Nr. 15
JUGEND
1897
5äl§Iitiarl>t '&£trrtrrrt!
Julius Dic% (München).
Raum für das neue 'Leben," das jauchzende,
morgenkühle, neue Leben!-
Abseits vom bethörenden Flitter der großen
Welt, in heimlicher Verschwiegenheit, gebärt mein
Geist neue, frische Gedanken. Die geben mir die
Ruhe wieder und die Fähigkeit, mich zu erheben,
emporzuschwingen in lichte, schwindelnde Höhen,
die keine Grenzen kennen.
Da dehnt sich die Seele und wird gross und
>veit und allerbarmend. Die kleinen Leiden-
schaften versinken nnd nur Eines schnellt siegend
empor, — das frohe, reine, satte Zufriedensein,
der stille Friede mit der Welt. Nie gehörte Töne,
sanft und mild, aus weichen Saiten kommend,
umrauschen das Gehör,-ein Choral von
tausend kleinen Engelsstimmen mischt sich in
die Melodie-
-- Der Frühling macht mich manchmal
müde mit seinen feuchten, wehenden Flügelschlägen.
Aber es ist ein süßes, seliges Müdsein, ein holdes
Erschlaffen der Kräfte, die sich dagegen nicht
wehren.-
Dann kommen wieder kalte Tage, mit
scharfem Sturmwind und scharfer, heller Suff.
Ich bleibe in meiner Stube, lasse den großen
Ofen heizen und schleiche in warmen, weichen
Pantoffeln auf und nieder. Dazu stoße ich dicke
Wolken aus meiner langen Pfeife, die mir im
Zimmer ein lieber, tröstender Geselle ist, und
sehe sinnend dem schwelenden, blauen Rauche nach.
Des Abends gehe ich dann auch öfters hinab
und setze mich unter die Knechte und Mägde.
Wenn ich auch nicht viel rede,-ich habe
Genuß daran, in gesunde, derbe, arbeitsmüde
Gesichter zu schauen. Um acht Uhr steige ich
wieder hinauf und werfe mich in's harte Bett,
in dem für dreie Platz wäre. Ich schlafe ohne
Träume, fest und ruhig. —--
Hie und da sehe ich auch was Liebes, —
wenn ich früh aufstehe, die Morgensonne noch
tief im Osten steht und ich durch's offene Fenster
die herbe, kühle Luft hereinstreichen lasse.
Im Haus mir gegenüber steht ein junges
Mädel vor dem Spiegel und flicht sich ihre vollen,
braunen Zöpfe. Dazu summt sie halblaut eine
alte Kinderweise, wiegt mit dem ganzen Körper
den Takt dazu, und wenn sie mich erblickt, wie
ich mit hellen, freudigen Augen dies Bild be-
trachte, läuft sie nicht verschämt davon, sondern
lacht mich an und läßt ihre weißen Finger in
den Haaren weiterspielen. Und ich lache wieder
und nicke ihr einen fröhlichen guten Morgen zu.
> Das ist doch etwas so Liebes und Lebens-
herziges, gleich in der frühesten Stunde des
Tages! Wenn dann die Sonne noch dazu immer
höher steigt und wärmer wird und ringsum die
Natur in frischen Pulsen sich regt, — — dann
habe ich schon den ganzen Tag gewonnen! —-
Ein merkwürdiges Sehnen kehrt jetzt alle
Tage wieder. Es reizt mich immer stärker, in
mein früheres Leben zurückzukehren, das Alte
wieder zu sehen, die Rast aufzugeben und mit
neu gewonnenen Kräften in den Wirbel zu tauchen.
Was ich gehaßt habe, was an mir zehrte
wie eine heiße, schwärende Wunde, und dem ich
vor Wochen entfloh, wie bösen 3 hartnäckigen
Geistern, beginnt, mir lieb zu werden, — von
neuem lieb zu werden — — —
Ich suche nach keinem Grund dafür, wenn
diese Sehnsuchtsstimmung mich gefangen hält,
— ich genieße sie, ohne nach ihrem Ursprung zu
fragen.
