1897
JUGEND
Nr. 13
Sie rückte den Zeiger auf Lins. Ein Heller Ton erscholl
Da öffnete sich eine Thurmthür, und ein Hellebardier in go ee
Rüstung trat hervor. Er schritt bis in die Mitte des Hofes ,ne,
die Hellebarde znm Boden, winkte, wie grüßend, nnt der liur
Hand und ging dann wieder znr Thüre zurück. Die Thur ? °ti j‘ !•
Fräulein Llariffe rückte die Zeiger nun weiter. -1 ,e
schlug zwei. Da kam von rechts ein junger Schäfer, er UK J
sich zweimal um und winkte zweinial mit der Rechten. - an>n l
er dies gethan, als eine junge Schäferin getrippe .
knirte zweinial vor dem Schäfer, dann reichten I>c eman
Hände und schritte» im Menuetschritt zu filier kleinen Llfur.
^l^ür öffnete sich. Sie traten ein. Die üJ]ür 1l 9*
Die Uhr schlug drei. Zwei weiße Pierrot- spränget, in mun-
ter» Sätzen hervor; ihnen folgte eine grüne Lolombme^ J»»
Hiitte des Hofes angelangt, fielen die Pierrots vor ^ °
auf die 'Kniee. Lolombine wandte sich kokett bald zu c J
bald zu dem Andern, dann gab sie Jedem einen Ba ens rei
entlief. Die Pierrots eilten ihr in langen Sätzen nam.
Die Uhr schlug vier. Lin Ritter in Lisenrustung und
langem Schwerte bewehrt trat in Begleitung seines uuppe
einer Seite hervor, von der anderen Seite kam glctdnalls
Ritter in Lisenrüstnng und mit einem ebenso langen - .
Begleitung seines Knappen hervor. Die beiden fr ^ J
gar grimmig mit einander, während die Knappen Purze n
schlugen. Lndlich fielen beide Ritter wie todt zn Boden u»
schwanden dann in die (Erbe. Die beiden Knappen schlugen m -
eine Meile ihre Purzelbäume, daun folgten sie ihren 1ellc
die Erde. , m-'h
Die Uhr schlug fünf. Lin behäbiger Bauer mit sei>tein c> e
»nd seinem Sohne kamen langsam hervor und blickten 1»| T
Platz. Auf dem Söller der Thürme erschienen Trompeter; die
bliesen einen Lhoral. Das Königspaar nickte mit dein Kopf
dazu. Als der Lhoral verklnngeu war und die Trompeter
verschwunden, erhoben sich Alle und schritten feierlich zu den
verschiedenen Thüren. Die Lakaien trugen die Tische und
Sessel hinweg.. .
Fräulein Llariffe wurde ungeduldig. Sie rückte den
Zeiger wohl weiter, aber fast »nbewnßt und sie lauschte den
Hellen Klängen nicht mehr, »nd sie beobachtete auch die weiteren
Schäfer uiid Schäferinnen, Ritter und Damen, Mönche und
Nonnen und die sonstigen Figuren nicht mehr, die vom Meister
Lhristoforo Nicoladoni in die Uhr hineiugezanbert worden waren.
Jedes Figürchen war für sich ein Kunstwerk nnd so zart gebaut,
daß das rasche Umdrehe» des Zeigers, wie es Fräulein Llariffe vor-
nahm, zii ernstesten Besorgnissen Anlaß geben konnte.
Fräulein Llariffe erhob sich jäh. Die Ivunderuhr hatte elf
geschlagen. In der Ivirklichkeit mochte es auch so viel sei». Die
Uhr ticktackte für sich. Ringsherum war Alles still. Die Rosen-
bäume des Gartens sandten ihre duftige» Grüße znr Veranda
empor, ans der das Fräulein nervös auf- nnd niederschritt. Sie
warf sich in den Schankelstuhl und barg das Antlitz aufstöhuend
in die Hände. Dann nahm sie aus der Tasche ihres Spihenschlaf-
rockes ein zerknittertes Abendblatt hervor. Jetzt las sie wieder
und wieder die sechs Zeilen im „Tagesbericht": Das Geschenk!
Das Geschenk des Bürgerlichen war darinnen enthalten; in diesen
sechs Zeilen. Liiie gewöhnliche Notiz. In ganz gewöhnlicher
Schrift gedruckt. Lin junger Mann hatte sich erschossen; ein
kleiner Beamter von der Post.
während um; hinter ihnen kani die Tochter des Baneriipaares »nd
"eben ihr ein junger Hirte, offenbar ihr Liebster- wenn sich
Vater, Mutter und Bruder umwaudten, schritt das Liebespaar
ZÜchtiglich einher; kaum aber hatten Jene ihre Blicke weggewandt,
1° siel das Liebespaar sich in die Arme. Auch sie verschwanden
einer Thurmthür.
