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1897

JUGEND

Nr. 31

und wenn der Junge ungetanst zur Schule gehen
mußte. Eigensinnig war ja Paul immer ge-
wesen. ,

Wie km Druck liegt cS auf dein ganzen Kaufe.
J-Ul wandelnder Vorwurf, geht Frau Lönecke
herum, und die Schatten, die um ihre Augen
licncu. scheinen sich langsam jedem Winkel niit-
zntheile». Nellh ivird ernstlich nervös und leidet
doppelt unter der schwiegcrmütterlichen Miß-
stimmung, >vcil sie immer mit der alten Frau
zusammen sein im,ft. Paul ist fast nur mehr
u» Atelier und selbst schlechter Laune; ziemlich
egoistisch drückt er sich, wo und wie er nur kann,
-"der der kleine Heide gedeiht prächtig und scheint
och in ungetanstem Zustand, nun schon bald vier
Monate, recht wohl zu befinden. Nach und nach
lammert die Großmutter nicht mehr und ivird
stiller und stiller. Nellh thnt das Herz dabei
weh, >vie sie die alte Frau leiden sicht und sie
ist ernstlich bennrnhigt über deren schlechtes Aus-
sehen. Paul ist froh, daß sic nun überhaupt
mal scknvcigt, das; sie elend nnssicht, bemerkt er
gar nicht.

lind endlich, endlich kommt ein Brief mit
vielen Stempeln und Marken von einem wclt-
verlassenen Nest aus den Dolomiten.

Er will kommen und schon in acht Tagen
da sein. Alles ntümet auf. Fron Lönecke ist voll-
ständig verwandelt. Sie läuft Trepp' ans. Trepp
ab. fragt sechsmal des Tages Nellp. ob ihr altes,
lila seidenes Kleid auch noch gut genug wäre,
und diese bejalit immerzn und lacht so schelmisch
dabei! Alles ist der alten Frau nun recht. Das;
das Kind im Atelier getanst werden folt _— in

iN der Familie lll Uliu lumm um uiu ^irnuu v
Buben der Reihe nach getauft worden waren.

Wie endlich der ersehnte Samstag kommt und
damit der .Herr Pnthc, da ist Groftniutter völlig
im Himmel. So lieb und gut ist Herr Erwin!
„Verehrte Frau" hat er sic genannt, und — was
ihr besonders herrlich erscheint — er hat ein
kleines Fläschchen Ivrdanwasser, das er ciinnal
ans einer Orientreise selbst geschöpft, in einem
Strauft verborgen der jungen Mutter mitgebracht.

Ach, — und er kann „platt". Den ganzen
Abend erzählt er Schnaken und Schnurren in
der geliebten Mundart, und die alte Frau lacht
immer zu, bis es zwölfe schlägt. Sie ist aber
trotzdem den kommenden Tag zeitig auf den
Reinen. Es gibt noch Vielerlei zu thun und
Nachmittags vier 111,r ist die Taufe. Wie sic zum
Frühstück kommt, überreichen ihr die Kinder ein
herrliches, weiftesBlondenliänbchen mit lilaRnnd
geziert, und ein schiveres schwarzes Seidenkleid.
Erst ist sie starr und stumm, dann srcnt sie
sich wie das jüngste Mädchen an seinem ersten
Ballstaat. '

Das Atelier ist nun vollkommen für die feier-
nde Handlung hcrgerichtet. In satten Farben-
tonen gehalten, verräth eS im ganzen Arrangement
die Kstnstlerhand. Dazu frische Blnmcn um Tisch
und Taufbecken, i» allen Vasen und Krügen.