Und oft blicke ich den wandernden Wolken
nach und dem Flug der Vögel. Und wenn an
milden Abenden die Sonne langsam und leuchtend
den Tag verläßt, schaue ich lange und träumend
in die rothe Abendgluth, bis mir die Augen weh
und brennend werden.
Ich sehe den Tag kommen, da ich Alles ver-
lasse, was mich hier in tiefe Ruhe eingeschläfert
hat, — ich fühle die Stunde des Erwachens nahe,
die Stunde, da ich Alles, was mich jetzt umgibt,
mit anderen Augen sehen werde als einstens.
— Und wenn diese Zeit kommt, muß ich fort,
Dann kehre ich freudig zurück, und nur ein
stilles Gedenken wird in meiner Seele fortleben,
an die langen, Hellen Tage und die grüne,
blühende Einsamkeit — —-
Das Mädel drüben mit den braunen Zöpfen
heißt Marie und ist die Braut des jungen Schul-
lehrers.
Ich sehe sie auch tagsüber jetzt öfters, und
manchmal auch beide zusammen, ihn und sie,
im Fenster lehnen. Da schauen sie mir in's
Zimmer herein, schwatzen und lachen und
küssen sich wie zwei richtige junge Leute. Ich
freue mich an dem lustigen Glück da drüben,
und einer von den tausend Frühlingssonnen-
strahlen, die draußen sich ergießen, findet den
Weg in mein Herz und läßt dort Alles gol-
dig blitzen.
So schreite ich langsam empor, aus dem
dämmernden Dunkel heraus in das hohe, freie Licht.
Heute Nacht ging ein Sturm brausend, mit
tobendem Ungestüm, über's Land, fegte mit
pfeifenden Strichen durch die Luken und Löcher
im alten Haus, wimmerte klagend und ver-
langend, wie mit nicht gesättigter Lust, wo er
Widerstand traf und wunderte weiter, — weiter
— — zuletzt klang er wie' fernes, heimliches
Singen, wie weites, entlegenes Tönen, bis er
wieder hart und prallend an die Wände stieß.
Die welken, vermodernden Blätter vom
vorigen Jahre, die im Gartenwinkel zusammen-
gekehrt sind, riß er vom feuchten Boden und
fegte sie über die Mauer,-mit allem Morschen
und Schwachen räumte er unbarmherzig auf und
jagte es nach allen Seiten.
Frisch und rein und sonnig, in jugendlich
strahlendem Braulgewand liegt jetzt die Welt!
jMeerlied
eber die pünen weht der Wind;
pes Sandes Wolker; stiebest,
pu /ragst mich bang, meist schönes t^ind,
Ob ich dir treu geblieben?
Sch war dir treu und bist dir’s noch,
Wenst ich dich halt’ und habe, —
Ünd bist du /erst, geniess ich doch
pes Glückes Gunst und Gabe.
JVlein perz ist heiss, die Sonst' ist licht,
Mist V^iad, du dar/st nicht schelten,
-Lass ich einmal eist hübsch Gesicht
)\uch nebest deinem geltest.
Sch bin zu jung /ür’s Ginerlei,
pie Welt gehört denr\ sühnest!
Schau au/, meist V^ind: das Mer ist /rei;
per Wind weht über die pünerj
KARL WOLLF.
Line kleine Parabel von den
Nachahmern
Aönig Aelchaus von Nirgeildwo
liebte die starken Getränke, und so ge-
schaht, daß Seiner Majestät erhabene
Nase roth ward wie ein Dolomitselsen
bei Sonnenuntergang.
„(D, wie wunderbar! (D, wie herr-
lich schön!" riefen da seine Unterthanen,
und alle wollteir rothe Nasen haben.
Also stieg der Mein im Preise?
Nein: die S ch m inke.
L>. 3. Bierbaum.
Aus dem Diktathsft des kleinen Lmil
Isaak war ein recht mäßiger Sohn Abrahams.
Der kleine Schneidergeselle war aus acht
baren Verhältnissen hervorgegangen.
Das Schwein ist ein Säu Gethier. ros.
