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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 34 (22. August 1896)
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for. 34

1896

* JUGEND »

Zeichnung von Fritz Hegenbart.

Sage

von Kurt Martens.

Der Herold des Volkes stiess in sein
Horn, und weit über die Felder hin er-
dröhnte ein ungeschlachter Ruf, der das
Ende des Kampfes verkündete.

Nun wischten die Männer ihre Spiesse
und Sensen ab am thauigen Gras, sam-
melten sich zu Schaaren und zogen dem
Hügel zu, wo die Führer sich hielten, die
Führer Sin, Oder und Kro.

Ganz vorn, am Rande des Abhangs,
stand Sin im langen grau-staubigen Man-
tel, gestützt auf das Schwert, in der Brust
den Triumph siegreicher Vergeltung.

Da lagen sie, die Prinzen und Edelinge,
in ihrem Stolze zertreten von der Masse
des Volkes. Keiner entkam. Um ihren
jungen König waren sie Alle gefallen, die
Reste des Adels, Alle geopfert für das
allmächtige Volk.

Er, Sin, hatte sie erkannt in ihrer
Schwachheit und ihrem Uebermuth. Er,
ein Sohn der Gepeinigten, der Empörten,
hatte die Weisheit der Völker gelernt und
vor dem Throne des Königs geredet. Aber
der junge König hatte mit feinem Lächeln
ihm gewinkt, zu schweigen, dass er wieder
hinabstieg zu seinen Genossen, verspottet
von den höfischen Rittern.

Da hatte der unerbittliche Groll ihn
gepackt, in den die Unverstandenen sich
vergraben. Im Lande war er umherge-
zogen, von Hütte zu Hütte, und hatte die
Seelen der Sclaven mit seinen Worten er-
hitzt, die Faust nach den Burgen geschüt-
telt, wo zarte Edelknaben mit verbuhlten
Damen zur Laute sangen. Mit Wille und
Leidenschaft bezwang er ihre stumpfe Feig-
heit. Sie krochen aus ihren schmutzigen
Höhlen hervor, allerlei Waffengeräth in
der Hand, und Hessen von Sin sich führen,
dem der kampflustige Oder sich zugesellte
und Kro, den die Sucht nach Beute trieb.

Immer dichter wälzten sich nun von
allen Seiten die Massen der Bewaffneten
heran, gleich Zügen schwarzen Raubge-
vögels, von denen die Landschaft düster
und die Luft mit Aasgeruch verpestet wird.
Hinter ihnen, ringsum am Horizonte ragten
zackige Wolkenwände, die langsam auf-
wärts schlichen und schon mit gierigen
Fingern um den Sonnenball sich stritten.
Die letzten Strahlen seiner rothen Pracht
zuckten über den Klee, spiegelten sich in
den goldenen Panzern, liebkosten noch mit
flüchtigem Grosse die blassen, schmalen
Wangen der sterbenden Ritterschaft.

Die Männer des Volkes aber, dicht ge-
schaart um ihre Führer, brachen in eine
wild jubelnde Siegesfreude aus, lachten und
tanzten in wuchtigen Sprüngen und sangen
das Lied vom Tode der Könige:

„Heia, wie liegen die Hunde geschlachtet,
Wie blinkt in den Bechern ihr hündisches

Blut!“

„Seht zu, ihr Führer,“ riefen sie, „ob
uns’re Arbeit nicht fleissig war, ob wir
auch nur Einen haben entwischen lassen.“
„Eines ist noch übrig,“ rief Oder, „eine
alte Burg, die noch verschlossen blieb. Ihr
müsst sie nehmen, damit wir sicher sind.“
„Eine Burg?“ riefen die Männer. „Ent-
ging uns eine? Wo sollte sie liegen?“
„Die Burg des Ruhmes,“ antwortete
Oder, „eine alte Königsburg. Seht ihr sie
nicht, dort in dem Felsen? Mit schwarzen
Quadern ist sie eingemauert in den dunkeln
Basalt.“

Als sie das hörten, lähmte ein Schrecken
die Männer. Sie blickten sich an, und
Keiner wagte es, zuerst von seinen furcht-
samen Gedanken zu sprechen. Ein Flüstern
entstand, hob sich zu zweifelnder Rede und
Gegenrede, und endlich kam den Führern
die Antwort:

