielen
lässt, nirgends so still, so feierlich. Abgesehen von verirrten
Landpartieen, die selten genug unseren Weg kreuzten, waren
Fritz und ich die einzigen, die regelmässig, an jedem halb-
wegs schönen Abend dort oben auf- und abgingen, wortkarg,
in das Farbenspiel der Natur versunken. Deshalb nannten
wir den Weg mit Recht „unsern Weg“. Wir kannten jeden
Ausblick, jede Wiese, jede Bank. Ich wusste genau, wo ich
ihn finden würde. Und da sass er. Als er mich kommen
sah, eilte er mir entgegen. Er liess mich gar nicht zu Worte
kommen.

„Danke schön, danke schön,“ rief er und schüttelte
meine Hand. Dabei hatte ich ihm noch nicht gratulirt oder
irgend etwas sonst gesagt. „Wenn Du meinst, ich wüsste mehr
von der Geschichte, wie Du, so bist Du gewaltig auf dem Holz-
weg. Gar nichts weiss ich, hol’ mich der Teufel! Die Ethel
ist ein Satansmädel. Auf einmal — bums — da liegt sie ihm
am Hals. Voilä tout, mon eher. Mach’ Dir ’nen Vers drauf.“
„Nun — und grosse Glückseligkeit unten?“ fragte ich,
eigentlich nur, um wenigstens etwas zu sagen.

„Ja — Jubelhymnen der ganzen Verwandtschaft, mit der
uns der Himmel gestraft hat. Pauken und Trompeten —
der alte Klimbim.“

„Und warum bist Du denn nicht unten geblieben?“

„Mir war’s nicht drum.“ Er schwieg einen Augenblick,
dann hakte er sich in meinen Arm. „Es geht mir doch
eigentlich recht nah, die ganze Geschichte. Da unten hab’
ich so ein eigenes Beklemmungsgefühl, halb und halb wie bei
’ner Trauerfeier, weiss der Kuckuck. Denk 'mal, wie ich mit
dem Mädel gestanden hab’; und da kommt so’n hergelaufener
Privatdocent und heirathet sie, mir nichts, dir nichts. Jetzt
bin ich schon mehr als zwei Stunden hier oben, und wenn
Du nicht bald gekommen wärst. . . ich bin jetzt schon von
der Sentimentalität gelind angesäuselt. — Tausend Erinner-
ungen, Freund — wie sie noch kurze Röckchen getragen
hat — — na, lass gut sein! Man bleibi nicht ewig bei-
sammen.“

„Du bist ein alter Egoist. Alles kannst Du doch nicht
für Dich behalten.“ Ich wollte noch in die Stadt gehen, und
für Ethel einen Blumenkorb bestellen und bat Fritz, mich
zu begleiten. „Recht gern“, sagte er. „Mitgehen will ich schon.
Aber das mit den Blumen ist ein Unsinn. Fällt Dir gar nichts
Originelleres ein, als immer wieder die langweiligen Blumen?
Ethel macht sich absolut nichts daraus — gar nichts.“

„Bist Du toll? ’N Mädchen, ’ne Braut — und Blumen
nicht gern haben?“

Ich sah es ihm an, wie ihn mein Fragen quälte und lang-
weilte und störte. Er war verstimmt, fast traurig. Wir gingen
ein paar Schritte weiter thalwärts. Da stand eine Bank, einer
unserer Lieblingsplätze, wo wir oft stundenlang Abends, Nachts
beisammen gesessen hatten. Er setzte sich und zog mich
neben sich nieder. Auf den Bergen uns gegenüber lagen die
rosigen Schleier, aus denen die Schemen der Vergangenheit
so oft mild und verklärt vor dem träumenden Geist aufsteigen.
„Ich will Dir erzählen, warum sich Ethel aus Blumen nichts
macht. Es ist ’ne kleine Geschichte — aber ganz bezeich-
nend, Freund, für Ethel — und für verschiedenes andere.

Damals waren wir beide noch Kinder — sie zehn und
ich zwölf Jahre alt. Wenn man so zurückdenkt, — was sind
doch so Kinderköpfe voll Poesie! wenn uns die bliebe! sie
zehn und ich zwölf Jahre — phantastisch waren wir beide.
Wir erfanden die tollsten Spiele und verloren uns ordentlich
darin, waren kaum mehr heraus zu bekommen — obwohl’s
der Vater gründlich verstand. Ethel schwärmte für Blumen,
wenn man bei Kindern von schwärmen sprechen darf —
ganz unbewusst, und ich theilte ihre Leidenschaft. Wir steckten
uns Blumen an die Kleider, in die Haare — überall hin. Ich
seh’ sie vor mir —- das schöne Kind mit den dunkeln Augen
und ’ne Rose in ihren schwarzen Haaren! — Eines schönen
Tags stürmt sie ganz aufgeregt auf mich zu: „Du, Harold,
komm ’mal ’rüber!“ Drüben hiess auf der andern Seite der
Strasse, wo ein Musikalienladen war. Wir betrachteten uns
fast täglich die Bilder, die dort ausgestellt waren, und nicht
selten waren sie uns Vorlagen für neue Spiele.

Wir gingen also „rüber.“ Ethel zeigte mir ein Bild:
irgend ein italienischer Blumencorso. Vorn kreuzten sich
zwei Wagen, und die Insassen bombardirten sich mit kleinen
Sträussen. Wagen, Pferde, Kutscher, Bediente — alles war
mit Blumen geschmückt — Du kennst ja die Geschichte.
„Du, Harold, sagt Ethel, das machen wir.“

„Jawohl — aber wie? Wo willst Du denn all’ die Rosen
hernehmen und die Maiglöckchen und die Wagen und all’
das Zeugs?“

534
Register
Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Ethel's Blumen"
Karl Schlei: Ethel's Blumen
 
Annotationen