Nr. 0
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180’?
* JUGEND
OuyogoUUUUUUWUUOUUÜUUUUOO
300 c ooöoöooooooooooo o oooo
Unverbürgte Nachrichten'
Berlin, 25. Februar. Heute" früh fand
hier ein Pistolen-Dncll zwischen zwei confer-
nativen Abgeordneten v. B. und v. C. statt.
Im ersten Gange blieb v. B. tobt auf dem
Platze, im zweiten Gange stürzte v. C., dnrch's
Herz getroffen, leblos nieder- , Ursache des Duells
waren Meinungsverschiedenheiten über
die bcsten Mittcl zurAbschaffung des
unzeitgemäßen Duellunfugs.
«onstantinopel, 27. Februar. Eine recht
peinliche Aufregung herrschte gestern hier in
Regiernngskreisen. Der deutsche Schneider-
gcsellc Michael Meier hatte von seinem Vater
eine Postanweisung von 10 Mark erhalten und
verlangte sofortige Auszahlung, was bei denr
dermaligen Stand der Staatskasse keine geringen
Schwierigkeiten machte. Der betreffende Post-
kassier schickte in sämmtlichen Ministerien um-
her und brachte schließlich 3 Mk. 75 Pf. in
Kupfer-, Silber- und Nickelmünzen aller Län-
der zusammen. 2 Mk. 25 Pf. mußte der Em-
pfänger der Anweisung in verschiedenartigen
Post-, Stempel- und Altersversorg-
ungs-Marken annehmen, für 1 Mk. 50 Pf.
bekam er den Osmanjeorden, für2 Mk. den
Titel Bei) und für die restirenden 50 Pf. die
Photographie des Padischah mit höchst-
eigenhändiger Unterschrift. Tie Auszahlung des
Betrags nahm etwa 11 Stunden in Anspruch.
Berlin, 26. Februar. In Berlin ist vor-
gestern kein Theater eröffnet worden.
— — Unter ergreifenden Feierlichkeiten
fand heute Morgen in der Hauskapclle des
Reichstagsgebäudes die Taufe des Abgeord-
neten Singer durch Herrn Pastor Schall statt.
Stöcker assistirte der Ceremonie, Taufpathe war
Freiherr von Stumm. Singer erhielt in der
Taufe den Namen Chrysostomus (deutsch: Gold-
Mund). Er sah in seinem langherabwallenden
Neophytengewande entzückend ans. Fünfhun-
dert weißgekleidete Mäntel-Näherinnen mit
einem durchschnittlichen Tagesverdienst von
45 Pfennigen bildeten vor dem Hanse Spa-
lier. Zahllose Vertreter der Hauts finance
und des Proletariats waren anwesend. Kein
Auge blieb trocken.
München, 24. Februar. Vor einiger Zeit
machte hier der Fall unliebsames Aufsehen, daß
ein Mitglied einer unserer vornehmsten Familien
gelegentlich einer scherzhaften Balgerei einem
Kameraden den Kops abhieb. Er wurde heute
deshalb wegen fahrlässiger Körperverletzung
verhandelt und zu 5 Mark Geldstrafe verur-
theilt. Als strafmildernd kam in Betracht, daß
der Angeklagte dem Beschädigten keinen Schmerz
verursacht und nach der That ein bedauerndes
„Oha!" gerufen hatte. Letzte Aeußernng wurde,
als Beweis für das mitfühlende, kindlich weiche
Gemüth des Angeklagten, als besonders ent-
lastend betrachtet.
München. Der Spaltpilz, welcher in
der hiesigen Künstlergenossenschaft wüthet, rich-
tet täglich ärgere Verheerungen an. Jede Gruppe
spaltet sich immer wieder in zwei neue Hälften,
eine couservative und eine radikale, ja es eri-
stiren jetzt schon etwa 24 eingliedrige Unter»
Seccssionen, von welchen jede eigene Säle und
eigene Jury fiir die nächste Ausstellung ver-
langt. Ja, noch mehr! Ter bekannte Maler
Schwimmer, der in faustischer Art eine fort-
schrittliche und eine reaktionäre Seele zugleich
besitzt, hat für jede Hälfte seines Wesens eine
eigene „Gruppe" gegründet und verlangt von
der Ausstellungsleitung für jede dieser Gruppen
Sonderrechte.