„Es ist ein Fluch für den, der sie er-
obert.“

„Was sagt der Fluch?“

„Wir wissen es nicht; Niemand weiss es.“
„Ihr thörichten Kinder,“ rief Sin, „die
Zeit ist vorüber, wo wir uns durch Flüche
schrecken Hessen. Mit Euern Waffen habt
Ihr sie heute erschlagen. Die Könige waren
es, die den Fluch erfanden. Mit den Kö-
nigen ist er nun todt.“

Da trat der Führer Kro unter die Zau-
dernden und sprach:

„Ich kenne ein anderes Gerücht, das
sich’rer und fröhlicher klingt. In der Burg
des Ruhmes wird der glänzende Hort be-
wacht, den die Könige seit Urzeiten sich
sammelten. Aus Furcht und Eifersucht
Hessen sie den Fluch unter Euch verbreiten.
Nun treten wir das Erbe an. Nehmt Eure
Waffen, Männer, vorwärts, erobert die Burg
und theilt Euch in die Schätze!“

Er ordnete die Schaaren und redete
noch Manchem gütlich zu. Dann setzten
die Führer sich an die Spitze. Es folgte
ihnen der Zug über das Schlachtfeld nach
der Burg.

Schweigend ritt Sin. Eine grosse Kälte
war über ihn gekommen. Die Stille der
* Todten lagerte sich um sein Herz, so dass
ihn fröstelte. —

Wie schmückten doch diese Todten in
schlanker Schönheit, mit der leichten Halt-
ung ihres Sterbens das kahle Feld!

Zwischen den Leichen krochen und
duckten sich Weiber, lüstern nach dem
Schmuck der Gefallenen. Sie streiften die
Ringe von den erstarrten Fingern und ris-
sen die Spangen vom Arme, und wenn
sie einen Prinzen entdeckten, so kicherten
sie einander zu. Viele liefen auch froh-
lockend neben dem Zuge her, schwenkten
kreischend ihre Kinder und priesen die
Männer, dass sie sich freigemacht von der
verfluchten Brut der Edelinge.

Sin trieb zur Eile und wünschte, es
wäre erst alles vorüber, die Todten be-
graben, und das Geschrei des Sieges ver-
stummt. Es hatte ihm als Führer des be-
drängten Volkes weit besser behagt, denn
an der Spitze des befreiten. —

Inzwischen hatte die Dämmerung, den
schwarz geballten Nebel im Gefolge, die
Sonne ganz verschlungen. Die Luft ward
grau wie die fettige Erde. Nur hie und
dort, Irrwischen gleich, leuchtete das Ant-
litz eines Helden, weissviolett in dem ge-
ronnenen Blut. In den Höhen des Aethers
begann ein junger Wind zu kreisen; ein-
tönig flüsternde Melodieen zogen über das
Feld.

Vor dem nahenden Heere breitete sich
plötzlich ein seltsamer Kreis auf dem
Boden:

„Es sind Ritter!“ schrieen die Weiber,
„Ein Kreis von Erschlagenen. — Und Einer
Hegt gerad’ in der Mitte — allein!“

„Ihr Führer, ihr Männer, kommt doch
heran und seht! — Sehet, es ist der König!“
Sin blickte auf und sah den jungen
König liegen in einem Kranz von Edel-
leuten, die sich um ihn geschaart, ihn zu
schützen und für ihn zu sterben. Und
wieder fand er auf diesen Lippen das feine
Lächeln, das ihm damals Schweigen ge-
winkt, die göttliche Huld und Grazie, die
sich vom Thron erhoben.

„Wir haben ihn sehr gehasst“, froh-
lockte Oder, „nun ist er todt!“

„Diese vornehmen Thoren 1“ sprach Kro.
„Stets bäumten sie sich gegen ihn und
haben nun doch ihr Leben verschenkt.“
„Ihrem Könige haben sie es geschenkt“,
antwortete Sin.

„Einem Könige, dessen sie untereinan-
der spotteten.“

„Aber er blieb doch ihr König.“
„Kraft und Arbeit war ihnen fremd ge-
worden, ihr Leben nur ein ewiger Genuss.
Darum mussten sie fallen. Aber sich selbst
zu opfern, war thöricht und toll.“

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Register
Fritz Hegenbarth: Zeichnung ohne Titel
Kurt Martens: Sage
 
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