Nr. 22
JUGEND
1897
dann morgen
Gesammtbefund des
Sanatoriums: Alle ganz des
Teufels, ganz verdreht. Ursache
einstweilen unbekannt.
Ult. Ich selbst auch fast des
Teufels. Hält dieser klcineSatan
von Küthe es nicht für der Mühe
Werth, mir zu antworten? lieber
acht Tage sind seit meinem Brief
vergangen. — I da soll doch
gleich-
12. Mai.
Tagebuch der Frau Reumann
„Gnädige Frau, die Luft be-
kommt Ihnen hier nicht, ich würde
Ihnen rathen, sich etwas südlicher
zu wenden. Darf ich für Sie
nach" — er nannte den Namen
eines Ortes, der sich in keinem
Geographiebuche finden wird —
„telegraphieren? Sie würden
reisen können."
Das klingt mehr nach Polizeilicher Ausweis-
ung, denn nach zarter Sorge um meine Gesund-
beit. Aber die Thatsache ist entzückend, ist eine
Lebensrettung. Bei längerem Aufenthalt würde
ich hier hysterisch, neurasthcnisch und wer weih
was sonst noch geworden sein.
Ich verzichtete dankend auf deu Ort, der in
keinem Geographiebuche steht, und gab meine Ab-
sicht kund, einstweilen nach Wiesbaden zu gehen,
da es für Ostende noch nicht Saison ist.
Damen behandeln mich wie Luft, Schnabel
bekommt Wcinkrämpfe, sobald sie mich sicht. Was
liegt hier vor?
Ungewißheit ist nicht meine Sache, ich habe
den Doktor gestellt und ihn um Aufklärung ge-
beten. lieber diese Komödie! Was meiner Ge-
sundheit noch fehlte, wird mir dieses Amüsement
geben.
Tagebuch des Frl. Schnabel.
Es ist geschehen — —.
Frl. Kühl mann, deren außerordentlicher
Bilduugsdrang sie nicht vor der neueste» itnd ge-
wagtesten Literatur zurücksclirccken läßt, hat Liebt
in das Dunkel gebracht. Ich weiß nun, was
Trilby ist — auch was Svengali! — Ach!-
O du erhabener Mann, du mein einziger
Herr De. Bimmermann, ivic übel Hai man Dir
mitgespielt! Sagen kann ich es Dir nicht, das
Wort würde mir in der Kehle verdorren. Aber
schreibe» tvill ich es. Dem Banne Deiner Per-
sönlichkeit entrückt, tvird es mir vielleicht glücke».
Nachmittags.
Er war bei mir — stumiti gab ich die be-
schriebenen Blätter in seine Hand. Er sah m ch
an — oh, tvie er mich ansah! Dann begann er
pl lesen. Welch' ein Mann, tvelche Seelenstärke!
§r ließ e? mich nicht entgelten, daß ich das un-
schuldige Werkzeug bin, das ihm den Streich ver-
setzte. Er lächelte, erst unterdrückt, dann immer
mehr tl»d mehr, bis er in eilt schmetterndes Lachen
ausbrach. Wie mich dies ^ erschütterte! „Ihnen
tvird Genugthnuug werden, Frl. Schnabel", und
stark drückte mir der Herr Doktor die Hand.
Tagebücher der Tameu Fel. Schulze re.
Sie hat's anfgeschriebcn, tiud der Herr Dok-
tor hat gelacht. Gelacht! Das Lachen eines Nerv!
Eine entsetzliche Reaetion wird folgen!
Sie reist, er hat diese Neumann fortgeschickt
— mit sauten Aepfeln sollte mau ihr das Geleit
geben! Pfui!
Zitte rnde Aufregung—Katastrophe inSicht—
was werden lvir erleben?
Die Schnabel steckt dazwischen; wenn auch
unschuldigerweise, so wird's den Doktor doch gececu
sie einnehmeu. Famos! Da wird er sich künftig-
hin nur uns Vieren widmen.
Aerztliches Journal des Dr. Bimiuerutami.
