1897
JUGEND
Nr. 44
C^r^'
C
\
MM
/7aJ
-~A
roil
föj 01t
W
3(ED
fl
tss
1
V~T
J——7
l
1
(£
/-> H,l|,f H/o/i
fl3!
)'
/'
S)
'S*
rAp c
cSt)
IE
o^<:
i\Icin frabr j v11
J. Carbcn (München).
r&i
^Zs
tS)
-/.
Dieser Mann also vermicthete uns ein gutes, nettcS Boot, versprach
uns gutes Wetter — waS er immer thut— und wünschte uns eine glück-
liche Fahrt. Herr Steen bestieg unter großem Halloh das Boot.
„Herr Steen — Vvrschn! Das Wasser hat keine Balten!" — „Herr
Steen, es wackelt!" — „Herr Steen, werden Sie nicht beim Einsleigen
schon seekrank" u. dgl. mehr schnurrte dein Acrmsten um den Kopf, der
aber, zum Glück für die gute Stimmung, alles mit cynischcr Gcmüths-
rnhe hinnahm und, als man sich müde geulkt hatte, trocken bemerkte, er
müsse nur immer au unsere Elter» denken, fiir die unser Leben doch einen
gewissen Werth habe.
Der Hasen war diesmal ivicder groß und schon. Wer den Ham-
burger Hafen in seinem Svnntagskleide sehen null, der muß ihn an
einem sonnigen Arbeitstage sehen. Ich kenne kein überivältigendcres Bild
der Arbeit als dieses. Hier scheinen sich alle Geräusche der Welt zu ver-
einigen zu einer sausenden, rollenden, surrenden, hämmernden, knirschenden,
pfeifenden, klirrenden, henkenden, stöhnenden, donnernden Symphonie der
Arbeit. Hier sind wir nicht mehr in einem kleinen Staate, hier sind wir in
der Welt! Hier weht Lust aus allen Zonen, Klang und Duft ans allen
Breiten. Die Masten der Schiffe, dieser Chklopenmauern, weisen in blaue
Höhen, ihr gierigscharfer, dnrchschncidendcr Bug in blaue Weiten. Hier
braust Dir in einem Augenblick durch alle Adern wie Wein das ganze
Krastgefühl der Menschheit. Und das Heulen der Schiffssirenen gibt Dir
Autlvort auf Deinen Stolz: cs ist ein wild auffahrender, wahnsinniger
Wuthschrei der unterjochten Naturkraft. Aber die ungeheuren Naubvogcl-
schnäbcl der Krähne holen unermüdlich neue Schätze' aus den strotzenden
Bäuchen der Schiffe hervor und streuen sic hinaus in's Land, unermüd-
lich, unermüdlich. Und droben auf dem Schiff, dessen steile Wand nun
unmittelbar, zuin Greifen nahe fast, neben uns emporsteigt, jäh, still,
drohend, lauernd, als ivollte sic im nächsten Augenblick sich neigen und
uns zermalmen — droben an der Reeling tanzt ein steinkohlengeschwärzter
Arbeiter mit humorvollen Sprüngen zu einer Musik, die von einem Ver-
gnügungsfahrzeug her lustig über die Wellen hüpft, lind auf dem Heck
eines Chinasahrers sitzt eine deutsche Mutter und läßt ihr rnndeS Bübchen
auf dem lärme tanzen zu eben lener Musik. „Musiiik! Musiiik!" hallt
es von allen Quais und Schiffen und aus allen Speichern, als die
heitere Weise verstummt ist.
Sie wollen Musik. Und über allem ist Sonne.
Und dann stromab an den stillen, heimlich umbuschten Ufern von
Neumühlen und Oevelgönne, Lthmnrsche» und Rienstedten vorüber, bis
zu dem sauber blinkenden, weiß und grünen Finkenwärder. Immer größer,
immer breiter, immer ruhiger der Strom, wie ein großes Leben, das von
Stunde zu Stunde die Welt mit größerem Blick umfaßt und nun iinmcr
klarer, segensreicher, mächtiger und stiller wird.