Die Uhr schlug sechs. Da öffneten sich alle Thüren, nnd eine
ganze Menge von Lakaien trat hervor; sie trugen Sessel »nd Tische
und stellte» sie auf. Dann kam der König mit der Königin;
Hofdamen und Lavaliere im Gefolge. Die Herrschaften nahmen
Wh, sie hatte ihn gekannt. Ziemlich genau gekannt, viel-
leicht sogar geliebt. Lr hatte so schöne, treuherzige Auge». Dabei
mar er so schüchtern und unbeholfen. Fast ein ganzes Jahr saßen
sie im selben Bureau, und er wagte es nicht, ihr seine Liebe zn
gestehen, obwohl er sie schon am ersten Tage geliebt hatte. Sie
fühlte es; sie wußte es; aber sie kam ihm nicht im Geringsten
entgegen; sie ergötzte sich an seiner Angst. Aber eines Tages ging
die Liebeserklärung doch vor sich. Ls war »in die Mittagsstunde;
natürlich im Mai. Sie addirte die Postanweisungs-Beträge, und
das wollte ihr nicht stimmen. Sie rief ihn, er möge ihr helfen.
Dann stimmte es. Sie dankte ihm. Lr blieb eine weile stehen.
Sie waren allein, um die Mittagstnnde im Mai. Und da begann
er zn sprechen. Sie lauschte seinen Worten. Ls wurde ihr so warm
uin's Herz. wie süß das klang!
vorüber, vorbei!
was dachte sie jetzt an dieses bureaukratische Idyll! Konnte
sie etwas dafür, daß es so gekommen war? Wohl, der Augenblick
hatte sie ein wenig mit sich gerissen, aber sagte sie ihm nicht
schon damals, daß sie vielleicht für einander nicht paffen würden?
Aber er bat und bat, und seine Augen blickten dabei so traurig,
nnd er versprach ihr, sie zu hegen, ivie eine geliebte Taube, und
daß er ihr den Himmel aus Erden schaffen wolle. Unglückseliger
fjimtiiel, den ein Postbeamter mit 9U0 Gulden Gehalt aus Erden
JUGEND
Nr. 13
Sie rückte den Zeiger auf Lins. Ein Heller Ton erscholl
Da öffnete sich eine Thurmthür, und ein Hellebardier in go ee
Rüstung trat hervor. Er schritt bis in die Mitte des Hofes ,ne,
die Hellebarde znm Boden, winkte, wie grüßend, nnt der liur
Hand und ging dann wieder znr Thüre zurück. Die Thur ? °ti j‘ !•
Fräulein Llariffe rückte die Zeiger nun weiter. -1 ,e
schlug zwei. Da kam von rechts ein junger Schäfer, er UK J
sich zweimal um und winkte zweinial mit der Rechten. - an>n l
er dies gethan, als eine junge Schäferin getrippe .
knirte zweinial vor dem Schäfer, dann reichten I>c eman
Hände und schritte» im Menuetschritt zu filier kleinen Llfur.
^l^ür öffnete sich. Sie traten ein. Die üJ]ür 1l 9*
Die Uhr schlug drei. Zwei weiße Pierrot- spränget, in mun-
ter» Sätzen hervor; ihnen folgte eine grüne Lolombme^ J»»
Hiitte des Hofes angelangt, fielen die Pierrots vor ^ °
auf die 'Kniee. Lolombine wandte sich kokett bald zu c J
bald zu dem Andern, dann gab sie Jedem einen Ba ens rei
entlief. Die Pierrots eilten ihr in langen Sätzen nam.
Die Uhr schlug vier. Lin Ritter in Lisenrustung und
langem Schwerte bewehrt trat in Begleitung seines uuppe
einer Seite hervor, von der anderen Seite kam glctdnalls
Ritter in Lisenrüstnng und mit einem ebenso langen - .