Frau Neu mann. Schade um die Frau,
aber behalte» kann ich sie nicht, sie hat den Nagel
allzusehr auf de» Kopf getrosten. So etwas geht
hier nicht an. Also fort mit ihr. Rechnung auf's
Zimmer.
Frl. Schnabel. Vollständig deS Teufels.
Ein gottvolles Schriftstück, das sie da verfaßt hat.
Eisblase auf den Kopf, kalte Fußbäder, Brause-
limonade.
G e s a m m t b e s u n d des S a n a t v r i u m s:
Befriedigend. Gestilltes SensntionSbedürsuiß,
moralische Entrüstung. Sebr zuträglich.
N15. Endl'ch, endlich Nachricht von meiner
süßen kleinen Käthe. Dieses Prachtmädchen hat
ja gleich gewußt, was es ivoltte, nämlich Frau
Doktorin werden, aber sie hat, ehe sie nur Nach-
richt gegeben, erst das goldene Papacheu mir
milde'stiinmcn wollen. Es ist herrlich, Käthe wird
mein Frauchen und das alberne, greuliche Dameu-
sanatorium hänge ich an deu Nagel und gehe in
die Großstadt. Das weite Portemonnaie meines
Schwiegervaters gestaltet mir das.
I». Mai.
Tagebuch der Frau Neumami.
Allgemeiner Umschwung der Stimmung. Ab-
gereist wie eine Primadonna in Blumen einge-
bettet, die mir die liebenswürdigen Patienten zum
Abschied verehrten. Alle haben sie mich gleich von
Anfang an so gerne gehabt, und jetzt beivundern
sie meinen Scharfsinn, der nrich den „engelhaften
Doktor" sofort als einen „Svengali" hat erkennen
lassen!! Der Doktor hat sich nämlich verlobt.
Tagebuch des Frl. Schnabel.
Es ist mein Tod — lebe ich noch, oder bin
ich schon verschieden? O dieser Heuchler, dieser
Charlatan! — Nur eine schleunige Luftveränder-
ung kann mich retten.
Tagebücher des Frl. Schulze re.
O dieser — dieser-ich finde keine Worte.
Habe sofort meine Rechnung erbeten, reise noch
diesen Mittag
Das ist nun unser Abgott, unser Held. Ein
Mensch, der sich verlobt. Wie banal, wie gemein!
Und Käthi heißt sie. Pfui! Ob ich der reizenden
Frau Neumann La France oder Marschall Niel
zum Abschied schenke? Jedenfalls nur lang-
stielige, ohne Draht.
Empörend, ekelhast! Ich und die kluge Frau
Neumann haben ihn allein richtig erkannt. Die
andern sind greulich dnpirt worden.
Ich hoffe, er wird gründlich reinfallen. Wozu
braucht er eine Braut? — Wir wären ja da.
Aerztl. Journal des l)r. Biulniermaun.
Alle haben sich die Rechnungen erbeten, alle
reisen heute ab, alle waren zu „angegriffen",
um mich zum letzten Male empfangen zu können.
Das danke ich Dir, Käthe, danke es Dir aus
vollster Seele.
Spigt
ngramme
jGn eine kleine Pharisäerin
„Dieser Dlann ward arm durch eigne Schuld!
Und mit voller Wand sollt’ ich ihm geben?“
Gdle Dame voller Lieb’ und Huld:
Ja! — Denn von der Schuld kann er nicht
leben.
Disputation
„Ich opfre dem Glauben gern den Verstand!
Das muss man!“ schrie er fromm entbrannt.
Vergiss doch nicht, mein lieber Dlann,
Ss kommt auf die Grösse des Opfers an!
06
Der Kritiker spricht:
Gott ist gewiss ein begabter Dlann;
Dur glaubt er, dass er alles kann.
Säuseln will er und will gewittern —
Ich meine, er sollte sich nicht zersplittern.
Jim besten gelingen ihm die Karneole,
Die schuf er mir recht aus der Seele:
Das ist sein Kach! - Und ich sollte denken,
Gr konnte sich i. ohl darauf beschränken.
Otto Ernst.
Julius Dic-i' (Jfiinch.'ii).
