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Rousseau las, aber nicht in der Lage war,
Licht zu brennen. Zuweilen las er laut,
und es ist sehr möglich, dass er für den
Pfahl las, aus Dankbarkeit; ja, natürlich
geschah es für den Pfahl; und es handelte
besonders davon, dass die Menschheit un-
ter den Verwünschungen der Zivilisation
litt. Und der Pfahl hatte seither in gar
mancher einsamen Stunde darüber nach-
gegrübelt: die Verwünschungen der (Zivili-
sation. Man denkt, so gut man kann, hier
in der Welt, das thuen wir Alle, und mehr
darf Niemand verlangen. Und der Pfahl
war nun seinestheils zu dem Resultat ge-
kommen, dass mit den Verwünschungen
der Zivilisation nichts Anders gemeint
war, als für das erste die Gaslaternen,
und für das zweite die eine oder andere
hoffärtige Planke, die da stand und sich
einbildete, dass die Krähenfüsse von ein
paar dummen Bälgen etwas mit „Aufklär-
ung“ zu schaffen hätten.

Das war nun boshaft gesagt, viel bos-
hafter als nöthig, und so wurde es Thau-
wetter. Die Sonne schien, und der Schnee
tropfte vom Dach herab, und die Rinn-
steine wurden zu brausenden Frühlings-
fluthen, die mit der bekannten Verachtung
der Jugend für alles Alte und Erbgesessene
eine Anzahl eingeschneiter Krebsschalen
mit sich rissen, und die irdischen Ueber-
reste einer alten Brasse, die da lag und
schlecht roch. Ja, es war wirklich Früh-
ling, und zwischen den Pflastersteinen be-
gann Gras hervorzuspriessen; und vor je-
dem Haus fand sich eine kleine Flurtreppe,
und auf jeder Treppe kam eine Katze her-
vor. Auf meiner Grossmutter Treppe lag
ihr armer versoffener Kater und sonnte
sich und spann, und auf der Treppe des
Nachbars lag die Katze, die ein Papier-
büschel am Schweif gehabt hatte, und so
weiter, die ganze Gasse hinab. Und im
Garten Höker Walbergs wuchs und sprosste
es; die Knospen sprangen auf und wurden
zu grossen, grünen Blättern, und über die
alte Planke neigte der Faulbaum seine
Zweige, von schneeweisen Blüthen schwer;
und so wurde es Sommer.

Aus einem Hausthor wälzte sich eine
Schaar von Kindern, einige rein und einige
schmutzig; und über die Planke ging es
mit Schwung in den Garten hinein, und
das alte Plankenherz schwoll vor Ent-
zücken. Aber ihnen nach kam des Hökers
Karl Johann, schnaufend und pustend, er
war sehr dick, obgleich nicht so dick wie
sein Papa. Er sollte auch hinüber und
sprang so zu, dass es in den Brettern
knackte, und hinüber kam er.

„Ich habe Kinder sehr gern“, seufzte
die Planke, „aber Karl Johann ist zu schwer;
ja, er ist gar zu schwer.“

Was jetzt kommt, handelt theilweise
von einem Gemeinderath; aber es war

Keiner von der Art, wie wir sie jetzt haben;
nein, es war eine ganz andere Sorte. Die
Menschen waren in früheren Zeiten durch-
aus nicht so, wie jetzt, und Gemeinderäthe
sind auch Menschen, und man soll nicht
mehr Böses von ihnen sprechen, als von
Anderen, denn man weiss, was man ist,
aber man weiss nicht, was man noch wer-
den kann. Ja, es kamen zwei alte Herren
die Anhöhe hinabgegangen, und der Eine
war ein Gemeinderath. Sein Weg führte
ihn des Abends zuweilen in diese Gegend,
und er hatte sich immer über die schlechte
Beleuchtung geärgert; nicht eine Gas-
laterne fand sich in dem ganzen Viertel.
Aber jetzt hatte er veranlasst, dass eine
Laterne kommen sollte; und deshalb blieb
er gerade vor dem Pfahl stehen, wies mit
dem Stock sowohl hinauf, wie hinab, und
dann sagte er zu dem anderen Herrn, der
vom Gaswerk war: — „Morsch ist er, aber
stehen kann er noch, so lange unser Herr-
gott will, und dann plumpst er nieder.
Den nehmen wir und setzen die Gaslaterne
darauf; ja“.

