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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 2.1897, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 23 (5. Juni)
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° JUGEND

e

1897

Nr. 23

würde, welcher den Bullen zwar nicht an Kraft
— denn das fei unmöglich — aber wenigstens
in feiner zweiten Kardinaleigenschaft, nämlich
an Dummheit, übertreffen würde.

Da war der König so froh, daß er einen
Luftsprung machte, denn er kannte seine Untor-
thancn und wußte, daß er nunmehr voll Ver-
trauen in die Zukunft blicken durfte. Schnell
eilte er heim und berieth wieder mit seinen
Rathen, wie man wohl am besten den aller-
dümmsten unter seinen Unterthanen heraus-
finden könne. Da sagte einer: „Edler Fürst,
man kann die echte Dummheit viel leichter
in der Jugend, als im höheren Lebensalter,
erkennen, wo sie meist durch Aemtor, würden,
Rüstungen und ähnliche Dinge verdeckt wird.
Setze also eine Lommission ein, und dieser
sollen alle Bewerber ihre Schulhefte einreichen;
man wird dann leicht den Dümmsten hervor-
finden können." Das leuchtete allen ein und
alsbald begann die Lommission ihre Arbeit.

Da fand man ein kfeft, in den: zu lesen war:
„Daß Schwein ißt ein ksausthür. Weilt
es so treckigt ißt, Heist man es Sau. wenn
cs kein San ißt, ißt es ein Eber. Gans
klein, Ferkel. Ls krunzt."

Dieses Lfeft aber gehörte dem Ritter Raffo
von Ranhpratzl.

Da bestand nun nicht der geringste Zweifel
mehr, daß er bedeutend dümmer als die anderen
Bewerber war; man konnte aber doch noch
zweifeln, ob er wirklich auch den Gemeiirde-
stier von Knotenheim an Dummheit übertreffen
würde, und somit der heilige Aloisius seinen
Fluch vom Lande nehmen könne.

Nachdem man sich nun lange die Köpfe
zerbrochen hatte, erhob sich derjenige Rath,
welcher am Anfang den Klügsten mit dem
besten kserzen als den Edelsten gewählt haben
wollte, und sagte: „Großer König, aus dieser
Schwierigkeit könnte ich dir leicht helfen, wenn
ich nur wüßte, daß ich nicht nachher dafür
mein Leben lassen muß."

Und als ihn der König seines Lebens ver-
sichert hatte, wenn er nur auf irgend eine Weise
Nachweisen würde, daß der Ritter Rasso von

Ranhpratzl wirklich die vom heiligen Aloisius
geforderten Eigenschaften habe, fuhr der Rath
fort: „Laß heute Nachmittag den Gemeinde-
bullen sowie den Ritter Rasso von Rauhpratzl
drunten an den Fluß führen, wo er am brei-
testen ist und am schnellsten strömt. Derjenige
von Beiden, welcher zuerst freiwillig in's Wasser
springt, ist der Dümmste."

Da erhob der König nebst seinen Räthen
ein ungeheures Gelächter und sagte: „Ukein
Lieber, es scheint mir . fast, als ob Du selbst
der gesuchte Ukann wärst; denn weder dein
Stier, noch gar dem Ritter wird es jemals
einfallen, in den Strom zu springen. Dennoch
aber will ich Dir Deinen Willen thun."-

Der Ritter Rasso von Ranhpratzl war am
Nachmittag nicht wenig erstaunt, als er im
Auftrag des Königs an den Fluß geladen
wurde und dort den Bullen mit seinem Treiber
sowie den Rath erblickte, während der König
mit den übrigen Räthen am anderen Ufer
stand.

Nun erhielt der Treiber ein Zeichen, und
sofort gab er sich alle mögliche Mühe, den
Stier in den Fluß zu locken; allein vergeblich
hielt er ihm ein Bündel lscn unter die Nase
und warf es dann in die Wollen, vergeblich
stachelte er von hinten und zog am Nasen-
strick, •— nichts half. Der Bulle blieb unbe-
weglich und schüttelte nur ungeduldig den,näch-
tigen Kopf.

Der König aber lachte am andern Ufer
mit den Räthen so laut, daß man es bis her-
über hören konnte.

Da trat der Rath auf den Ritter zu, mies
hinüber und sagte: „Edler Ritterl Gestern,
im Rathe des Königs, wagte es Liner zu
behaupten, daß Dein Muth nicht so groß wäre,
als cs im ganzen Lande heißt. Ich aber sagte,
daß Du ruhig und ohne Besinnen von hier
aus sammt Deiner Rüstung in den Strom
springen würdest. Deshalb sind wir nun alle
hierhergekommen, und Du hörst, wie sie lachen,
denn sic glauben, daß Du Dich noch besinnst."

Da schlug der Ritter Rasso von Rauhpratzl
mit der gewappneten Rechten an seinen Har-

nisch, daß die Funken flogen, nahm einen
mächtigen Anlauf und sprang, ohne im Ge-
ringsten zu zaudern, mitten in den Fluß, wo
er sofort versank.

Ebenso schnell aber sprangen ihm drei ge-
schickte Taucher, welche der Rath vorher in
den Büschen versteckt hatte, nach und suchten
ihn im Flußboden auf, wo er aufrecht fest-
steckte wie ein Rettich; hierauf banden sie ihn
an einem Seile fest und zogen ihn mit einer
Winde an's Ufer, wo er über und über mit
Schlamm und Wasserpflanzen beladen ankam.

Als der König ganz wider sein Erwarten
den Ritter in den Strom springen sah, war
er so vergnügt, daß er einen allgemeinen
Feiertag anordnete, denn nun schien ja wirk-
lich der Ritter der gesuchte Mann zu sein und
der heilige Aloisius würde sich gewiß zufrieden
geben. Als man aber die von dem Rathe
angewendcto List erfuhr, entbrannte der König
in fürchterlichem Zorn, ließ jenen in Ketten
vor sich bringen und fuhr ihn an: „(D Du
durchtriebener Schalkl Wie hast Du uns Alle
betrogen! Nicht die Dummheit war es ja,
die den Ritter Rasso von Rauhpratzl in den
Strom zu springen veranlaßte, sondern seine
Ritterpstichtl Also hast Du uns schändlich
hinter'? Licht geführt und gefoppt und der
Ritter ist nicht der gesuchte Mann! Werft den
Bösewicht in's Gefängniß," wandte er sich
dann an sein Gefolge, „denn leider habe ich
ihn seines Lebens versichert."

Da saß nun also der kluge Rath im Burg-
verließ und hatte Zeit, eine ganze Reihe in-
teressanter Betrachtungen anznstellen. Die hold-
selige Prinzessin aber war immer noch unver-
heirathct.

Aber jetzt peinigte der heilige Aloisius das
Land mit einer solchen Dürre, daß der König
keinen einzigen Apfel mehr zum Nachtisch be-
kommen konnte. Außerdem geschahen so viele
ungewöhnliche Naturereignisse, daß man kaum
mehr über die Straße gehen konnte, ohne daß
einem ein Meteorstein auf den Kopf fiel oder
ein Blitz zwischen den Füßen hindurchfnhr oder
andere solche auffallende Dinge passirten.

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Register
Julius Diez: Zeichnung zum Text "Der Zorn und die Versöhnung des heiligen Aloisius"
 
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