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JUGEND
1897
dann morgen
Gesammtbefund des
Sanatoriums: Alle ganz des
Teufels, ganz verdreht. Ursache
einstweilen unbekannt.
Ult. Ich selbst auch fast des
Teufels. Hält dieser klcineSatan
von Küthe es nicht für der Mühe
Werth, mir zu antworten? lieber
acht Tage sind seit meinem Brief
vergangen. — I da soll doch
gleich-
12. Mai.
Tagebuch der Frau Reumann
„Gnädige Frau, die Luft be-
kommt Ihnen hier nicht, ich würde
Ihnen rathen, sich etwas südlicher
zu wenden. Darf ich für Sie
nach" — er nannte den Namen
eines Ortes, der sich in keinem
Geographiebuche finden wird —
„telegraphieren? Sie würden
reisen können."
Das klingt mehr nach Polizeilicher Ausweis-
ung, denn nach zarter Sorge um meine Gesund-
beit. Aber die Thatsache ist entzückend, ist eine
Lebensrettung. Bei längerem Aufenthalt würde
ich hier hysterisch, neurasthcnisch und wer weih
was sonst noch geworden sein.
Ich verzichtete dankend auf deu Ort, der in
keinem Geographiebuche steht, und gab meine Ab-
sicht kund, einstweilen nach Wiesbaden zu gehen,
da es für Ostende noch nicht Saison ist.
Damen behandeln mich wie Luft, Schnabel
bekommt Wcinkrämpfe, sobald sie mich sicht. Was
liegt hier vor?
Ungewißheit ist nicht meine Sache, ich habe
den Doktor gestellt und ihn um Aufklärung ge-
beten. lieber diese Komödie! Was meiner Ge-
sundheit noch fehlte, wird mir dieses Amüsement
geben.
Tagebuch des Frl. Schnabel.
Es ist geschehen — —.
Frl. Kühl mann, deren außerordentlicher
Bilduugsdrang sie nicht vor der neueste» itnd ge-
wagtesten Literatur zurücksclirccken läßt, hat Liebt
in das Dunkel gebracht. Ich weiß nun, was
Trilby ist — auch was Svengali! — Ach!-
O du erhabener Mann, du mein einziger
Herr De. Bimmermann, ivic übel Hai man Dir
mitgespielt! Sagen kann ich es Dir nicht, das
Wort würde mir in der Kehle verdorren. Aber
schreibe» tvill ich es. Dem Banne Deiner Per-
sönlichkeit entrückt, tvird es mir vielleicht glücke».
Nachmittags.
Er war bei mir — stumiti gab ich die be-
schriebenen Blätter in seine Hand. Er sah m ch
an — oh, tvie er mich ansah! Dann begann er
pl lesen. Welch' ein Mann, tvelche Seelenstärke!
§r ließ e? mich nicht entgelten, daß ich das un-
schuldige Werkzeug bin, das ihm den Streich ver-
setzte. Er lächelte, erst unterdrückt, dann immer
mehr tl»d mehr, bis er in eilt schmetterndes Lachen
ausbrach. Wie mich dies ^ erschütterte! „Ihnen
tvird Genugthnuug werden, Frl. Schnabel", und
stark drückte mir der Herr Doktor die Hand.
Tagebücher der Tameu Fel. Schulze re.
Sie hat's anfgeschriebcn, tiud der Herr Dok-
tor hat gelacht. Gelacht! Das Lachen eines Nerv!
Eine entsetzliche Reaetion wird folgen!
Sie reist, er hat diese Neumann fortgeschickt
— mit sauten Aepfeln sollte mau ihr das Geleit
geben! Pfui!
Zitte rnde Aufregung—Katastrophe inSicht—
was werden lvir erleben?
Die Schnabel steckt dazwischen; wenn auch
unschuldigerweise, so wird's den Doktor doch gececu
sie einnehmeu. Famos! Da wird er sich künftig-
hin nur uns Vieren widmen.
Aerztliches Journal des Dr. Bimiuerutami.