Berlin. Unter den Kellnern der
Reichstags-Restauration ist eine furcht-
bare Hungerepidemie ausgebrochen, was
theils in der fortwährenden Abwesenheit der
meisten Abgeordneten, theils in der Knickerei
der Anwesenden seinen Grund hat. Die con-
servativen Abgeordneten geben kein Trinkgeld
wegen der Nothlage der Landwirthschaft
(v. Kanitz ließ sich neulich, als er 4 Flaschen
Pommery bezahlte, 3 Pfennige herausgeben), die
Sozialdemokraten geben keins, um die Kellner
nicht in ihrer Menschenwürde zu kränken, Pastor
Schall und Collegen, um jene nicht zur Völlerei
zu verleiten, Eugen Richter gibt keins, weil er
behauptet, durch den Militäretat total ansge-
plündert zu sein, das Centrum verlangt vor-
der Bewilligung von Trinkgeld erst umfang-
reiche Gegenleistungen, und die Antisemiten
verweigern das Trinkgeld, weil die Zahnstocher
in der Reichstagsrestauration von einer jüdischen
Firma bezogen wurden. Uebrigens will man
eine» stärkeren Besuch des Reichstags dadurch
erzielen, daß man Herrn Tr Sigl ans München
zu häufigeren Gastspielen veranlaßt. Die Unter-
handlungen scheiterten bis jetzt au seinen ex-
orbitanten Forderungen. Er verlangt für jedes
Auftreten ein Souper bei Dressel mit einer der
5 Barrisons und die Erhebung des „Bayer.
Vaterlandes" zum offiziösen preußischen Regier-
ungsorgan.
München. Eine originelle Attraktion
bietet das hiesige Deutsche Theater dem Pub-
likum, indem es jetzt jeden Tag von einem
andern Direktor geleitet wird. So verkündet
das kommende Wochenrepertoire: „Sonntag:
„Bor Sonnenaufgang", Direktion Meßthaler;
Montag: „Verlorene Liebesmüh", Direktion
Viktor Naumann; Dienstag: „Liebelei", Di-
rektion Emil Drach; Mittwoch: „Unsere Don
Juans", Direktion Franz Bonn; Donnerstag:
„Der Protzenbauer", Direktion Hofpaur; Frei-
tag: „Madame Sans Gene", Direktion Herr
Possart als Gast; Samstag: „Graf Waldemar",
Direktion Angela Neumann; Sonntag: „Die
Gläubiger", Direktion Meßthaler u. s. w.
Peking, 1. Februar. Li-Hung-Tsang
hat dem Kaiser von China eine Liste derjeni-
gen europäischen Staatseinrichtungen vorlegen
müssen, die ihm besonders ausgefallen sind.
Aus dieser Liste hat nun der Sohn des Him-
mels Folgendes als für das ch i n e s i s ch e V o l k
passend ansgewählt: Das alte preußische
Militürgerichtsverfahren; den Zeugnißzwang
gegen Redakteure, ivie er in Deutschland ge-
handhabt wird; den deutschen Garnisonsmacht-
dienst; die „Beförderung" aktiver Staatsminister
zu Sekondlieutenants; die preußische Einrich-
tung der Platzkartengebühr in den Schnellzügen;
die Theaterccnsnr durch Polizeiassessoren; die
Einführung verschiedener Briefmarken und Bank-
noten in den verschiedenen Theilen des Reiches;
die Einrichtung der „erblichen Reichsräthe" ohne
„Befähigungsnachweis"; den Ausschluß der
Frauen vom medizinischen Studium; das Cor-
set; deu Cylinder; den Gebrauch der Titel Hoch-
wohlgeboren, Wohlgeboreu, Durchlaucht, Er-
laucht, Esquire n. s. w.; eine Anzahl der deutschen
Bestimmungen über Sonntagsruhe; unser
Klebe-Gesetz für Alters- und Jnvalidenver-
sorgung; den Betrieb der Münchener Pferde-
bahn; die Einrichtung der Antikensäle an deut-
schen Kunstakademien; den österreichischen Geld-
verkehr; die Einrichtung der Berliner politischen
Polizei; das Institut der Verwaltnngsräthe
bei den Aktiengesellschaften; die Statuten des
Schillerpreises; das Monoele; die lexHeinze.
Paris, 20. Februar. Einer schrecklichen
Gefahr entging gestern der hiesige Epicier Mr-
Brtlte-Homme. Er zertrat im Jähzorn einen
auf dem Boden seines Kramladens uyiher-
krabbelnden Russen und wäre darum auf ein
Haar von der wüthenden Volksmenge, die sich
vor dem Laden ansammelte, in Stücke gerissen
worden. Zuletzt rettete ihn die mit Geistes-
gegenwart abgegebene Erklärung, er habe ge-
meint, das Insekt sei kein Russe, sondern ein
S ch m a be. Dies beruhigte die empörte Menge.
