Nr. 12
JUGEND
1897
Julius Die% (München).
Die Gewohnheit vieler Personen, im Innern
des Instrumentes Wäsche, Steinkohlen, Flaschen-
bier und Eßvorräthe anfzubewahren, ist ver-
werflich i namentlich die letzteren leiden durch
die dumpfe Lust in dem verschlossenen Kasten.
Auch beeinträchtigt die Anfüllung des Clavicrs
mit solchen Gegenständen leicht den Ton. Be-
sonders gilt das von den Bierflaschen, tvelchc
klappern.
Stellt man das Instrument in feuchten Wohn-
ungen dicht an's Fenster oder vor den Ofen, so
ergeben sich nach einiger Zeit Verstimmungen,
lvelche feineren Ohren Mißbehagen bereiten sollen.
Diese kann jeder leicht dadurch beheben, daß er
den Stimmschlüssel an eigens zu diesem
Zwecke im Innern angebrachte Bolzen ansetzt
und so lange von links nach rechts dreht, bis
cs genug ist. Für den einfachen Hausgebrauch
ist das Clavierstimmen nicht nöthig und wird
hier auch selten geübt.
Außer dem Stimmschlüssel braucht man noch
den eigentlichen Clavierschlüssel, welcher
sehr leicht verlegt wird und dadurch den Anlaß
zu vielen Verdrießlichkeiten gibt, den Violin-
schlüssel, welcher mit der rechten, und den
Baßschlüssel, welcher mit der linken Hand
benutzt tvird. Ordnungsliebende Clavierspieler
tragen diese vier Schlüssel am Besten an einem
Schlüsselring.
Wünscht man des Abends zu spielen, so
zündet man ztvci Clavierkerzen an, wie solche
in jedem größeren Geschäft zu haben sind, weil
die Hände sonst zu leicht sehlgreisen. Manche
spielen beim sogenannten Phantasieren manchmal
auch ohne Licht, doch bleibt dies immer eine un-
zuverlässige Geschichte, ein Sprung in's Dunkle.
Vom Blatt sollte man Nachts nie ohne Licht
spielen. Bei nächtlichem Spielen empfiehlt es
sich, die Fenster zu öffnen, wodurch man mehr
Zuhörer gewinnt. Thut man dies aber nach
11 Uhr, so kommt die Polizei.-
Betrachten wir die Claviatur näher!
Der To», der sich gerade vor dem Unterleib
des Spielers befindet, heißt e (sprich: „zeh!")
Rechts daran befinden sich die leisen, links die
kräftigen Töne. Gleichzeitig können von einem
Spieler nicht leicht mehr als zehn Töne (Tasten)
angeschlagen werden, außer er setzt sich ans
die Claviatur. Es genügen übrigens zum Her-
Vorbringen sehr gefälliger Melodien oft schon
zwei bis drei Töne. Schlägt man drei, vier,
oder gar fünf Töne gleichzeitig an, so nennt
man das Akkord oder Drciklang. Derselbe
kommt fast nur links vor.
Streckt man die Finger einer Hand so weit
aus, als es geht, so heißt man den Abstand
zwischen Daumen und Zeigefinger Oktave.
Kleinere Zwischenräume nennt man Terz und
Quart. Beim Clavier heißt übrigens nicht wie
beim Stndentengesicht die linke Seite Quart-, die
rechte Terzseite. Spielt einer mit zwei Fingern
so schnell, daß man sie nicht mehr sieht, so heißt
man cs einen Triller. Sogenannte Läufe ent-
stehen, wenn man mit den» Daumennagel schnell
von links nach rechts über die Tasten fährt.
Versucht man dies aus den schwarzen Tasten, so
thut es lveh.-
Für Anfänger empfiehlt sich die Wahl eines
Lehrers. Es gibt davon zu allen Preislagen.
Ganz gute Lektionen erhält man schon für fünfzig
Pscnnigc. Clavierlehrer mit sehr langen Haaren
kosten aber auch drei Mark und mehr. Für
männliche Erwachsene empfiehlt sich die Wahl
einer Lehrerin, weil hiedurch Lust und Liebe
geiveckt wird.