Frau Neu mann. Schade um die Frau,
aber behalte» kann ich sie nicht, sie hat den Nagel
allzusehr auf de» Kopf getrosten. So etwas geht
hier nicht an. Also fort mit ihr. Rechnung auf's
Zimmer.
Frl. Schnabel. Vollständig deS Teufels.
Ein gottvolles Schriftstück, das sie da verfaßt hat.
Eisblase auf den Kopf, kalte Fußbäder, Brause-
limonade.
G e s a m m t b e s u n d des S a n a t v r i u m s:
Befriedigend. Gestilltes SensntionSbedürsuiß,
moralische Entrüstung. Sebr zuträglich.
N15. Endl'ch, endlich Nachricht von meiner
süßen kleinen Käthe. Dieses Prachtmädchen hat
ja gleich gewußt, was es ivoltte, nämlich Frau
Doktorin werden, aber sie hat, ehe sie nur Nach-
richt gegeben, erst das goldene Papacheu mir
milde'stiinmcn wollen. Es ist herrlich, Käthe wird
mein Frauchen und das alberne, greuliche Dameu-
sanatorium hänge ich an deu Nagel und gehe in
die Großstadt. Das weite Portemonnaie meines
Schwiegervaters gestaltet mir das.
I». Mai.
Tagebuch der Frau Neumami.
Allgemeiner Umschwung der Stimmung. Ab-
gereist wie eine Primadonna in Blumen einge-
bettet, die mir die liebenswürdigen Patienten zum
Abschied verehrten. Alle haben sie mich gleich von
Anfang an so gerne gehabt, und jetzt beivundern
sie meinen Scharfsinn, der nrich den „engelhaften
Doktor" sofort als einen „Svengali" hat erkennen
lassen!! Der Doktor hat sich nämlich verlobt.
Tagebuch des Frl. Schnabel.
Es ist mein Tod — lebe ich noch, oder bin
ich schon verschieden? O dieser Heuchler, dieser
Charlatan! — Nur eine schleunige Luftveränder-
ung kann mich retten.
Tagebücher des Frl. Schulze re.
O dieser — dieser-ich finde keine Worte.
Habe sofort meine Rechnung erbeten, reise noch
diesen Mittag
Das ist nun unser Abgott, unser Held. Ein
Mensch, der sich verlobt. Wie banal, wie gemein!
Und Käthi heißt sie. Pfui! Ob ich der reizenden
Frau Neumann La France oder Marschall Niel
zum Abschied schenke? Jedenfalls nur lang-
stielige, ohne Draht.
Empörend, ekelhast! Ich und die kluge Frau
Neumann haben ihn allein richtig erkannt. Die
andern sind greulich dnpirt worden.
Ich hoffe, er wird gründlich reinfallen. Wozu
braucht er eine Braut? — Wir wären ja da.
Aerztl. Journal des l)r. Biulniermaun.
Alle haben sich die Rechnungen erbeten, alle
reisen heute ab, alle waren zu „angegriffen",
um mich zum letzten Male empfangen zu können.
Das danke ich Dir, Käthe, danke es Dir aus
vollster Seele.
Spigt
ngramme
jGn eine kleine Pharisäerin
„Dieser Dlann ward arm durch eigne Schuld!
Und mit voller Wand sollt’ ich ihm geben?“
Gdle Dame voller Lieb’ und Huld:
Ja! — Denn von der Schuld kann er nicht
leben.
Disputation
„Ich opfre dem Glauben gern den Verstand!
Das muss man!“ schrie er fromm entbrannt.
Vergiss doch nicht, mein lieber Dlann,
Ss kommt auf die Grösse des Opfers an!
06
Der Kritiker spricht:
Gott ist gewiss ein begabter Dlann;
Dur glaubt er, dass er alles kann.
Säuseln will er und will gewittern —
Ich meine, er sollte sich nicht zersplittern.
Jim besten gelingen ihm die Karneole,
Die schuf er mir recht aus der Seele:
Das ist sein Kach! - Und ich sollte denken,
Gr konnte sich i. ohl darauf beschränken.
Otto Ernst.
Julius Dic-i' (Jfiinch.'ii).
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