Begleitung seines Knappen hervor. Die beiden fr ^ J
gar grimmig mit einander, während die Knappen Purze n
schlugen. Lndlich fielen beide Ritter wie todt zn Boden u»
schwanden dann in die (Erbe. Die beiden Knappen schlugen m -
eine Meile ihre Purzelbäume, daun folgten sie ihren 1ellc
die Erde. , m-'h
Die Uhr schlug fünf. Lin behäbiger Bauer mit sei>tein c> e
»nd seinem Sohne kamen langsam hervor und blickten 1»| T
Platz. Auf dem Söller der Thürme erschienen Trompeter; die
bliesen einen Lhoral. Das Königspaar nickte mit dein Kopf
dazu. Als der Lhoral verklnngeu war und die Trompeter
verschwunden, erhoben sich Alle und schritten feierlich zu den
verschiedenen Thüren. Die Lakaien trugen die Tische und
Sessel hinweg.. .
Fräulein Llariffe wurde ungeduldig. Sie rückte den
Zeiger wohl weiter, aber fast »nbewnßt und sie lauschte den
Hellen Klängen nicht mehr, »nd sie beobachtete auch die weiteren
Schäfer uiid Schäferinnen, Ritter und Damen, Mönche und
Nonnen und die sonstigen Figuren nicht mehr, die vom Meister
Lhristoforo Nicoladoni in die Uhr hineiugezanbert worden waren.
Jedes Figürchen war für sich ein Kunstwerk nnd so zart gebaut,
daß das rasche Umdrehe» des Zeigers, wie es Fräulein Llariffe vor-
nahm, zii ernstesten Besorgnissen Anlaß geben konnte.
Fräulein Llariffe erhob sich jäh. Die Ivunderuhr hatte elf
geschlagen. In der Ivirklichkeit mochte es auch so viel sei». Die
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bäume des Gartens sandten ihre duftige» Grüße znr Veranda
empor, ans der das Fräulein nervös auf- nnd niederschritt. Sie
warf sich in den Schankelstuhl und barg das Antlitz aufstöhuend
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rockes ein zerknittertes Abendblatt hervor. Jetzt las sie wieder
und wieder die sechs Zeilen im „Tagesbericht": Das Geschenk!
Das Geschenk des Bürgerlichen war darinnen enthalten; in diesen
sechs Zeilen. Liiie gewöhnliche Notiz. In ganz gewöhnlicher
Schrift gedruckt. Lin junger Mann hatte sich erschossen; ein
kleiner Beamter von der Post.
während um; hinter ihnen kani die Tochter des Baneriipaares »nd
"eben ihr ein junger Hirte, offenbar ihr Liebster- wenn sich
Vater, Mutter und Bruder umwaudten, schritt das Liebespaar
ZÜchtiglich einher; kaum aber hatten Jene ihre Blicke weggewandt,
1° siel das Liebespaar sich in die Arme. Auch sie verschwanden
einer Thurmthür.
Die Uhr schlug sechs. Da öffneten sich alle Thüren, nnd eine
ganze Menge von Lakaien trat hervor; sie trugen Sessel »nd Tische
und stellte» sie auf. Dann kam der König mit der Königin;
Hofdamen und Lavaliere im Gefolge. Die Herrschaften nahmen
Wh, sie hatte ihn gekannt. Ziemlich genau gekannt, viel-
leicht sogar geliebt. Lr hatte so schöne, treuherzige Auge». Dabei
mar er so schüchtern und unbeholfen. Fast ein ganzes Jahr saßen
sie im selben Bureau, und er wagte es nicht, ihr seine Liebe zn
gestehen, obwohl er sie schon am ersten Tage geliebt hatte. Sie
fühlte es; sie wußte es; aber sie kam ihm nicht im Geringsten
entgegen; sie ergötzte sich an seiner Angst. Aber eines Tages ging
die Liebeserklärung doch vor sich. Ls war »in die Mittagsstunde;
natürlich im Mai. Sie addirte die Postanweisungs-Beträge, und
das wollte ihr nicht stimmen. Sie rief ihn, er möge ihr helfen.
Dann stimmte es. Sie dankte ihm. Lr blieb eine weile stehen.
Sie waren allein, um die Mittagstnnde im Mai. Und da begann
er zn sprechen. Sie lauschte seinen Worten. Ls wurde ihr so warm
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vorüber, vorbei!
was dachte sie jetzt an dieses bureaukratische Idyll! Konnte
sie etwas dafür, daß es so gekommen war? Wohl, der Augenblick
hatte sie ein wenig mit sich gerissen, aber sagte sie ihm nicht
schon damals, daß sie vielleicht für einander nicht paffen würden?
Aber er bat und bat, und seine Augen blickten dabei so traurig,
nnd er versprach ihr, sie zu hegen, ivie eine geliebte Taube, und
daß er ihr den Himmel aus Erden schaffen wolle. Unglückseliger
fjimtiiel, den ein Postbeamter mit 9U0 Gulden Gehalt aus Erden