Reichen die Mittel nicht weit, so beginne
man mit dem Selbstunterricht, denn Prv-
biren geht über Studiren. Am Besten fängt
"man mit der rechten Hand an, weil diese
weniger steif ist. Hat man nach einigen Monaten
die ersten Schwierigkeiten überwunden, so führe
man die gleichen Hebungen mit der linken
Hand aus. Hat auch diese eine gewisse Hebung
erlangt, dann erst lege man beide Hände aus's
Clavier. Zur eigenen Aufmunterung spiele man
Stücke, die leicht in's Ohr gehen, wie den „Donau-
wellcn-Walzer", den „Feuerzaubcr" u. s. >v. So
schreitet man langsam vor bis zur „Letzten Rose"
und dem „Gebet einer Jungfrau".
lieber die Knust des Vortrages ist schon
sehr viel geschrieben worden; ain Ende bleibt
es aber doch dem Fleiß und dem Geschmack des
Schülers überlassen, das Richtige zu treffen.
Hat man mehr als zwei Zuhörer, so empfiehlt
es sich, den Klavierdeckel zu öffne», was die
Tonstärke wesentlich erhöht. Der Anfänger sage
sich immer: Spiele laut! Nur so überwindet
er die angeborene Scheu vor dem Instrument,
und die Zuhörer brauchen sich mit dem Hören
nicht so anzustrengen. Greift einer, der laut
und energisch spielt, auch einmal daneben, so
meinen die Hörer, cs müsse so sein und gcniren
sich, wenn es ihnen nicht schön vorkommt. Man
hüte sich davor, wenn man einen Ton falsch
gegriffen hat, ihn noch einmal zu suchen — man
würde die Zuhörer dadurch nur unnvthiger Weise
auf den begangenen Fehler aufmerksam machen.
Es gibt zwei Hauptmethoden des Clavier-
spiels: das Auswendiglernen und das
Spielen nach Noten.
Erstcrcm ist der Vorzug zu geben, weil die
unpraktische und complizirte Notenschrift schwierig
zu lesen ist, und weil es Unbequemlichkeiten ver-
ursacht, überall, z. B. auf Reisen, Landpartien
u. s. w. Noten mitzuführen. Der Auswendig-
spieler macht zudem stets einen besseren Eindruck
als der, welcher seine Noten sklavisch und müh-
sam vom Blatte abliest. Dies hat immer etwas
Dilettantisches an sich. Clavierspieler, die mit
Handschuhen an's Clavier gehen und sie dort
ausziehen, heißt man Virtuosen.
Wer trotz der angegebenen Nachtheile des
Verfahrens doch nach Noten spielen will, richte
beim Ankauf der Noten (auch Musikalien ge-
nannt) sein Augenmerk darauf, daß die Noten
nicht zu dunkel sind, sondern das Weiße des
Papiers vorherrscht. Man lasse sich ja von ge-
wissenlosen Verkäufern nicht solche schwarze
N oten ausschwatzen, die auch von vorgeschrittenen
Künstlern oft nur mit Mühe gespielt werden
können. Besonders muß vor den Liszt'scheu
Noten gewarnt werden, deren mühevolle Be-
wältigung oft in gar keinem Berhältniß zum
Vergnügen der Hörer steht. Jedenfalls beginne
man mit ganz hellen Noten, namentlich Volks-
liedern, deren ergreifende Einfachheit stets ge-
rühmt wird. Dann gehe man langsam zu Polka's
und Märschen über.
Ist eine Pivce für einen Spieler zu schwer
oder man will schneller damit zu Ende kommen,
so entschließt man sich manchesmal zum Vier-
händigspielen, wozu zwei Klavierspieler ge-
hören. Im Ucbrigen ist das Verfahren nicht
sehr zu empfehlen, denn selten sind die Charaktere
der Klavierspieler so nachgiebig, daß immer Eins
auf das Andere wartet. Lieber nehme man sich
mehr Zeit und spiele seine Pidee allein. Damen
läßt man, wie überall, so auch beim Bierhändig-
spiclcn rechts sitzen; nur Ehefrauen spielen links
vom Gatten.
Ein junger Pianist, der die oben angegebenen
Lehren beherzigt, wird in Bälde sich zum tüchtigen
Künstler ausgebildet haben, wenn er nur Fleiß,
guten Willen und geduldige Nachbarn hat.
Piccolo.