Sie zog unter Absingen der russischen National-
hymne ab und warf etlichen in der Nähe
wohnenden Deutschen die Fenster ein.
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Unverbürgte Nachrichten'
Berlin, 25. Februar. Heute" früh fand
hier ein Pistolen-Dncll zwischen zwei confer-
nativen Abgeordneten v. B. und v. C. statt.
Im ersten Gange blieb v. B. tobt auf dem
Platze, im zweiten Gange stürzte v. C., dnrch's
Herz getroffen, leblos nieder- , Ursache des Duells
waren Meinungsverschiedenheiten über
die bcsten Mittcl zurAbschaffung des
unzeitgemäßen Duellunfugs.
«onstantinopel, 27. Februar. Eine recht
peinliche Aufregung herrschte gestern hier in
Regiernngskreisen. Der deutsche Schneider-
gcsellc Michael Meier hatte von seinem Vater
eine Postanweisung von 10 Mark erhalten und
verlangte sofortige Auszahlung, was bei denr
dermaligen Stand der Staatskasse keine geringen
Schwierigkeiten machte. Der betreffende Post-
kassier schickte in sämmtlichen Ministerien um-
her und brachte schließlich 3 Mk. 75 Pf. in
Kupfer-, Silber- und Nickelmünzen aller Län-
der zusammen. 2 Mk. 25 Pf. mußte der Em-
pfänger der Anweisung in verschiedenartigen
Post-, Stempel- und Altersversorg-
ungs-Marken annehmen, für 1 Mk. 50 Pf.
bekam er den Osmanjeorden, für2 Mk. den
Titel Bei) und für die restirenden 50 Pf. die
Photographie des Padischah mit höchst-
eigenhändiger Unterschrift. Tie Auszahlung des
Betrags nahm etwa 11 Stunden in Anspruch.
Berlin, 26. Februar. In Berlin ist vor-
gestern kein Theater eröffnet worden.
— — Unter ergreifenden Feierlichkeiten
fand heute Morgen in der Hauskapclle des
Reichstagsgebäudes die Taufe des Abgeord-
neten Singer durch Herrn Pastor Schall statt.
Stöcker assistirte der Ceremonie, Taufpathe war
Freiherr von Stumm. Singer erhielt in der
Taufe den Namen Chrysostomus (deutsch: Gold-
Mund). Er sah in seinem langherabwallenden
Neophytengewande entzückend ans. Fünfhun-
dert weißgekleidete Mäntel-Näherinnen mit
einem durchschnittlichen Tagesverdienst von
45 Pfennigen bildeten vor dem Hanse Spa-
lier. Zahllose Vertreter der Hauts finance
und des Proletariats waren anwesend. Kein
Auge blieb trocken.
München, 24. Februar. Vor einiger Zeit
machte hier der Fall unliebsames Aufsehen, daß
ein Mitglied einer unserer vornehmsten Familien
gelegentlich einer scherzhaften Balgerei einem
Kameraden den Kops abhieb. Er wurde heute
deshalb wegen fahrlässiger Körperverletzung
verhandelt und zu 5 Mark Geldstrafe verur-
theilt. Als strafmildernd kam in Betracht, daß
der Angeklagte dem Beschädigten keinen Schmerz
verursacht und nach der That ein bedauerndes
„Oha!" gerufen hatte. Letzte Aeußernng wurde,
als Beweis für das mitfühlende, kindlich weiche
Gemüth des Angeklagten, als besonders ent-
lastend betrachtet.
München. Der Spaltpilz, welcher in
der hiesigen Künstlergenossenschaft wüthet, rich-
tet täglich ärgere Verheerungen an. Jede Gruppe
spaltet sich immer wieder in zwei neue Hälften,
eine couservative und eine radikale, ja es eri-
stiren jetzt schon etwa 24 eingliedrige Unter»
Seccssionen, von welchen jede eigene Säle und
eigene Jury fiir die nächste Ausstellung ver-
langt. Ja, noch mehr! Ter bekannte Maler
Schwimmer, der in faustischer Art eine fort-
schrittliche und eine reaktionäre Seele zugleich
besitzt, hat für jede Hälfte seines Wesens eine
eigene „Gruppe" gegründet und verlangt von
der Ausstellungsleitung für jede dieser Gruppen
Sonderrechte.
