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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 34 (22. August 1896)
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Nr. 34

JUGEND

1896

Das Mädchen

von Hispanus major.

Und immer wieder kreisten ihre Reden um
die Line, wie Schakale im Käfig um den Baum-
stamm, immer wieder drehte sich ihre Unter-
Haltung um das Ulädchen. Line Gesellschaft
heiratslustiger, junger Leute. „Ja, Kinder,
das ist alles recht schön, aber wir sind doch
keine Grafen. Seht nur, wie die sich hält,
die reine Fürstin!" Und er stand vom Tisch
aus und machte einige gravitätische Schritte,
indem er bei jedem Auftreten sichmit gerecktem
palse einen Schuß in die pöhe gab, zum
Gaudium aller.

„Aber, zum Donnerwetter, was kann sie
dafür, daß sie wie eine Tanne gewachsen ist?
weshalb soll sie ihren schönen liorpus nicht
mänifestiren? Muß sie denn krumm gehen?
Aber was ich ^ an ihr auszusetzen habe, ist
weit wichtiger: ich halte sie nämlich für kokett! "

„Mit Lurer ewigen Koketterie I Gewiß
ist sie kokett, warum sollte sie denn nicht kokett
sein? Sie benimint sich halt so, daß sie gefällt.
Ist das eine Sünde? Aber sie ist doch nicht
aufdringlich dabei, sie braucht keine Künste I"

„Ja, aber Du mußt doch zugeben, daß sie
jedem immer ein freundliches Gesicht macht,
das kann doch nicht Natur sein?"

„Du lieber Gott, warum kann denn das
nicht zur Natur geworden sei»? pübsch ist sie,
das hat doch noch keiner von Luch bestritten,
und wer hübsch ist, hat es leicht, freundlich zu
sein, von Jugend auf sind die Leute mit so
einem hübschen Kinde freundlich, jeder will
ihm eine Freude machen, jeder ist lieb mit ihm.
So einem verwöhnten Menschenkinde erscheint
die Welt viel heiterer, ja besser als jedem an-
dern, und so kommt es ganz von selbst zu seinem
liebenswürdigen Charakter. Ich habe gegen
ihre Freundlichkeit nichts einzuwenden. Das
ist doch nur eine Form ihres Benehmens, und
zwar eine ganz angenehme. Ls gibt doch auch
Mädels, die immer brummig sind, die gefallen
Luch wohl besser?" Niemand schien dieser
Meinung zu sein, und der Sprecher fuhr fort:
„Seht, gerade das ewige Lrnstthun, das halte
ich viel eher für Kunst und für gemacht. 5ie
wissen, vom Mädel erwartet man Freundlich-

keit, nun probiren Sie es mal mit dein Gegen-
theil. Das fällt auf, das ist eigenartig. Da-
hinter kaün man am Lnde was suchen, Welt-
schmerz oder so was Aehnliches, das ist in-
teressant. "

„Na, hör' mal, Du schwingst hier ja ordent-
lich eine große Verteidigungsrede. wenn sie
Dir so gefällt, kannst Du sie ja heirathen!"

„pabe ich vielleicht gesagt, daß sie mir so
gefällt? daß ich nichts an ihr auszusetzen habe?
Nur was Ihr an ihr zu tadeln habt, mein'
ich, ist Mumpitz. Aber ich sage Luch, wenn
ich mir eine Frau in's paus nehme, dann
will ich auch wissen, wie es um ihr perz steht.
Noch niemals habe ich bei ihr gemerkt, daß sie
ein wärmeres, tieferes Lmpfinden hat, daß sie
Gemüth hat; sie ist vielleicht ganz gut und
brav, aber es fehlt ihr doch das Sinnige."