‘242
JUGEND
1897
5äl§Iitiarl>t '&£trrtrrrt!
Julius Dic% (München).
Raum für das neue 'Leben," das jauchzende,
morgenkühle, neue Leben!-
Abseits vom bethörenden Flitter der großen
Welt, in heimlicher Verschwiegenheit, gebärt mein
Geist neue, frische Gedanken. Die geben mir die
Ruhe wieder und die Fähigkeit, mich zu erheben,
emporzuschwingen in lichte, schwindelnde Höhen,
die keine Grenzen kennen.
Da dehnt sich die Seele und wird gross und
>veit und allerbarmend. Die kleinen Leiden-
schaften versinken nnd nur Eines schnellt siegend
empor, — das frohe, reine, satte Zufriedensein,
der stille Friede mit der Welt. Nie gehörte Töne,
sanft und mild, aus weichen Saiten kommend,
umrauschen das Gehör,-ein Choral von
tausend kleinen Engelsstimmen mischt sich in
die Melodie-
-- Der Frühling macht mich manchmal
müde mit seinen feuchten, wehenden Flügelschlägen.
Aber es ist ein süßes, seliges Müdsein, ein holdes
Erschlaffen der Kräfte, die sich dagegen nicht
wehren.-
Dann kommen wieder kalte Tage, mit
scharfem Sturmwind und scharfer, heller Suff.
Ich bleibe in meiner Stube, lasse den großen
Ofen heizen und schleiche in warmen, weichen
Pantoffeln auf und nieder. Dazu stoße ich dicke
Wolken aus meiner langen Pfeife, die mir im
Zimmer ein lieber, tröstender Geselle ist, und
sehe sinnend dem schwelenden, blauen Rauche nach.
Des Abends gehe ich dann auch öfters hinab
und setze mich unter die Knechte und Mägde.
Wenn ich auch nicht viel rede,-ich habe
Genuß daran, in gesunde, derbe, arbeitsmüde
Gesichter zu schauen. Um acht Uhr steige ich
wieder hinauf und werfe mich in's harte Bett,
in dem für dreie Platz wäre. Ich schlafe ohne
Träume, fest und ruhig. —--
Hie und da sehe ich auch was Liebes, —
wenn ich früh aufstehe, die Morgensonne noch
tief im Osten steht und ich durch's offene Fenster
die herbe, kühle Luft hereinstreichen lasse.
Im Haus mir gegenüber steht ein junges
Mädel vor dem Spiegel und flicht sich ihre vollen,
braunen Zöpfe. Dazu summt sie halblaut eine
alte Kinderweise, wiegt mit dem ganzen Körper
den Takt dazu, und wenn sie mich erblickt, wie
ich mit hellen, freudigen Augen dies Bild be-
trachte, läuft sie nicht verschämt davon, sondern
lacht mich an und läßt ihre weißen Finger in
den Haaren weiterspielen. Und ich lache wieder
und nicke ihr einen fröhlichen guten Morgen zu.
> Das ist doch etwas so Liebes und Lebens-
herziges, gleich in der frühesten Stunde des
Tages! Wenn dann die Sonne noch dazu immer
höher steigt und wärmer wird und ringsum die
Natur in frischen Pulsen sich regt, — — dann
habe ich schon den ganzen Tag gewonnen! —-
Ein merkwürdiges Sehnen kehrt jetzt alle
Tage wieder. Es reizt mich immer stärker, in
mein früheres Leben zurückzukehren, das Alte
wieder zu sehen, die Rast aufzugeben und mit
neu gewonnenen Kräften in den Wirbel zu tauchen.
Was ich gehaßt habe, was an mir zehrte
wie eine heiße, schwärende Wunde, und dem ich
vor Wochen entfloh, wie bösen 3 hartnäckigen
Geistern, beginnt, mir lieb zu werden, — von
neuem lieb zu werden — — —
Ich suche nach keinem Grund dafür, wenn
diese Sehnsuchtsstimmung mich gefangen hält,
— ich genieße sie, ohne nach ihrem Ursprung zu
fragen.