'91
JUGEND
1897
Julius Die% (München).
Die Gewohnheit vieler Personen, im Innern
des Instrumentes Wäsche, Steinkohlen, Flaschen-
bier und Eßvorräthe anfzubewahren, ist ver-
werflich i namentlich die letzteren leiden durch
die dumpfe Lust in dem verschlossenen Kasten.
Auch beeinträchtigt die Anfüllung des Clavicrs
mit solchen Gegenständen leicht den Ton. Be-
sonders gilt das von den Bierflaschen, tvelchc
klappern.
Stellt man das Instrument in feuchten Wohn-
ungen dicht an's Fenster oder vor den Ofen, so
ergeben sich nach einiger Zeit Verstimmungen,
lvelche feineren Ohren Mißbehagen bereiten sollen.
Diese kann jeder leicht dadurch beheben, daß er
den Stimmschlüssel an eigens zu diesem
Zwecke im Innern angebrachte Bolzen ansetzt
und so lange von links nach rechts dreht, bis
cs genug ist. Für den einfachen Hausgebrauch
ist das Clavierstimmen nicht nöthig und wird
hier auch selten geübt.
Außer dem Stimmschlüssel braucht man noch
den eigentlichen Clavierschlüssel, welcher
sehr leicht verlegt wird und dadurch den Anlaß
zu vielen Verdrießlichkeiten gibt, den Violin-
schlüssel, welcher mit der rechten, und den
Baßschlüssel, welcher mit der linken Hand
benutzt tvird. Ordnungsliebende Clavierspieler
tragen diese vier Schlüssel am Besten an einem
Schlüsselring.
Wünscht man des Abends zu spielen, so
zündet man ztvci Clavierkerzen an, wie solche
in jedem größeren Geschäft zu haben sind, weil
die Hände sonst zu leicht sehlgreisen. Manche
spielen beim sogenannten Phantasieren manchmal
auch ohne Licht, doch bleibt dies immer eine un-
zuverlässige Geschichte, ein Sprung in's Dunkle.
Vom Blatt sollte man Nachts nie ohne Licht
spielen. Bei nächtlichem Spielen empfiehlt es
sich, die Fenster zu öffnen, wodurch man mehr
Zuhörer gewinnt. Thut man dies aber nach
11 Uhr, so kommt die Polizei.-
Betrachten wir die Claviatur näher!
Der To», der sich gerade vor dem Unterleib
des Spielers befindet, heißt e (sprich: „zeh!")
Rechts daran befinden sich die leisen, links die
kräftigen Töne. Gleichzeitig können von einem
Spieler nicht leicht mehr als zehn Töne (Tasten)
angeschlagen werden, außer er setzt sich ans
die Claviatur. Es genügen übrigens zum Her-
Vorbringen sehr gefälliger Melodien oft schon
zwei bis drei Töne. Schlägt man drei, vier,
oder gar fünf Töne gleichzeitig an, so nennt
man das Akkord oder Drciklang. Derselbe
kommt fast nur links vor.
Streckt man die Finger einer Hand so weit
aus, als es geht, so heißt man den Abstand
zwischen Daumen und Zeigefinger Oktave.
Kleinere Zwischenräume nennt man Terz und
Quart. Beim Clavier heißt übrigens nicht wie
beim Stndentengesicht die linke Seite Quart-, die
rechte Terzseite. Spielt einer mit zwei Fingern
so schnell, daß man sie nicht mehr sieht, so heißt
man cs einen Triller. Sogenannte Läufe ent-
stehen, wenn man mit den» Daumennagel schnell
von links nach rechts über die Tasten fährt.
Versucht man dies aus den schwarzen Tasten, so
thut es lveh.-
Für Anfänger empfiehlt sich die Wahl eines
Lehrers. Es gibt davon zu allen Preislagen.
Ganz gute Lektionen erhält man schon für fünfzig
Pscnnigc. Clavierlehrer mit sehr langen Haaren
kosten aber auch drei Mark und mehr. Für
männliche Erwachsene empfiehlt sich die Wahl
einer Lehrerin, weil hiedurch Lust und Liebe
geiveckt wird.