Drüben, im allersernsten Hanse, das der Blick noch erreichen kann,
blinken die Fensterscheiben von lauter Sonne. Das, ihr Brüder, vom Ge-
birge, ist nnS Kindern der Ebene Seligkeit: ans zwei Meilen weit dem
Nachbar im stillen Herzen eine gute Nacht zu wünsche», ivenn aus seinem
Fenster die Abendsonne uns znnickt. Das ist uns Seligkeit: stundenlang
ivandern und fahren und fahren und wandern können und immer dac-
Auge Raum trinken lassen, so viel cs mag, ohne zu fürchten, er könnte
alle werden. Was noch hinter diesem lachenden Horizont an duftig klaren
Weite» liegt, das trinkt ein Auge nicht aus.
Jetzt durch die einsamen Grachten zwischen den Elbinseln hindurch,
wo die Ruder an beiden Seiten ins Gras schlagen, in das hohe Gras,
das den Rindern bis zum Bauche reicht, wo leise der Wind die Halme
streichelt, ivic eine Mutter die Stirn ihres schlafenden Kindes, wo kaum ein
Laut vernehmbar ist als ab und zu das dumpfe, sattbehagliche Brummen
einer Kuh. Natürlich kehrten wir bei „Mutter Thicsscn" ein.
Mutter Thicsscn darf eigentlich keinen Schnaps verkaufen; aber sie
thut es.. Und er schmeckt auch, wenigstens ihr selbst; sie geht nie über
das Maß hinaus, das ein kräftiger Mann vertragen kann. Sic ist Wirthin
und Hausknecht und noch mit jedem Gaste fertig geworden; ihr Mann
ist ihr Kellner. Jedesmal, wenn man ihn sicht, möchte man ihm ein
Trinkgeld zustecken. Seine Frau ist immer hinter ihm her: „ElaS, mak
doch to! Wat steihst Du hier nn snackS! Bedeen' din' Gäst!" und er:
„Jowoll, min Engel! Jowoll, min sötc Decrn!" Wenn sie ihn nicht
hört, versichert er dann jedem Gaste einzeln, dieS verdammte Weibsstück
könne ein Pferd todtärgern.
„Sie müssen mal energisch anftretcn!" meinte Herr Martens.
„Djä! denn ward sc noch energischer! Dat hevv ick jo all verfocht!"
versichert Herr Thicsscn mit überlegener Resignation.
74,
JUGEND
Nr. 44
C^r^'
C
\
MM
/7aJ
-~A
roil
föj 01t
W
3(ED
fl
tss
1
V~T
J——7
l
1
(£
/-> H,l|,f H/o/i
fl3!
)'
/'
S)
'S*
rAp c
cSt)
IE
o^<:
i\Icin frabr j v11
J. Carbcn (München).
r&i
^Zs
tS)
-/.
Dieser Mann also vermicthete uns ein gutes, nettcS Boot, versprach
uns gutes Wetter — waS er immer thut— und wünschte uns eine glück-
liche Fahrt. Herr Steen bestieg unter großem Halloh das Boot.
„Herr Steen — Vvrschn! Das Wasser hat keine Balten!" — „Herr
Steen, es wackelt!" — „Herr Steen, werden Sie nicht beim Einsleigen
schon seekrank" u. dgl. mehr schnurrte dein Acrmsten um den Kopf, der
aber, zum Glück für die gute Stimmung, alles mit cynischcr Gcmüths-
rnhe hinnahm und, als man sich müde geulkt hatte, trocken bemerkte, er
müsse nur immer au unsere Elter» denken, fiir die unser Leben doch einen
gewissen Werth habe.