„Das war ein feines Compliment,“
dachte der Laternenpfahl, „wenn es auch
in der Form schöner gewesen sein könnte.“
Und er fühlte in einem Augenblick seine
halbe Weltanschauung wanken, nämlich
die Hälfte, die von Gaslaternen handelte
""(die sich auf Planken bezog, blieb uner-
schüttert); er sah jetzt klar ein, dass die
Gaslaterne nur eine entwickeltere Form
der Oellampe war, und er beschloss, mit
seiner Zeit zu gehen.

Und es kamen schwarze Männer mit
Hacke und Spaten, und sie gruben die
Erde auf und legten Gasröhren hinein;
dann kamen Andere und setzten eine La-
terne auf, ah, welche Laterne! Und sie

L. Prochownik (Berlin').

hegten sie und putzten sie von allen Sei-
ten, und zum Schluss kam ein Maler und
strich den alten Pfahl mit lichtgrüner Oel-
farbe an.

Aber nicht Alle vermögen das Glück
zu ertragen. Man merkte es gleich, dass
der Erfolg dem alten Pfahl zu Kopfe zu
steigen begann, besonders jetzt, seit er so
zu sagen wirklich so eine Art Kopf hatte.
„Lebst Du wirklich noch, Du alte schäbige
Planke?“ schrie er, so laut er konnte.
„Aber warte, jetzt sollst Du erst sehen,
was Aufklärung heissen will. Na, im fieb-
rigen wäre es wirklich besser, Du legtest
Dich hin, je eher, je lieber. Ich, als alter
Freund, muss Dir aufrichtig sagen, dass
es recht geschmacklos von Dir ist, hier
die Gegend zu ruiniren, wo Du gar nicht
mehr zu Deiner Umgebung passest. Du
brauchst nicht böse zu sein, denn ich
meine es nur gut mit Dir.“

Das war sehr unschön gesagt, das lässt
sich nicht leugnen; man kann beinahe
nicht glauben, dass es wahr ist. Aber
meine Grossmutter sass gerade an ihrem
offenen Fenster und las in einer grossen
Postille, und es ist dieselbe Postille, in
der sie heute noch liest; und sie hörte
jedes Wort. Und sie sah mit eigenen
Augen, wie die alte Planke vor Empörung
zitterte; es ist doch auch nicht angenehm,
auf seine alten Tage so öffentlich für über-
flüssig erklärt zu werden. Ueberdies war
sie unläugbar ziemlich fallbereit und hegte
wohl selbst keinen höheren Wunsch, als auf
anständige Art aus dem Leben zu scheiden,
und das wurde ihr auch zu Theil, ja es
geschah sogar in ganz stattlicher Weise.
Gerade als der Laternenanzünder auf dem
Hügel oben sichtbar wurde, fühlte die
Planke, wie sich der Boden unter ihr
schaukelte, und durch den Garten kam die
ganze Kinderschaar gestürzt, kletterte über
die Planke und verschwand in dem Haus-
thor gerade gegenüber. Und hinten nach
kam der dicke Karl Johann; er war jetzt
noch dicker, als früher, obgleich nicht so
dick wie sein Papa. Ja, nun sollte Karl
Johann über die Planke; aber die Planke
plumpste kopfüber gerade auf den La-
ternenpfahl, und der Pfahl ging mitten
auseinander, und die Laterne zersprang
in tausend Stücke.

Da lagen sie jetzt, und so war es aus
mit ihnen. Karl Johann ging auch aus-
einander, aber er soll später reparirt wor-
den sein. Und viele Leute strömten von
allen Seiten herbei, und unter ihnen be-
fand sich auch meine Grossmutter und
ihr Kater. Zum Schluss kam auch der
Laternenanzünder; aber da er ein Fach-
mann war, und noch dazu einer mit Er-
fahrung, denn er war sechsunddreissig
und ein halbes Jahr Laternenanzünder ge-
wesen, sah er bald ein, dass er an diesem
Abend die Laterne nicht anzünden konnte;
und das that er auch nicht.

(Aus dem Schwedischen-übersetzt

von ^Francis Maro.)

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Franz Christophe: Zierleiste: Die Jagd
Leo Prochownik: Medaillon
 
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