Nach dem Mittagessen fühlt sich Groftnintter
doch recht mndc; sie gesteht cs aber nickit ein und
peijciiit barouf, das neue Kleid und Häubchen
schau letzt auzuzwbeu, um auch gewis; zur Heit
Nellh gebt .mit ihr nach Oben
und schninckt gewandt die Greisin. Mit dem seinen
Gesicht und dem schneeiveiften Scheitel sieht sie
vornehin und schön aus. Dann rückt die junge
Fran einen Lehnstuhl i» die Ecke, stellt eine Fuß-
bank davor, schliefst die Fenster vor Lärm und
P“nn,e bettet das alte Haupt, sorglich aus
o'ö?.9.re Häubchen achtend, sanft aus ein
weiches Kissen. Leise gleitet sic aus dem Zimmer,
denn die milden Angen scheinen schon znfallcn
Eine Weile ist Groftmntter noch im
mÜ bwllummer. Sie hört die Spähen ans dem
w < uni Javmcn- hört sprechen und lachen ans
^^benachbarten Wirthsgarten und das Rollen
m Kegelkugeln. Eine große Brnmmslicge genirt
schlagt darnach, dann sinkt der Kopf
Im,! vL' "bcr das Gesicht geht ein frohes Leuchten.

warmer Sonnenstrahl einen ver-
w tteiten Fels bescher»!, so liegt eS verjüngend
21',„b™ durchftrrchten Antlitz. Die alten Lippen
bewegen sich „och leise:

„Das Kind taufen."-

Otto Eckmann (München).

Igelfisch und fliegende Fische

Unten ist man eifrig besckiäftigt. Pani schreibt
Tischkarten für das svlgcndc Diner, Nellh im
matten Cröpckleid mit irischen Rose», blühend
und sck>lank wie ein Mädchen, theilt sich mit
Erwin, der ancki bereits in -lall dress>, unter
Lachen und Schwätzen in die letzten kleinen Ar-
rangements und Arbeiten.

Die Doninhr schlägt langsam und seierlid)
viermal.

„Paul, mochtest Du nicht die Mutter wecken?"
Mit ein paar Sprüngen ist er oben.

„Muttchen, nn ist's Zeit!"

Wie tief und fest sie schläft; das glücklick>e
Lächeln ans dem guten Gesicht! Die bunten
Scheiben geben ein so warnies Lick>t auf das
hübsche Bild. Panl's Künstlerauge ruht sinnend
darauf. Er will sie so malen. Gleich morgen
will er damit nnfangcn.

„Mutter, komm jetzt!"

Er saßt ihre Hand. Wie sonderbar! Sic ist
ganz kalt. Von einem plötzlichen ahnungsvollen
Schrecken ergriffen, stößt er den Fensterflügel
ans, daß datz grelle Licht hart und schonungslos
ans daS gelbweiße Gesicht der alten Fran fällt.

„Mutter!"

Er schreit es ans, schrill und dock; heiser,
denn er bringt das einzige Wort kaum aus der
Kehle. Wieder saßt er die kalte, starre Hand,
er horcht an dem stillen Herzen, — ganz, ganz
still! Es thnt keinen Schlag, — nie, nicmehr!
Er ivill die Lider über de» gebrochenen Angm
fester zudrückc», — „Hnrrah, Alle Nenne!" Wie
weh ihm das Lärmen im Wirthsgarten thnt.
A,'it bebender Hand streicht er über den iveißcn
Scheitel, und schaudernd gleitet sein Blick an
dem Festgeivand herab. Er stöhnt laut und
gnalvoll.

„Todt, tvdt!"

Arr. der Thüre klopft es, ei» Dienstmädchen
streckt den Kopf mit dem zierlichen Häubchen
herein.

„Herr Lönecke, der Herr Pastor ist da!"

ßinnsprüche

Du ahndest nie den Sod, ci> stehk Dii> nie

likvoi>,

^r stehk Din ja zu nah und schliehk D>>>
Mug' und Dhr.

Dev I^aine Gokkes soll aus Deinen ^chrifken

weichen,

Du willsk das Ullork sogar aus Deiner

j8z>rndze skreichen.
^ieh welch' ein U)arr Du bist, Du hask noch

nichk gelernk,

Dass Gotk es selber ist, der Dich bo» ihm

rnksernk.

2war ist es förderlich, mit lauker jvtimine

schrei'n,

f.Dei» Diächel» aber will im stillen iljechke sei».

orro LiriLU ivrwirimrri.

Warnung

Sei weise, klug voll Vorsicht immerzu —
Liner betrügt Dich dennoch ewig: Du! k. t.

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Register
Otto Eckmann: Igelfisch und fliegende Fische
[nicht signierter Beitrag]: Kleine Münze: Warnung
Otto Erich Hartleben: Sinnsprüche
 
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