Berlin. Unter den Kellnern der
Reichstags-Restauration ist eine furcht-
bare Hungerepidemie ausgebrochen, was
theils in der fortwährenden Abwesenheit der
meisten Abgeordneten, theils in der Knickerei
der Anwesenden seinen Grund hat. Die con-
servativen Abgeordneten geben kein Trinkgeld
wegen der Nothlage der Landwirthschaft
(v. Kanitz ließ sich neulich, als er 4 Flaschen
Pommery bezahlte, 3 Pfennige herausgeben), die
Sozialdemokraten geben keins, um die Kellner
nicht in ihrer Menschenwürde zu kränken, Pastor
Schall und Collegen, um jene nicht zur Völlerei
zu verleiten, Eugen Richter gibt keins, weil er
behauptet, durch den Militäretat total ansge-
plündert zu sein, das Centrum verlangt vor-
der Bewilligung von Trinkgeld erst umfang-
reiche Gegenleistungen, und die Antisemiten
verweigern das Trinkgeld, weil die Zahnstocher
in der Reichstagsrestauration von einer jüdischen
Firma bezogen wurden. Uebrigens will man
eine» stärkeren Besuch des Reichstags dadurch
erzielen, daß man Herrn Tr Sigl ans München
zu häufigeren Gastspielen veranlaßt. Die Unter-
handlungen scheiterten bis jetzt au seinen ex-
orbitanten Forderungen. Er verlangt für jedes
Auftreten ein Souper bei Dressel mit einer der
5 Barrisons und die Erhebung des „Bayer.
Vaterlandes" zum offiziösen preußischen Regier-
ungsorgan.
München. Eine originelle Attraktion
bietet das hiesige Deutsche Theater dem Pub-
likum, indem es jetzt jeden Tag von einem
andern Direktor geleitet wird. So verkündet
das kommende Wochenrepertoire: „Sonntag:
„Bor Sonnenaufgang", Direktion Meßthaler;
Montag: „Verlorene Liebesmüh", Direktion
Viktor Naumann; Dienstag: „Liebelei", Di-
rektion Emil Drach; Mittwoch: „Unsere Don
Juans", Direktion Franz Bonn; Donnerstag:
„Der Protzenbauer", Direktion Hofpaur; Frei-
tag: „Madame Sans Gene", Direktion Herr
Possart als Gast; Samstag: „Graf Waldemar",
Direktion Angela Neumann; Sonntag: „Die
Gläubiger", Direktion Meßthaler u. s. w.
Peking, 1. Februar. Li-Hung-Tsang
hat dem Kaiser von China eine Liste derjeni-
gen europäischen Staatseinrichtungen vorlegen
müssen, die ihm besonders ausgefallen sind.
Aus dieser Liste hat nun der Sohn des Him-
mels Folgendes als für das ch i n e s i s ch e V o l k
passend ansgewählt: Das alte preußische
Militürgerichtsverfahren; den Zeugnißzwang
gegen Redakteure, ivie er in Deutschland ge-
handhabt wird; den deutschen Garnisonsmacht-
dienst; die „Beförderung" aktiver Staatsminister
zu Sekondlieutenants; die preußische Einrich-
tung der Platzkartengebühr in den Schnellzügen;
die Theaterccnsnr durch Polizeiassessoren; die
Einführung verschiedener Briefmarken und Bank-
noten in den verschiedenen Theilen des Reiches;
die Einrichtung der „erblichen Reichsräthe" ohne
„Befähigungsnachweis"; den Ausschluß der
Frauen vom medizinischen Studium; das Cor-
set; deu Cylinder; den Gebrauch der Titel Hoch-
wohlgeboren, Wohlgeboreu, Durchlaucht, Er-
laucht, Esquire n. s. w.; eine Anzahl der deutschen
Bestimmungen über Sonntagsruhe; unser
Klebe-Gesetz für Alters- und Jnvalidenver-
sorgung; den Betrieb der Münchener Pferde-
bahn; die Einrichtung der Antikensäle an deut-
schen Kunstakademien; den österreichischen Geld-
verkehr; die Einrichtung der Berliner politischen
Polizei; das Institut der Verwaltnngsräthe
bei den Aktiengesellschaften; die Statuten des
Schillerpreises; das Monoele; die lexHeinze.
Paris, 20. Februar. Einer schrecklichen
Gefahr entging gestern der hiesige Epicier Mr-
Brtlte-Homme. Er zertrat im Jähzorn einen
auf dem Boden seines Kramladens uyiher-
krabbelnden Russen und wäre darum auf ein
Haar von der wüthenden Volksmenge, die sich
vor dem Laden ansammelte, in Stücke gerissen
worden. Zuletzt rettete ihn die mit Geistes-
gegenwart abgegebene Erklärung, er habe ge-
meint, das Insekt sei kein Russe, sondern ein
S ch m a be. Dies beruhigte die empörte Menge.
Sie zog unter Absingen der russischen National-
hymne ab und warf etlichen in der Nähe
wohnenden Deutschen die Fenster ein.
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