Reichen die Mittel nicht weit, so beginne
man mit dem Selbstunterricht, denn Prv-
biren geht über Studiren. Am Besten fängt
"man mit der rechten Hand an, weil diese
weniger steif ist. Hat man nach einigen Monaten
die ersten Schwierigkeiten überwunden, so führe
man die gleichen Hebungen mit der linken
Hand aus. Hat auch diese eine gewisse Hebung
erlangt, dann erst lege man beide Hände aus's
Clavier. Zur eigenen Aufmunterung spiele man
Stücke, die leicht in's Ohr gehen, wie den „Donau-
wellcn-Walzer", den „Feuerzaubcr" u. s. >v. So
schreitet man langsam vor bis zur „Letzten Rose"
und dem „Gebet einer Jungfrau".
lieber die Knust des Vortrages ist schon
sehr viel geschrieben worden; ain Ende bleibt
es aber doch dem Fleiß und dem Geschmack des
Schülers überlassen, das Richtige zu treffen.
Hat man mehr als zwei Zuhörer, so empfiehlt
es sich, den Klavierdeckel zu öffne», was die
Tonstärke wesentlich erhöht. Der Anfänger sage
sich immer: Spiele laut! Nur so überwindet
er die angeborene Scheu vor dem Instrument,
und die Zuhörer brauchen sich mit dem Hören
nicht so anzustrengen. Greift einer, der laut
und energisch spielt, auch einmal daneben, so
meinen die Hörer, cs müsse so sein und gcniren
sich, wenn es ihnen nicht schön vorkommt. Man
hüte sich davor, wenn man einen Ton falsch
gegriffen hat, ihn noch einmal zu suchen — man
würde die Zuhörer dadurch nur unnvthiger Weise
auf den begangenen Fehler aufmerksam machen.
Es gibt zwei Hauptmethoden des Clavier-
spiels: das Auswendiglernen und das
Spielen nach Noten.
Erstcrcm ist der Vorzug zu geben, weil die
unpraktische und complizirte Notenschrift schwierig
zu lesen ist, und weil es Unbequemlichkeiten ver-
ursacht, überall, z. B. auf Reisen, Landpartien
u. s. w. Noten mitzuführen. Der Auswendig-
spieler macht zudem stets einen besseren Eindruck
als der, welcher seine Noten sklavisch und müh-
sam vom Blatte abliest. Dies hat immer etwas
Dilettantisches an sich. Clavierspieler, die mit
Handschuhen an's Clavier gehen und sie dort
ausziehen, heißt man Virtuosen.
Wer trotz der angegebenen Nachtheile des
Verfahrens doch nach Noten spielen will, richte
beim Ankauf der Noten (auch Musikalien ge-
nannt) sein Augenmerk darauf, daß die Noten
nicht zu dunkel sind, sondern das Weiße des
Papiers vorherrscht. Man lasse sich ja von ge-
wissenlosen Verkäufern nicht solche schwarze
N oten ausschwatzen, die auch von vorgeschrittenen
Künstlern oft nur mit Mühe gespielt werden
können. Besonders muß vor den Liszt'scheu
Noten gewarnt werden, deren mühevolle Be-
wältigung oft in gar keinem Berhältniß zum
Vergnügen der Hörer steht. Jedenfalls beginne
man mit ganz hellen Noten, namentlich Volks-
liedern, deren ergreifende Einfachheit stets ge-
rühmt wird. Dann gehe man langsam zu Polka's
und Märschen über.
Ist eine Pivce für einen Spieler zu schwer
oder man will schneller damit zu Ende kommen,
so entschließt man sich manchesmal zum Vier-
händigspielen, wozu zwei Klavierspieler ge-
hören. Im Ucbrigen ist das Verfahren nicht
sehr zu empfehlen, denn selten sind die Charaktere
der Klavierspieler so nachgiebig, daß immer Eins
auf das Andere wartet. Lieber nehme man sich
mehr Zeit und spiele seine Pidee allein. Damen
läßt man, wie überall, so auch beim Bierhändig-
spiclcn rechts sitzen; nur Ehefrauen spielen links
vom Gatten.
Ein junger Pianist, der die oben angegebenen
Lehren beherzigt, wird in Bälde sich zum tüchtigen
Künstler ausgebildet haben, wenn er nur Fleiß,
guten Willen und geduldige Nachbarn hat.
Piccolo.
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