Der Hasen war diesmal ivicder groß und schon. Wer den Ham-
burger Hafen in seinem Svnntagskleide sehen null, der muß ihn an
einem sonnigen Arbeitstage sehen. Ich kenne kein überivältigendcres Bild
der Arbeit als dieses. Hier scheinen sich alle Geräusche der Welt zu ver-
einigen zu einer sausenden, rollenden, surrenden, hämmernden, knirschenden,
pfeifenden, klirrenden, henkenden, stöhnenden, donnernden Symphonie der
Arbeit. Hier sind wir nicht mehr in einem kleinen Staate, hier sind wir in
der Welt! Hier weht Lust aus allen Zonen, Klang und Duft ans allen
Breiten. Die Masten der Schiffe, dieser Chklopenmauern, weisen in blaue
Höhen, ihr gierigscharfer, dnrchschncidendcr Bug in blaue Weiten. Hier
braust Dir in einem Augenblick durch alle Adern wie Wein das ganze
Krastgefühl der Menschheit. Und das Heulen der Schiffssirenen gibt Dir
Autlvort auf Deinen Stolz: cs ist ein wild auffahrender, wahnsinniger
Wuthschrei der unterjochten Naturkraft. Aber die ungeheuren Naubvogcl-
schnäbcl der Krähne holen unermüdlich neue Schätze' aus den strotzenden
Bäuchen der Schiffe hervor und streuen sic hinaus in's Land, unermüd-
lich, unermüdlich. Und droben auf dem Schiff, dessen steile Wand nun
unmittelbar, zuin Greifen nahe fast, neben uns emporsteigt, jäh, still,
drohend, lauernd, als ivollte sic im nächsten Augenblick sich neigen und
uns zermalmen — droben an der Reeling tanzt ein steinkohlengeschwärzter
Arbeiter mit humorvollen Sprüngen zu einer Musik, die von einem Ver-
gnügungsfahrzeug her lustig über die Wellen hüpft, lind auf dem Heck
eines Chinasahrers sitzt eine deutsche Mutter und läßt ihr rnndeS Bübchen
auf dem lärme tanzen zu eben lener Musik. „Musiiik! Musiiik!" hallt
es von allen Quais und Schiffen und aus allen Speichern, als die
heitere Weise verstummt ist.
Sie wollen Musik. Und über allem ist Sonne.
Und dann stromab an den stillen, heimlich umbuschten Ufern von
Neumühlen und Oevelgönne, Lthmnrsche» und Rienstedten vorüber, bis
zu dem sauber blinkenden, weiß und grünen Finkenwärder. Immer größer,
immer breiter, immer ruhiger der Strom, wie ein großes Leben, das von
Stunde zu Stunde die Welt mit größerem Blick umfaßt und nun iinmcr
klarer, segensreicher, mächtiger und stiller wird.
Drüben, im allersernsten Hanse, das der Blick noch erreichen kann,
blinken die Fensterscheiben von lauter Sonne. Das, ihr Brüder, vom Ge-
birge, ist nnS Kindern der Ebene Seligkeit: ans zwei Meilen weit dem
Nachbar im stillen Herzen eine gute Nacht zu wünsche», ivenn aus seinem
Fenster die Abendsonne uns znnickt. Das ist uns Seligkeit: stundenlang
ivandern und fahren und fahren und wandern können und immer dac-
Auge Raum trinken lassen, so viel cs mag, ohne zu fürchten, er könnte
alle werden. Was noch hinter diesem lachenden Horizont an duftig klaren
Weite» liegt, das trinkt ein Auge nicht aus.
Jetzt durch die einsamen Grachten zwischen den Elbinseln hindurch,
wo die Ruder an beiden Seiten ins Gras schlagen, in das hohe Gras,
das den Rindern bis zum Bauche reicht, wo leise der Wind die Halme
streichelt, ivic eine Mutter die Stirn ihres schlafenden Kindes, wo kaum ein
Laut vernehmbar ist als ab und zu das dumpfe, sattbehagliche Brummen
einer Kuh. Natürlich kehrten wir bei „Mutter Thicsscn" ein.
Mutter Thicsscn darf eigentlich keinen Schnaps verkaufen; aber sie
thut es.. Und er schmeckt auch, wenigstens ihr selbst; sie geht nie über
das Maß hinaus, das ein kräftiger Mann vertragen kann. Sic ist Wirthin
und Hausknecht und noch mit jedem Gaste fertig geworden; ihr Mann
ist ihr Kellner. Jedesmal, wenn man ihn sicht, möchte man ihm ein
Trinkgeld zustecken. Seine Frau ist immer hinter ihm her: „ElaS, mak
doch to! Wat steihst Du hier nn snackS! Bedeen' din' Gäst!" und er:
„Jowoll, min Engel! Jowoll, min sötc Decrn!" Wenn sie ihn nicht
hört, versichert er dann jedem Gaste einzeln, dieS verdammte Weibsstück
könne ein Pferd todtärgern.
„Sie müssen mal energisch anftretcn!" meinte Herr Martens.
„Djä! denn ward sc noch energischer! Dat hevv ick jo all verfocht!"
versichert Herr Thicsscn mit überlegener Resignation.
74,