Und oft blicke ich den wandernden Wolken
nach und dem Flug der Vögel. Und wenn an
milden Abenden die Sonne langsam und leuchtend
den Tag verläßt, schaue ich lange und träumend
in die rothe Abendgluth, bis mir die Augen weh
und brennend werden.
Ich sehe den Tag kommen, da ich Alles ver-
lasse, was mich hier in tiefe Ruhe eingeschläfert
hat, — ich fühle die Stunde des Erwachens nahe,
die Stunde, da ich Alles, was mich jetzt umgibt,
mit anderen Augen sehen werde als einstens.
— Und wenn diese Zeit kommt, muß ich fort,
Dann kehre ich freudig zurück, und nur ein
stilles Gedenken wird in meiner Seele fortleben,
an die langen, Hellen Tage und die grüne,
blühende Einsamkeit — —-
Das Mädel drüben mit den braunen Zöpfen
heißt Marie und ist die Braut des jungen Schul-
lehrers.
Ich sehe sie auch tagsüber jetzt öfters, und
manchmal auch beide zusammen, ihn und sie,
im Fenster lehnen. Da schauen sie mir in's
Zimmer herein, schwatzen und lachen und
küssen sich wie zwei richtige junge Leute. Ich
freue mich an dem lustigen Glück da drüben,
und einer von den tausend Frühlingssonnen-
strahlen, die draußen sich ergießen, findet den
Weg in mein Herz und läßt dort Alles gol-
dig blitzen.
So schreite ich langsam empor, aus dem
dämmernden Dunkel heraus in das hohe, freie Licht.
Heute Nacht ging ein Sturm brausend, mit
tobendem Ungestüm, über's Land, fegte mit
pfeifenden Strichen durch die Luken und Löcher
im alten Haus, wimmerte klagend und ver-
langend, wie mit nicht gesättigter Lust, wo er
Widerstand traf und wunderte weiter, — weiter
— — zuletzt klang er wie' fernes, heimliches
Singen, wie weites, entlegenes Tönen, bis er
wieder hart und prallend an die Wände stieß.
Die welken, vermodernden Blätter vom
vorigen Jahre, die im Gartenwinkel zusammen-
gekehrt sind, riß er vom feuchten Boden und
fegte sie über die Mauer,-mit allem Morschen
und Schwachen räumte er unbarmherzig auf und
jagte es nach allen Seiten.
Frisch und rein und sonnig, in jugendlich
strahlendem Braulgewand liegt jetzt die Welt!
jMeerlied
eber die pünen weht der Wind;
pes Sandes Wolker; stiebest,
pu /ragst mich bang, meist schönes t^ind,
Ob ich dir treu geblieben?
Sch war dir treu und bist dir’s noch,
Wenst ich dich halt’ und habe, —
Ünd bist du /erst, geniess ich doch
pes Glückes Gunst und Gabe.
JVlein perz ist heiss, die Sonst' ist licht,
Mist V^iad, du dar/st nicht schelten,
-Lass ich einmal eist hübsch Gesicht
)\uch nebest deinem geltest.
Sch bin zu jung /ür’s Ginerlei,
pie Welt gehört denr\ sühnest!
Schau au/, meist V^ind: das Mer ist /rei;
per Wind weht über die pünerj
KARL WOLLF.
Line kleine Parabel von den
Nachahmern
Aönig Aelchaus von Nirgeildwo
liebte die starken Getränke, und so ge-
schaht, daß Seiner Majestät erhabene
Nase roth ward wie ein Dolomitselsen
bei Sonnenuntergang.
„(D, wie wunderbar! (D, wie herr-
lich schön!" riefen da seine Unterthanen,
und alle wollteir rothe Nasen haben.
Also stieg der Mein im Preise?
Nein: die S ch m inke.
L>. 3. Bierbaum.
Aus dem Diktathsft des kleinen Lmil
Isaak war ein recht mäßiger Sohn Abrahams.
Der kleine Schneidergeselle war aus acht
baren Verhältnissen hervorgegangen.
Das Schwein ist ein Säu Gethier. ros.
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