„Nun, hör 'mal, das ist doch so eine eigene
Sache mit dem Gemüth. Line Jungfer von
achtzehn Jahren, die aus dem engen Kreis
ihrer Familie vielleicht nicht herausgckommen
ist, die bei jeder Gelegenheit in Ekstase ge-
rathcn kann: Ach, wie herrlich, wie entzückend,
wie süß — oder: o, wie thut mir das leid,
ach, der Aermste, o, das schmerzt mich tief
u. s. w., die jeden Augenblick wie verzückt,
und jeden Augenblick zu Tode betrübt thun
kann, die hältst Du wohl für gemüthvoll?
Das Fräulein hat nun doch schon ein Viertel-
jahrhundert auf dem Rücken, sechs oder sieben
Jahre ist sie nun wohl bei fremden Leuten
gewesen, sie ist in der Welt herumgekommen
und hat gewiß auch mancherlei erlebt."

„Ja, ja, wer kann wissen!"

„Na Du, mach keine Geschichten, davon
rede ich nicht. Ich ineine, das sieht man ihr
nun doch wohl auf zehn Schritte an, daß sie
ein hochanständiges Mädel ist."

„Pab ich denn gesagt, daß sie unanständig
ist, aber man kann doch nicht wissen, ob sie
nicht schon'mal ihr Techtelmechtel gehabt hat."

„Nun freilich kann man das nicht wissen,
aber wenn man es nicht weiß, sollte man auch
nicht verdacht spinnen und Argwohn tragen.
Denn bei ihrer klugen und sicheren Art, das
mußt Ihr doch sagen, wird wohl keiner so
leicht wagen, sich ihr in Unehren zu nahen.
Daß sie schon einmal eine Mannsperson gern

gehabt hat, das kann man ihr am Lnde nicht
verdenken, wir haben doch auch schon 'mal
Weiber gern gehabt!"

„Und wie!"

„Na, ja, aber ich meine, man hat bei ihr
das ganz bestimmte Gefühl, daß sie ein reines
Mädchen ist. Ls ist eben so etwas Selbständiges,
Sicheres, fast möchte ich sagen — aber das
Wort paßt nicht recht: Strenges in ihrem
Wesen, und das gerade ist es, was Luch die
Meinung gibt, sie habe kein Gemüth. Ihr
sollt mal sehen, wie die aufthaut, wenn sie den
Mann gefunden hat, dem sie sich ganz hin-
geben kann. Ich glanbe überhaupt, daß bei
den Weibern sich das Gemüth erst in der Lhe
offenbart, dann können sie all die vielen füllen,
Schilde und Panzer von'sich werfen und dürfen
ihr perzinneres zeigen, das sie nun doch als
Mädchen, nach all dem, was die Welt von
ihnen verlangt, verhüllen müssen."

Sie waren still, sie schienen überzeugt. Da
wurde dem Sprecher fast bänglich zu Muthe:
„Ich will natürlich damit nicht sagen, daß sie
keine Fehler hat, denn wenn sic mich so durch-
aus fesselte, wie ich nun einmal von einem
Mädel gefesselt sein will, könnte ich sie ja
heiraten!"

Und es entstand eine kleine Pause, bis der
Lehramtspraktikant, der bisher geschwiegen,
das Gespräch wieder eröffnete: „Als wir neu-
lich unfern englischen Klubabend hielten, ist
Luch denn da nichts an ihr aufgefallen? Mich
wenigstens berührte es äußerst peinlich: sie
kann ja kein Zungen-r sprechen!"

„Ia, ja," riefen sie alle, „das ist wahr,
das Zungen-r kann sie nicht sprechen, das
Zungen-r. Sie kann kein Zungen-r sprechen!!"

Aber da war noch ein kleiner, verwachsener
Mann am Tisch, der hatte nur zugehört und
nichts gesprochen. Zuweilen nur hatte er ge-
lächelt, denn er wußte, daß in den Perzen der
jungen Männer ein starkes Gefallen an dem
Mädchen war und eine starke Lust, sie zu be-
sitzen, und daß jeder nur nach Gründen suchte,
um sich selbst zu entschuldigen, daß er das Mäd-
chen nicht freite, denn es war gut und schön.
Ietzt sagte er nur obenhin, in einem Tone, in
dem ebensoviel Phlegma wie Verachtung lag:

„Und sie hat kein Geld!" —

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Hispanus major: Das Mädchen
Franz Christophe: Zeichnung zum Text "Das Mädchen"
 
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